Als ich vor Kurzem die Bilder meines Kollegen Ekkehard Hufendiek auf dem Rechner öffnete, war ich ehrlich verblüfft. Er war auf dem Feierabendmarkt in Werther unterwegs gewesen. An einem Dienstag in den Sommerferien. Bei schlechtem bis maximal durchwachsenem Wetter. Aber der Venghauss-Platz in Werthers Zentrum war trotzdem rappelvoll. Wieder einmal.

Fest steht schon jetzt: Die Verantwortlichen haben mit diesem neuen Angebot den Nerv der Menschen getroffen. Die kommen längst nicht mehr nur aus Werther, sondern reisen aus der ganzen Region an. Weil es so wunderbar unkompliziert ist, sich abends auf ein Gläschen zu treffen, ein paar Stände – nicht zu viele – abzubummeln und jedes Mal wieder einen neuen kleinen Akzent serviert zu bekommen.

Über den Feierabendmarkt wird längst auch andernorts gesprochen. Man realisiert, was da im kleinen Werther los ist, wie viel Spaß das macht. Und die Haller Grünen mit ihrer Bürgermeisterkandidatin Friederike Hegemann haben wahlkampftaktisch clever gleich mal einen Feierabendmarkt für Halle beantragt. Offenbar hatten „Freddy“ und die Ortsverbandssprecherin Veronika Karpf in der Nachbarstadt auch mächtig Spaß.

Bedürfnis nach echten Begegnungen zieht die Menschen nach Werther

Die erfolgreiche Veranstaltungsreihe Feierabendmarkt auf dem Venghauss-Platz hat bei seiner 10. Ausgabe nur zu Beginn unter starkem Regen gelitten. - © Ekkehard Hufendiek

Die erfolgreiche Veranstaltungsreihe Feierabendmarkt auf dem Venghauss-Platz hat bei seiner 10. Ausgabe nur zu Beginn unter starkem Regen gelitten.
(© Ekkehard Hufendiek)

Aber warum boomt dieses Angebot so, warum ist es ein kleiner, feiner Markt mitten in der Woche und nicht das nächste große „Festival“ mit Themenschwerpunkt, der offenbar die Menschen anzieht? Es wäre viel zu einfach zu argumentieren: In Werther haben sie ja sonst nichts. Nach dem Motto: In einer ostwestfälischen Kleinstadt werden in der Regel um 19 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt – da rasten alle aus, wenn mal ne Fete ist.

Das Konzept: Feierabendmarkt überzeugt mit Abwechslung

Es geht um viel mehr. Es geht um das Bedürfnis nach echten Begegnungen. Was in Corona lange unmöglich war, hat auch aufgrund des weiter rasanten Aufstiegs von Social Media noch nicht wieder Fahrt aufgenommen. Und im Netz, da verroht nicht nur der Diskurs, da ziehen sich die Menschen auch in ihre Blasen zurück. Beleidigungen Andersdenkender sind an der Tagesordnung, Hass und verbale Angriffe längst traurige Normalität.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Wie „social“ ist es im Internet eigentlich noch? Immer mehr Bots fluten die Portale, ob eine Meinungsbekundung echt oder von einem Algorithmus generiert ist, können die Menschen immer schwerer nachvollziehen. Dieses Phänomen hat längst weitere Bereiche unseres kulturellen Lebens beeinflusst. Das beweist zum Beispiel die Diskussion über die KI-generierte Band „The Velvet Sundown“. Alternative-Rock, nicht vom Menschen, sondern von der Maschine gemacht. Der Gipfel der Entfremdung.

Weniger Hass, mehr „Feierabend“

Ein bisschen scheint es so, als wollten sich die Menschen in Werther davon etwas frei machen. Und das ist eine gute Nachricht. Neben ihrem zunehmend technologisch geprägten Leben wollen sie wieder Dinge erleben, die „echt“ sind. Vor allem die Suche nach zwischenmenschlichem Austausch von Angesicht zu Angesicht bringt sie zusammen. Und dann kann die perfekte Antwort auf all diese gesellschaftlich hochbedeutenden Fragen auch mal ganz simpel lauten: ein Feierabendmarkt.

Landratskandidatin Marie Hauhart aus Steinhagen hat das im Gespräch mit dem „Haller Kreisblatt“ vor Kurzem ebenfalls genau so gedeutet: „Wir brauchen solche Formate, um die Menschen wieder zusammenzubringen.“ Ein bisschen weniger Hass, ein wenig mehr Feierabend. Denn wer miteinander ins Gespräch kommt, lernt auch, zuzuhören. Und entwickelt vielleicht doch wieder Verständnis für andere Positionen. Eine Aussicht, die in unseren lärmenden Zeiten Hoffnung macht.

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