Ein Berliner Aufnahmeprogramm, das Geflüchtete auf eigene Kosten mit ihren Angehörigen zusammenführte, wird vom Bund nicht weiter verlängert. Für viele Betroffene endet damit die Hoffnung, doch Berlin sind die Hände gebunden. Von Jonas Wintermantel
Mahdiah Hashemi wartet bereits seit letztem Jahr auf eine Rückmeldung der Ausländerbehörde, wie sie erzählt. 2024 hat die Afghanin einen Antrag beim Landesamt für Einwanderung gestellt, um ihre krebskranke Schwester aus dem Iran nach Berlin zu holen. Ihre Hoffnung: das Aufnahmeprogramm des Landes Berlin. Das erlaubte seit 2013 die Familienzusammenführung von Geflüchteten aus Syrien, dem Irak und seit 2023 auch aus Afghanistan.
„Ich habe immer hart gearbeitet“
Die Voraussetzung: Die aufgenommenen Personen mussten Verwandte in Berlin haben, die finanziell für sie aufkommen. Die Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung übernahmen die Antragssteller für einen Zeitraum von fünf Jahren. Knapp 3.900 Menschen kamen nach Angaben des Senats seit 2013 auf diesem Weg nach Berlin. Ob dem Land dadurch doch Kosten entstanden sind, wollte die Finanzverwaltung auf rbb-Anfrage nicht mitteilen.
„Ich habe immer hart gearbeitet, um ein gutes Einkommen zu haben, damit ich meine Schwester nach Berlin holen kann – zeitweise sogar in zwei Jobs gleichzeitig und daneben ein Ehrenamt. Jetzt wird das Programm plötzlich gestoppt“, erzählt Mahdiah Hashemi. Neben ihrem Job beim kirchlichen Verwaltungsamt hat sie in Berlin einen afghanischen Frauenverein gegründet, der geflüchtete Frauen bei der Integration unterstützt.
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Nun ist klar: Es wird keine Verlängerung des Programms geben. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) machte deutlich, der Bund wolle keine „Sonderwege“ der Länder mehr.
Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) wollte das Landesprogramm eigentlich verlängern. Dazu gingen aus ihrem Haus seit dem vergangenen Jahr drei Briefe an Finanzsenator Stefan Evers (CDU). Auf einem Landesparteitag der SPD wurde für die Verlängerung gestimmt, auch die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus kämpfte dafür. Denn dass gerade dieses Programm aufgekündigt wird, stößt bei vielen Berliner Sozialdemokraten auf Unverständnis.
„Hier geht es um Menschen, die hier arbeiten, die hier angekommen sind und die es sich leisten können“, sagt Orkan Özdemir, integrationspolitischer Sprecher der SPD im Abgeordnetenhaus. „Das kostet den Staat erstmal nichts. Das heißt: reine Integration. Jetzt kommt Herr Dobrindt und rühmt sich damit, diese Familien auseinanderzureißen. Und die SPD schaut leise im Bund dabei zu.“
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Awo: „Das bekümmert uns“
Der Kreisverband Mitte der Arbeiter-Wohlfahrt (Awo) war bislang die zentrale Anlaufstelle für alle, die über das Landesaufnahmeprogramm nach Berlin gekommen sind. Hier kennt man die Menschen und ihre Geschichten sehr gut. Manfred Nowak, Vorsitzender des Awo-Kreisverbands, reagiert mit Unverständnis auf das Ende des Aufnahmeprogramms: „Das bekümmert uns. Wir hatten gehofft, dass man sich anders entscheidet – im Interesse der Menschen und der Gesellschaft.“
Die Awo hätte mit dem Programm gute Erfahrungen gemacht – die Menschen würden Verantwortung für ihre Angehörigen übernehmen und selbst zahlen, dem Staat würden keine Kosten entstehen, sagt Nowak. „Zur Integration bedarf es Menschen, die mit ihnen vertraut sind. Von daher ist das aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar.“
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CDU: „Es reicht jetzt“
Ganz anders sieht es Burkard Dregger, der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Er stellt sich hinter Dobrindt und seine harte Linie. Deutschland habe in den letzten Jahren schon genug getan, die Kapazitäten – etwa für die Unterbringung, Beschulung oder Kitas – seien „völlig überfordert“.
„Auch wir können irgendwann mal sagen: Es reicht jetzt. Es gibt keinen Grund, das Problem noch zu erhöhen“, so Dregger. Mit der Aufnahme von mehr als zwei Millionen Geflüchteten hätten Deutschland und Berlin gezeigt, dass sie humanitäre Flüchtlingspolitik betreiben würden. „Die politische Entscheidung heißt jetzt, dass wir den Zuzug maximal begrenzen und nicht auch noch anfangen, freiwillig Leute aufzunehmen, die auch in anderen Ländern Schutz finden können.“
Dregger verweist dabei nicht nur auf die aus seiner Sicht ausgeschöpften Kapazitäten, sondern auch auf die großen bestehenden Probleme bei der Integration – das macht er auch fest am „ungeheuren Demonstrationsgeschehen“ mit „extremistischem Inhalt“ in Berlin. Heißt übersetzt: Viele der Menschen, die hergekommen sind, hätten sich schlecht oder überhaupt nicht integriert. Das Argument, dass das Landesaufnahmeprogramm Integration besonders förderte, lässt Dregger nicht gelten.
Die Entscheidung ist gefallen
Für Mahdiah Hashemi ist die Hoffnung, ihre Schwester auf diesem Weg nach Berlin zu holen, erst einmal geplatzt. Auf die Verlängerung des Aufnahmeprogramms kann sie nicht hoffen, die Entscheidung dafür liegt bei Bundesinnenminister Dobrindt. Auch eine Petition, die sie dafür gestartet hat, blieb bislang ohne jede Reaktion. „Das Ganze hat mein Leben stark belastet und durcheinandergebracht“, sagt Hashemi.
Den Befürwortern des Programms im politischen Berlin sind derweil die Hände gebunden, viel mehr als bedauernde Worte können sie nicht mehr beisteuern. Denn das Bundesinnenministerium müsste dafür den Weg frei machen. „Wenn das BMI von vornherein sagt, es gibt diese Hoffnung nicht, dann würden wir da gegen eine Wand fahren“, so SPD-Politiker Özdemir.