Stand: 02.08.2025 17:17 Uhr

Bei einem Selfie-Unfall beschädigte ein Tourist in Florenz ein Gemälde. Strengere Regeln in den Uffizien sind die Folge. Die Berliner Museen begrüßen dagegen Handy-Fotos vor ihren Werken – mit einer Ausnahme. Von Nathalie Daiber und Anne Kohlick

Der Besucherandrang nimmt spürbar zu, je näher man ihr kommt: Nofretete. Die Büste der altägyptischen Königin steht in einem eigenen Raum – dem eleganten Nordkuppelsaal des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel. Nach über 3.000 Jahren hat ihre Krone noch das originale Graublau, ihre Lippen noch das Rotbraun, das ihnen ein unbekannter Meister im Alten Ägypten verlieh.
 
Kunstwerke, die international so bekannt sind, versammeln in Museen oft Menschenmengen vor sich. Manch einer hat im Pariser Louvre die eher kleinformatige Mona Lisa nur auf den Handy-Screens derer gesehen, die den Blick auf Leonardo da Vincis Gemälde verstellen. „Das ist kein Besucher-Erlebnis, wie wir es uns für die Begegnung mit der Nofretete wünschen“, sagt Friederike Seyfried, die das Ägyptische Museum in Berlin leitet.

Eine Person wird im Selfie-Museum von einer anderen fotografiert. (Quelle: rbb/Marie Kaiser)

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Notbremse aus konservatorischen Gründen

Sie zeigt auf ein Schild am Eingang zu Nofretetes Saal, das Besucherinnen und Besucher auffordert, hinter diesem Punkt nicht mehr zu fotografieren. „Wenn man das möchte, kann man von hier aus ein Selfie machen“, erklärt Friederike Seyfried. Nofretete ist dann zwar nur aus der Distanz zu sehen, aber klar zu erkennen. Die meisten respektieren die Fotoverbotszone und genießen aus der Nähe einen unverstellten Blick auf die Büste. Wer im Saal doch das Handy zückt, wird von den Aufsichten ermahnt, bevor ein Foto entstehen kann.
 
„Als das neue Museum 2009 eröffnete, hatten wir zu Anfang sogar erlaubt zu fotografieren“, erinnert sich Seyfried. „Wir dachten: Das wäre schön, wenn die Leute das dürften. Aber wir mussten das schnell beenden, weil man damals noch analog fotografiert hat und leider zu viele das Verbot für Blitzlicht ignoriert haben.“ In der Masse und über die Zeit hätte das „Foto-Gewitter“ den uralten Pigmenten geschadet, erklärt die Ägyptologin. „Damals war tatsächlich aus konservatorischen Gründen eine Notbremse nötig.“

Den „Mona Lisa“-Effekt vermeiden

Dass heute in direkter Nähe der Büste Fotoverbot besteht, diene aber auch „dem Schutz der Besuchenden“, so die Museumsdirektorin. „Wenn Sie sich dieses außergewöhnliche Objekt in Ruhe anschauen wollen, dann können Sie das nur, wenn es davor keine Fotos gibt. Würden wir das zulassen, dann hätten Sie nicht eine ruhige Minute.“
 
Der Louvre ist für Seyfried in dieser Hinsicht kein Vorbild – und auch andere Museen fürchten den „Mona Lisa“-Effekt. In Zukunft soll in Paris der Besucherandrang vor da Vincis Gemälde entzerrt werden, indem es einen eigenen Raum bekommt – mit separatem Eingang und Sondertickets.

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Bedürfnis nach Selbstinszenierung

Dass Menschen im Museum nicht nur die Werke, sondern auch sich selbst fotografieren wollen, wundert Hans Plesman nicht. Der Niederländer hat vor einem Jahr „The Upside Down Berlin“ gegründet – und dort genau dieses Bedürfnis in den Mittelpunkt gestellt. Der Ausstellungsort in den ehemaligen Arkaden am Potsdamer Platz wird vermarktet als „größte interaktive Social-Media-Experience Deutschlands“.
 
