Als die Schäffler am Samstag um zwölf nach zwölf Uhr ihre letzte Runde hoch oben an der Rathausfassade drehen, hebt Applaus an. So gut das eben geht, wenn der Großteil des Publikums eine Hand am Regenschirm hat. Der Marienplatz ist voller Menschen, und dass die am Ende des Glockenspiels in so großer Zahl Beifall spenden, ist nicht gewöhnlich. Man muss das wohl als Dankbarkeit begreifen dafür, dass dieser tropfnasse erste Feriensamstag unter freiem Himmel überhaupt irgendetwas Heiter-Hübsches zu bieten hat.
Ana Lidia Melolini steht mit ihrer Großfamilie aus São Paulo in der Menge. Ihre Stimmung? Man muss diese Vokabel bemühen: bedröppelt. „Wir sind wirklich enttäuscht vom Wetter hier“, sagt die Brasilianerin und versucht gleichzeitig ein höfliches Lächeln. Zwölf Tage seien sie jetzt in Europa, und von München hätten sie sich einen strahlenden Himmel erhofft. Tags zuvor haben die Melolinis auf Schloss Neuschwanstein den Schirm gekauft, der sie jetzt zumindest ein bisschen trocken hält. Ihr Tourguide habe ihnen heute für das lausige Wetter abgesagt, deshalb würden sie jetzt mithilfe von Chat-GPT auf eigene Faust durch die Stadt streifen. Als Nächstes geht’s zu Feldherrnhalle, Königsplatz und NS-Dokumentationszentrum. „Wir wollen was über die NS-Zeit wissen“, sagt die Ärztin.
Sie lachen im Regen, auch wenn Ana Lidia Melolini (Mitte) und ihre brasilianische Familie „enttäuscht“ vom Münchner Wetter sind. (Foto: Andrea Schlaier)
Trotz des zuverlässig alle halbe Stunde einsetzenden Platschregens ist erstaunlich viel Leben in der Stadt. Die Cafés sind schnell voll, klar, von drinnen scheint die Suppe draußen gar nicht mal so gruselig. Oben im ersten Stock des nigelnagelneuen Kapsel-Kaffee-Stopps am Marienplatz mit Spitzenblick aufs Herz der Stadt wird rege nach draußen geselfiet. Viele Eltern scheinen den Ferienbeginn mit ihren Kindern für letzte Besorgungen zu nutzen, bevor’s ab in den Urlaub geht.
Beim FC-Bayern-Shop an der Weinstraße drängt die Kundschaft in den Kicker-Tempel. Davor stehen die Heinzes aus den Niederlanden. Die drei Kinder, zehn, neun und sechs Jahre, schieben mächtig Kohldampf. Mama Natalie wirkt etwas zerzaust. Eben hat sie der Tochter, die klitschnass war, eine neue Regenhose gekauft. Davor waren sie alle im „Studio of wonders“, einer Art Fotostudio, wo man sich in gewünschte Welten und Wetterlagen knipsen kann. „Hat euch doch gefallen“, versucht es die Mutter affirmativ. „Ne“, sagt einer der Söhne. Kinder auf Reisen im Regen bei Laune zu halten, ist was für Fortgeschrittene. Am Nachmittag geht ein Teil der Heinzes mit dem Papa in die Allianz Arena. „Und für die andern gibt’s eine Überraschung mit der Mama“, verkündet die 40-Jährige wacker. Was es ist, flüstert sie der Reporterin ins Ohr: „Rikscha-Fahrt“.
Um ihre Kinder im nassen München bei Ferienlaune zu halten, legen sich die Heinzes aus den Niederlanden mächtig ins Zeug. (Foto: Andrea Schlaier)
Wer sich auskennt in der Stadt, der flüchtet ins Trockene. Die Besucher-Schlange am Eingang zum Museum Mensch und Natur in Nymphenburg reicht bis hinaus in den Regen. Gleich hinter der hölzernen Pforte formiert sich eine Insel aus abgestellten Kinderwagen.
