„Chaostage“ 1995

Punks, überforderte Polizisten und ein „Bürgerkrieg“

  • t-online-Redakteur Florian Boldt.

02.08.2025 – 07:15 UhrLesedauer: 3 Min.

Polizisten schützen sich mit Schildern, links brennt ein Feuer (Archivbild): Auf Anwohner wirkten die "Chaostage" teils wie ein "Bürgerkrieg".Vergrößern des Bildes

Polizisten schützen sich mit Schilden, links brennt ein Feuer (Archivbild): Auf Anwohner wirkten die „Chaostage“ teils wie ein „Bürgerkrieg“. (Quelle: IMAGO / localpic)

Ein Wochenende im August 1995 erschütterte Hannover und die gesamte Bundesrepublik. Tausende Punks lieferten sich mit Polizisten eine brutale Straßenschlacht.

Im Sommer 1995 übernahmen Punks das Stadtgeschehen in Hannover. Vom 4. bis 6. August sollten erneut sogenannte „Chaostage“ stattfinden. Bereits ein Jahr zuvor, am 6. August 1994, hatten 600 Punks in der Nordstadt rund um das Sprengelgelände randaliert. Sie wollten Hannover „in Schutt und Asche“ legen. Mehr als 30 Menschen wurden verletzt.

Politik, Polizei und Bürger waren gewarnt. Was 1982 als lose Protestverabredung begann – nachdem eine „Punker-Kartei“ der Polizei Hannover bekannt geworden war –, eskalierte im August 1995 zu einem der gewalttätigsten Aufstände der Nachwendezeit. Rund 2.000 Punks trafen auf etwa 3.500 Polizisten aus zehn Bundesländern. Beide Seiten hatten mobilisiert.

Schon am 3. August, noch vor dem offiziellen Beginn, entzündeten 400 Jugendliche eine Straßenbarrikade am Sprengelgelände und bewarfen die Polizei mit Steinen und Flaschen.

Am 4. August, dem ersten offiziellen „Chaostag“, spitzte sich die Lage zu. Gleich zu Beginn lieferten sich Hunderte Punks stundenlange Auseinandersetzungen mit der Polizei. Es flogen Steine, Flaschen, Molotowcocktails, Stahlmuttern und Leuchtgeschosse. Einige Polizisten schleuderten Pflastersteine zurück. 23 Beamte wurden in der ersten Nacht verletzt, 130 Jugendliche festgenommen, 200 kamen in Gewahrsam. „Die Taktik der Deeskalation hat nicht gefruchtet“, sagte ein Polizeisprecher.

„Die sind viel gewalttätiger als im vergangenen Jahr“, kommentierte ein junger Polizist die Lage. „Das ist ja wie im Bürgerkrieg hier“, sagte eine Anwohnerin der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Punker griffen Läden an, beschädigten Autos und plünderten einen Penny-Supermarkt. Am Samstagmorgen glich das Viertel einem Trümmerfeld. Die Polizei hatte sich vorübergehend zurückgezogen. Verstärkung aus anderen Bundesländern war noch nicht eingetroffen. Auch intern mehrten sich kritische Stimmen: Einige erschöpfte Beamte bemängelten eine unentschlossene Einsatzleitung.

Am Ende wurden rund 200 verletzte Polizisten gezählt – und mindestens ebenso viele verletzte Punks. Etwa 1.200 von ihnen wurden in Gewahrsam genommen oder festgenommen. Der Sachschaden betrug über 500.000 Mark. Gegen 335 Punks wurden Strafverfahren eingeleitet.

Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) und Hannovers Polizeipräsident Herbert Sander gerieten unter Druck. Letzterer zog zunächst ein überraschend positives Fazit. „Die Polizei hat es durch ihre Maßnahmen immerhin geschafft, die Innenstadt intakt zu halten“, sagte er. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“