Schätzungsweise 230.000 Jesiden leben in Deutschland. Obwohl sie im Nordirak verfolgt werden, können sie abgeschoben werden. Viele Betroffene fürchten um ihre Zukunft.
Shivan Khorto arbeitet seit fünf Jahren im Schülerhaus der Albschule in Stuttgart-Degerloch. Der 42-Jährige betreut Grundschüler bei ihren Hausaufgaben, begleitet sie bei Freispielen und in Ferienangeboten. Die Arbeit mache ihm große Freude, sagt er, denn er habe schon im Irak als Lehrer gearbeitet. „Die Arbeit mit Kindern liegt mir sehr am Herzen und ich finde es toll, dass ich in Deutschland damit weitermachen kann.“
Shivan Khorto arbeitet als Erzieher in Stuttgart
Im Schülerhaus der Albschule absolvierte er eine Ausbildung zum Erzieher. „Er bringt Ideen ein, ist verlässlich und arbeitet mit Leidenschaft“, sagt Einrichtungsleiterin Caroline Lohse über Khorto. Sie begleitet ihn bereits seit fünf Jahren. „Wir sind froh, dass er nach seiner Ausbildung geblieben ist.“
Ich durfte nur in Dörfern und Städten unterrichten, in denen Jesiden leben und zur Schule gehen.
Shivan Khorto ist Jeside und gehört damit einer ethnisch-religiösen Minderheit an. Im Nordirak werden religiöse Minderheiten – besonders Jesidinnen und Jesiden – massiv ausgegrenzt und diskriminiert. Das hat Khorto auch als Lehrer erlebt. In Schulen mit muslimischen Schülern wurde ihm untersagt, zu unterrichten. Obwohl er Mathe und Geschichte lehrte und nicht Religion.
Genozid an den Jesidinnen und Jesiden
Am 3. August 2014 überfielen IS-Terroristen die Sindschar-Region im Nordirak. Laut Bundeszentrale für politische Bildung wurden dabei rund 5.000 Menschen getötet und etwa 7.000 verschleppt. Frauen und Mädchen seien Opfer von sexueller Gewalt und systematischer Vergewaltigungen geworden. Anfang 2023 erkannte der Bundestag die Verbrechen des Islamischen Staats an den Jesidinnen und Jesiden als Völkermord an.
Flucht vor Islamisten nach Deutschland
Als die IS-Milizen damals näher rückten, konnte Khorto mit seiner Ehefrau Rana und ihrem ersten Kind aus seinem jesidischen Heimatdorf Khanke flüchten. Khanke ist eine Stadt in der irakischen Provinz Dahuk und war ein sogenanntes „Modelldorf“ für Jesidinnen und Jesiden, das unter Saddam Hussein in den 1980er Jahren am Reißbrett entstand. Bis 1987 wurden die Bewohner aus 14 jesidischen Dörfern vertrieben und nach Khanke umgesiedelt.
Seit 1999 wird die jesidische Bevölkerung immer wieder vertrieben und stattdessen arabische Muslime an den Orten angesiedelt. Nach der Massenflucht der Jesidinnen und Jesiden aus der Sindschar-Region wurde in Khanke ein aus Zelten bestehendes Flüchtlingslager errichtet. Dort leben die Geflüchteten bis heute unter erbärmlichen Bedingungen, weil es sonst keine Perspektive gibt.
Familie Khorto ist aus dem Nordirak nach Deutschland geflohen. Sie gehören den Jesiden an – einer verfolgten Minderheit.
Befristeter Aufenthalt in Deutschland – ein Leben in der Warteschleife
Vor elf Jahren gelang Shivan Khorto die Flucht über die Türkei nach Deutschland. Damals flüchteten auch viele andere Jesidinnen und Jesiden in die Bundesrepublik. Mittlerweile leben hier schätzungsweise rund 230.000 Mitglieder der Minderheit. Damit gibt es hierzulande die größte jesidische Diaspora Europas.
Khortos Ehefrau Rana macht zurzeit eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten, zwei der drei Kinder sind hier geboren. Doch die fünfköpfige Familie lebt in der Ungewissheit, ob sie hierbleiben darf. Sie haben eine Aufenthaltserlaubnis, die alle zwei Jahre verlängert werden muss. Doch Termine bei der Stuttgarter Ausländerbehörde sind rar. „Ein Leben in der Warteschleife“, erklärt Khorto.
Wir haben immer Angst, wieder in den Nordirak abgeschoben zu werden. Das ist eine schwierige Situation, das lässt uns keine Ruhe. Wenn wir in Angst leben, spüren das auch unsere Kinder.
Erst vor kurzem wurde seine Aufenthaltserlaubnis wieder um zwei Jahre verlängert. Doch auf diesen Termin wartete Shivan Khorto monatelang, trotz abgelaufener Aufenthaltsfrist.
Um weiter in der Albschule arbeiten zu können, erhielt er eine sogenannte Fiktionsbescheinigung. Ein Dokument, das eine Abschiebung aussetzt, bis über eine Verlängerung des Aufenthaltstitels entschieden wird. Wie viele Jesidinnen und Jesiden in Deutschland Probleme mit Aufenthaltstiteln haben, ist nicht bekannt. Nur die etwa 1.100 Jesidinnen und ihre Kinder, die 2014/2015 in einem Sonderkontingent nach Baden-Württemberg ausgeflogen wurden, haben einen gesicherten Schutzstatus.
Weilheim
Der Jeside Faisal K. soll zurück in den Irak. Seine Arbeitgeberin will ihn aber unbedingt im Betrieb halten. Es gibt aber auch Sorgen um seine Sicherheit im Irak.
Do.5.6.2025
19:30 Uhr
SWR Aktuell Baden-Württemberg
SWR BW
Viele Jesiden sind von Abschiebung bedroht – trotz Verfolgung im Nordirak
Viele Jesidinnen und Jesiden sind in Deutschland von Abschiebung bedroht. Die nordirakische Regierung will, dass sie wieder in ihre Heimatdörfer zurückkehren. Doch die Lage ist angespannt und im Nordirak werden Jesidinnen und Jesiden weiter von Islamisten verfolgt. Auch in Khanke fühlen sie sich nach wie vor von „orthodoxen“ Muslimen aus der Umgebung bedroht. Sie wissen nicht, wer von ihnen einst mit dem IS gekämpft hat und wem sie trauen können. Islamisten halten Jesidinnen und Jesiden für Ungläubige, erklärt Psychologe und Orient-Experte Jan Ilhan Kizilhan, der regelmäßig in den Nordirak reist und traumatisierte Jesiden behandelt. Sie werden bedroht und von Muslimen diskriminiert, erklärt er.
Die Bedrohung ist konkret. (…) Je radikaler sie sind, desto mehr glauben sie, dass Jesiden nicht das Recht haben, dort zu leben. Wenn Sie pro-islamistisch sind, die Ideen der IS weitertragen, dann gehen sie noch stärker gegen Jesiden vor.
Seit zehn Jahren lebt Shivan Khorto in Deutschland und kämpft darum, hier dauerhaft und in Sicherheit leben zu können. „Wir tun seit 2015 alles, um uns in Deutschland zu integrieren.“
Wir lernen deutsch, machen eine Ausbildung und arbeiten. Das gefällt uns und so machen wir weiter. Aber wir brauchen auch Sicherheit.