Wissen so vermitteln, dass alle davon profitieren: Das ist eine schwierige Aufgabe für Bildungsträger, für Lehreinrichtungen und für Museen. Immerhin unterscheiden sich Menschen in ihrem Alter, ihrer Kultur, ihrer Sozialstruktur. Und auch in ihren Sinnen. Wer nichts sieht, kann mit einem Schaukasten wenig anfangen. Wer nichts hört, versteht die Führung nicht. Damit auch Menschen mit einer Behinderung, mit Demenz oder schlechten Deutschkenntnissen einen Museumsbesuch genießen können, braucht es mehr als nur Blindenschrift und Rollstuhlfreundlichkeit.

„Kultouren“ für alle

Hier eine Lösung zu finden, ist die Aufgabe von Toni Munkert und Christine Schreier. Munkert ist Museumsführer im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Und er ist sehbehindert. Seine Kollegin Schreier nicht, zusammen bilden sie ein starkes Tandem. Beide sind Teil des Konzepts „Kultouren für alle“ des Nürnberger Caritas-Pirckheimer-Hauses.

In neun Touren führen immer ein Mensch mit und einer ohne Behinderung durch ein Museum, durchs Rathaus oder die Stadt. Munkerts und Schreiers Führung heißt „Vergangenheit verstehen, Zukunft gestalten“ und beschäftigt sich mit der Menschheitsgeschichte.

Führungen für alle Sinne

Sie bieten die Führung einmal im Quartal an. Bei ihrer Tour im Juli sind 16 Personen mit dabei. Munkert hält einen Blindenstock in der Hand. Tandem-Partnerin Schreier reicht ihm ein überdimensioniertes Wollknäuel und Munkert erklärt: „Ein Meter davon sind tausend Jahre“. Munkert spricht langsam und wählt die Worte sorgfältig aus. Schreier ergänzt: „Um die Zeit greifbar zu machen, haben wir ein eigenes Messinstrument erfunden.“ An den wichtigen Stellen der Menschheitsgeschichte hängen kleine Symbole an der Wolle. Wer nichts sieht, kann die Symbole ertasten.

Sehen, hören, fühlen, verstehen: Dass möglichst viele Sinne einbezogen werden, ist bei einer inklusiven Führung wichtig. Und eine leichte, gut verständliche Sprache, auch. Doch auch mit inklusiven Führungen ist es in Museen noch nicht getan, sagt Birgit Tellmann, Inklusionsexpertin vom Bundesverband Museumspädagogik: „Es reicht nicht, eine Ausstellung zu planen und am Ende inklusive Elemente als Add-on draufzupacken“, sagt sie. Richtig ist es umgekehrt: „Das Museum von Anfang an inklusiv zu denken.“

Inklusion auf allen Ebenen

Dazu gehöre auch, sämtliche Mitarbeiter zu solchen Themen zu schulen und Menschen mit Beeinträchtigungen ins Team mit aufzunehmen. Darin würden Museen immer besser werden, sagt Tellmann. „Aber es gibt noch viel Luft nach oben.“ Besonders kleinere Museen mit wenig Budget hätten manchmal Schwierigkeiten bei der Aufgabe. Dabei ist Inklusion in Deutschland seit 2009 Pflicht: Laut UN-Behindertenrechtskonvention haben Menschen mit Behinderung ein Recht an der Teilhabe im gesellschaftlichen Leben. Und eben auch an Bildungsangeboten.

Mehr Sichtbarkeit

Teilhabe bedeutet zudem nicht nur Wissensvermittlung, sagt „Kultouren“-Projektleiterin Diana Löffler: „Eines unserer Ziele ist es, dass Menschen mit Behinderungen ganz selbstverständlich im Stadtbild vorkommen.“ Zwar gehören sie zur Gesellschaft, doch man sehe sie kaum. „Und bei den Touren können ja Menschen mit und ohne Behinderung teilnehmen“, sagt Löffler.

Aussagekräftige Zahlen dazu, wie viele inklusive Führungen und Bildungsangebote es in den deutschen Museen gibt, existieren nicht. Angebote, an denen Menschen mit Behinderung die Touren aktiv mitgestalten, sind laut Löffler aber eher die Ausnahme. Umso wichtiger ist es für Munkert, seine Touren weiterzuführen. Denn: „Die Gesellschaft muss inklusiver werden“, findet er.

Zukunft mitgestalten

Doch bei allem Ernst bringt Munkert in seine Museumsführung auch viel Humor mit ein. „Ich bin hier schon so oft entlanggelaufen, ich würde die Wege blind finden“, sagt er, während er seine Gruppe zum ältesten Globus der Welt führt. Von dem aus geht es weiter zu den Steinzeitmenschen. Zum Schluss der Führung bekommen die Teilnehmer jeweils selbst ein Stück Wolle in die Hand. „Damit könnt ihr die Zukunft selbst mitgestalten“, sagt Schreier. Und gibt zu bedenken: Vielleicht steckt in einem der Fäden ja die nächste Idee, um alle Menschen an Bildungsangeboten teilhaben zu lassen.