Es ist ein Urteil, dass die Sicherheitsbehörden und die Justiz etwas mehr als zwei Monate vor dem Jahrestag des Überfalls der islamistischen Hamas auf Israel elektrisiert. Nicht nur, weil ein Richter des Amtsgerichts Tiergarten am Mittwoch mit Yasemin Acar eine der bekanntesten und radikalsten Palästina-Aktivisten für das Verwenden der Parole „From the river to the sea, palestine will be free“ freisprach. Sondern auch, weil er seine Hochachtung für die 38-Jährige aussprach. Nämlich vor dem, „wie Sie sich einsetzen“, wie die B.Z. notierte.
Das Urteil stieß teils auf heftige Kritik. Das Internationale Auschwitz Komitee zeigte sich enttäuscht und sprach von einer „zynischen und bitteren Botschaft“ für Holocaust-Überlebende.
Die Staatsanwaltschaft hält die Parole weiter für strafbar, auch deshalb geht die Polizei weiter bei antiisraelischen Demonstrationen dagegen vor. Für die Staatsanwaltschaft drückt die Parole den gewaltsamen Vernichtungswillen gegen den Staat Israel aus. Denn Palästina soll sich demnach vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer erstrecken – ohne Juden und ohne Israel.
Am Freitag legte die Staatsanwaltschaft nun ein „unbestimmtes Rechtsmittel“ gegen das Urteil ein, wie ein Behördensprecher sagte. Das weitere Vorgehen hänge von der schriftlichen Urteilsbegründung ab. Möglich ist, dass die Staatsanwaltschaft per Revision eine Entscheidung des Kammergerichts erwirken will.
Denn in Berlin wie auch bundesweit gibt es keine einheitliche Rechtsprechung, ob das Rufen der Parole als Verwenden von Kennzeichen terroristischer Organisationen strafbar ist. Eine Entscheidung des Kammergerichts könnte zumindest für Berlin vorerst Klarheit bringen. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt es noch nicht. Das Bundesinnenministerium hatte die Parole beim Verbot der islamistischen Hamas in Deutschland im November 2023 als Kennzeichen der Terrororganisation eingeordnet.
Acar wurde nur wegen anderer Vorwürfe zu 1800 Euro Geldstrafe verurteilt – 120 Tagessätze zu je 15 Euro. Es ging um Widerstand sowie tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Verleumdung und versuchte Körperverletzung. Die Palästina-Parole hatte sie zwischen April und Juli 2024 auf ihrem Instagram-Account und bei Demonstrationen in Berlin die Parole veröffentlicht und skandiert.
Weitere Ankage wegen Parole
Die Staatsanwaltschaft hat am Freitag eine weitere Anklage wegen der Parole „From the River to the Sea“ erhoben. Der 25-jährige Adbul R. soll die Parole 2024 bei einer Demonstration skandiert haben. Zudem soll er in den sozialen Medien Bilder von mit Sturmgewehren bewaffneten Vermummten gepostet haben, dazu das Logo der Terrororganisation „al-Aqsa-Märtyrerbrigaden“.
Der Amtsrichter sah jedoch aus mehreren Gründen keine Strafbarkeit. Die Angeklagte habe nicht die Hamas unterstützen wollen. Dabei bezog sich der Richter auf einen Beschluss des Landgerichts. Die vierte Kammer hatte im April entschieden, dass es in der Rechtsprecherung umstritten sei, ob die Parole ein Kennzeichen der Hamas sei. Der Ausspruch werde „durchgehend und international von verschiedensten politischen Akteuren verwendet, um Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza zu äußern“.
Staatsschutzkammer des Landgericht entschied anders
Allerdings war dies nur ein Beschluss. Zuvor hatte das Amtsgericht zu einer Anklage wegen der Parole kein Verfahren eröffnet. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein, die vierte Kammer lehnte diese ab. Vergessen wird dabei auch, dass die für solche Fälle maßgeblich Staatsschutzkammer die Parole sehr wohl für strafbar hält – und das nicht nur per Beschluss, sondern per Urteil. Die Entscheidung vom November ist rechtskräftig, die Angeklagte hat Revision zurückgenommen. Eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) ist damit nicht absehbar.
Der Richter, der Acar sogar lobte, ist am Amtsgericht Tiergarten kein Einzelfall. Eine andere Amtsrichterin sprach im Juni eine Frau, die die Parole nutzte, frei. Dabei stützte sie sich sogar auf das Gutachten einer Politikwissenschaftlerin, die für das Landeskriminalamt tätig ist. Personen wegen des Spruchs „From the River to the Sea, Palestine will be free“ anzuklagen, halte die Richterin für die „Kriminalisierung von politischem Protest“, notierte die „taz“ vom Prozess.
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Acar hatte die Vorwürfe vor Gericht über ihren Verteidiger gestanden. In einem politischen Statement sagte sie, ihr werde fälschlicherweise Antisemitismus unterstellt. Sie setze sich für das palästinensische Volk ein, sie werde deshalb diffamiert. Die Parole bedeute für sie Gerechtigkeit und Selbstbestimmung.
Eine Gerichtssprecherin erklärte, der Richter habe mit Hochachtung Acars Engagement für die Menschen in Gaza gemeint – mit ihren strafbaren Handlungen habe sie ihr Image beschädigt.