Im Museum Mensch und Natur: Regenschrime am Eingang (Foto: Florian Peljak)
Morgens Bouldern, nachmittags ins Museum Mensch und Natur. Den Mienen nach sieht’s nach einem geglückten Ferientag aus bei Alexander Sperl und seiner Familie. (Foto: Florian Peljak)
Alexander Sperl sitzt mit seinen drei Kindern im ersten Stock vor der Vitrine mit den ausgestopften Waldtieren, der Fuchs hat’s ihnen besonders angetan. „Vorher waren wir schon unten bei den Gesteinen und der Planetenentstehung“. Der Naturwissenschaftler kann dem Programm sichtlich was abgewinnen. Der 42-Jährige hat selbst lange in München gelebt, kennt sich aus. „Am Morgen waren wir in Freiham beim Bouldern.“ Da konnten sich die Kinder körperlich schon verausgaben.
Kiyan, sechs, steht gegenüber gebannt vor der japanischen Riesenkrabbe. „Am besten gefällt mir aber da drüben der Eisbär, weil Weiß meine Lieblingsfarbe ist.“ Seine Mama Melissa Massumi, das neun Monate alte Baby in der Trage auf dem Rücken, einen leeren Buggy in der Hand und nach zwei abgängigen Kindern Ausschau haltend, ist erstaunlich gesammelt. „Hier ist es so toll, weil es für jedes Kind was zum Anschauen gibt“, sagt die Dachauerin. „Daheim wäre ich heute etwas ratlos.“
„Hier ist es so toll, weil es für jedes Kind was zum Anschauen gibt“, sagt Melissa Massumi aus Dachau. (Foto: Florian Peljak)
Die ganz Hartgesottenen, und es sind gar nicht mal so wenige, treffen sich am Samstag im Olympiapark im kleinen Biergarten unterm aufgespannten Tuchdach. Die Unterbrunner Blaskapelle gibt ihr Bestes. Am Freitag wurde hier das „Sommerfestival“ eröffnet, das bis 24. August dauert. Eine Art kleine Familien-Wiesn mit Kinderaktionen und abendlichen Konzerten im Theatron. Extra-Programm gibt’s an den Wochenenden, diesen Sonntag war der Dackel-Day ausgerufen.
Die Schausteller müssen zum Start allerdings Geduld haben, im Regen will sich kaum einer in die Luft schaukeln lassen. Selim und seine Mutter Rasha Kotb schon. Die steuern aber auch die trockenen Kabinen des Riesenrads an. „Wir sind aus Kairo und kommen jedes Jahr zum Sightseeing her, damit ich mein Deutsch, das ich in der Schule lerne, während der Ferien nicht wieder vergesse“, sagt der 14-Jährige.
Beim Sommerfestival im Olympiapark drehen am Wochenende Hartgesottene ihre Runden im Regen. (Foto: Florian Peljak)
Rasha Kotb und ihr Sohn Selim kommen aus Kairo und sind unterwegs zum Riesenrad. (Foto: Florian Peljak)
„Luft 15,1 °C, Wasser 21,1 °C“ zeigt die Tafel im neuen Naturbad Georgenschwaige um 15.10 Uhr. Es ist neben dem städtischen Schyren- und dem Prinzregentenbad das einzige, das bei Temperaturen unter 20 Grad überhaupt noch aufmacht. Was soll man sagen: menschenleer – fast. Ein Paar im Wasser, ein Paar beim Abtrocknen an Land. Alle vier: glücklich. „Man hat an solchen Tagen seine Ruhe“, schwärmt Jacqueline Faßbender mit der Mütze über dem nassen Haar. Ihr Mann Thomas kommt strahlend und mit dem Handtuch in der Hand aus der Umkleide. „Im Wasser ist es wärmer als draußen.“
Thomas Faßbender genießt die Ruhe an Schlechtwettertagen im dann leeren Becken im Naturbad Georgenschwaige. (Foto: Florian Peljak)
Auch Martina Nußberger und ihrem Cousin Hans Peter Wittig verdirbt das Mistwetter nicht die gute Laune. (Foto: Florian Peljak)
Martina Nußberger, 67, zieht noch mit ihrem Cousin Hans Peter Wittig, 65, der aus Oregon zu Besuch ist, ihre Bahnen im chlorfreien Wasser. „Ich bin nur bei lausigem Wetter im Freibad, weil es dann viel schöner und keiner da ist.“ Mistwetter macht gute Laune. Auch.