25 Räume bieten unterschiedliche Kulissen – unter anderem ein Bällebad, einen Trabant und ein überdimensioniertes, um 90 Grad gedrehtes Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Spiel – um sich selbst auf Fotos zu inszenieren. Ein reguläres Ticket kostet 23 Euro – neun Euro mehr als der Besuch bei Nofretete im Neuen Museum. Erprobt hat Plesman das Konzept seit 2020 in seiner Heimatstadt Amsterdam – mit einem dortigen „Upside Down“, unter anderem mit kopfstehenden Interieurs. „Der Volksmund nennt solche Orte ‚Instagram-Museum‘, aber ich möchte nicht hochtrabend sein und sagen, dass wir Kunst ausstellen“, sagt Plesman. „Mir geht es darum, dass Leute bei uns Spaß haben. Und wenn sie die Fotos davon in Social Media teilen, umso besser.“

Ich, das Kunstwerk

Mehr Möglichkeiten zur Interaktion sieht er als wichtigen Weg auch für klassische Museen, um Besuchende anzulocken. „Dieser Trend, dass Menschen im Museum mehr wollen, als Objekte anschauen und Informationen konsumieren – der wird bleiben“, sagt er. „Die Leute wollen nicht länger Kunstwerke fotografieren – sie wollen selbst das Kunstwerk sein.“ Für immer mehr Ausstellungsorte wie das „Upside Down“ wird das zum Geschäftsmodell mit Werbung in Social Media, die auch von den Besuchenden generiert und verteilt wird.

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Auf diesen Effekt hoffen auch die Staatlichen Museen Berlin – und erlauben in der Regel das Fotografieren ihrer Werke, ohne Blitz. „Ich selbst liebe es, in Museen Bilder zu machen und tue das auch oft“, sagt etwa die Direktorin der Gemäldegalerie, Dagmar Hirschfelder. Sie weist aber darauf hin, dass auch beim Fotografieren der Sicherheitsabstand zum Kunstwerk eingehalten werden muss.

Selfies als Gefahr

Selfie-Unfälle, bei denen Kunstwerke zu Schaden gekommen sind, kamen in Berlin bislang nicht vor. „Aber bei uns in der Gemäldegalerie berühren Besuchende immer wieder die Wände und versuchen, mit den Fingern darauf zu zeichnen“, sagt Hirschfelder. Auch das hinterlasse irreversible Schäden auf dem empfindlichen Textilbezug.

Im Juni war in den Florentiner Uffizien ein Mann beim Fotografieren rückwärts in ein Gemälde gestürzt; die Leinwand aus dem 18. Jahrhundert riss ein. In Italien wird deshalb verstärkt die Gefahr diskutiert, die für Kunstwerke von Fotografierenden ausgeht. Schon im Frühjahr war die Debatte aufgekommen, nachdem in Verona ein Mann beim Posieren für ein Foto im Palazzo Maffei ausgerutscht war. Bei seinem Sturz hatte er einen mit Juwelen verzierten Stuhl beschädigt. Inzwischen haben die Uffizien angekündigt, das Fotografieren in Zukunft stärker zu reglementieren.

Präsent sein in Social Media

In Berlin sehen Museen wie die Gemäldegalerie Fotos aus ihren Ausstellungen mehr als Chance als eine Gefahr. „Es ist toll für uns, wenn unsere Werke viel geteilt werden und wir präsent sind in den sozialen Medien“, sagt Direktorin Dagmar Hirschfelder. Sie hofft, das Fotografieren im Museum den Besuchenden hilft, eine Verbindung zwischen sich und dem Kunstwerk aufzubauen – zwischen unserem Heute und der Vergangenheit, in der das Bild gemalt wurde. Denn darum sollte es in Museen gehen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 02.08.2025, 19:30 Uhr

Rundfunk Berlin-Brandenburg