Stipendium für Antisemitin? –
Sie kam aus Gaza, um in Lille zu studieren – dann tauchten unsägliche Posts auf
Eine Studentin aus Gaza sollte im Rahmen eines Hilfsprogramms in Frankreich einen Master machen können. Antisemitische Posts beenden diesen Traum – und vorerst auch das Programm.
Publiziert heute um 19:21 Uhr
Eine renommierte Uni: Sciences Po in Lille sollte Nour A. aufnehmen – nun wird ihre Einschreibung wieder gelöscht.
Foto: AFP
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Ein Skandal bewegt viele Menschen in Frankreich. Nour A., eine Rechtsstudentin aus Gaza, 25 Jahre alt, war erst vor ein paar Wochen von Frankreich eingeladen worden, ihre kriegsversehrte Heimat zu verlassen und in einer französischen Universität weiterzustudieren. Mit einem Stipendium der Regierung, im Rahmen eines Hilfsprogramms. Empfohlen hatte sie und rund 300 weitere junge Palästinenser das französische Generalkonsulat in Jerusalem. Nour A. erfüllte alle Kriterien.
Man fand für sie einen Masterkurs an der Universität Sciences Po in Lille. Ihr Zimmer aber war noch nicht frei, und so überliess der Direktor des Instituts, Étienne Peyrat, seine eigene Wohnung der jungen Frau, weil er selbst gerade in den Ferien war. Der Radiosender RMC besuchte Nour A. in Lille. Im Interview sagt sie, sie sei glücklich, «endlich einen ruhigen Ort» gefunden zu haben, weit weg von den Bomben.
Eine gute Geste und das Gesicht dazu: RMC zeigte auf seiner Webseite ihr Foto, hell lächelnd.
Der Innenminister ist empört
Ein paar Tage später publizierte dann die Sonntagszeitung «Journal du Dimanche» unsäglich antisemitische Posts und Retweets von X, von denen es hiess, sie stammten vom Profil von Nour A. aus Gaza. Auf einem Post sieht man den Kopf von Adolf Hitler, dazu den Aufruf, alle Juden zu töten.
Der Artikel löste schnell Reaktionen aus. Bruno Retailleau, Frankreichs rechter Innenminister, schrieb auf X, «die Propagandisten von Hamas» hätten in Frankreich nichts zu suchen, Nour A. gehöre sofort ausgewiesen. Sein Ministerium trage für den Fall aber keine Verantwortung, die liege ganz beim Aussenministerium.
Auch der Direktor von Sciences Po Lille wehrte sich gegen jede Kritik der Nachlässigkeit. Die Auswahl, sagte er, habe das Aussenministerium getroffen; der Universität falle nur die Aufgabe zu, die akademische Eignung der Studentinnen und Studenten zu überprüfen.
Untersuchung eingeleitet
Die Einschreibung von Nour A. an der Sciences Po Lille wurde nun wieder gelöscht, ihr Masterstudium hätte im September beginnen sollen. Die Universität, die wie viele andere französischen Hochschulen im Nachgang zum Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem Gegenschlag der israelischen Armee von politischen Unruhen erschüttert wurde, hat eine Untersuchung eingeleitet.
Man will auch ganz sicher sein, dass dieses Profil, von dem kompromittierende Screenshots zirkulieren, tatsächlich Nour A. gehört. Aber so viel ist schon mal sicher: Die Posts, schreibt Sciences Po Lille ebenfalls auf X, widersprächen frontal allen ihren Werten, «ihrem Kampf gegen Rassismus, gegen Antisemitismus, gegen alle Diskriminierungen und gegen alle Appelle zum Hass, gegen welchen Bevölkerungsteil der auch immer gerichtet ist». Am Sonntag verliess die junge Frau Frankreich, Richtung Katar.
Er fror das Programm nun ein: Frankreichs Aussenminister Jean-Noël Barrot (rechts) neben seinem saudischen Amtskollegen Faisal bin Farhan al-Saud an der UN-Konferenz für Nahost letzte Woche.
Foto: AFP
Der Fall von Nour A. hat unmittelbare Folgen für andere Flüchtlinge aus Gaza, die auf eine Aufnahme in Frankreich gehofft hatten: Aussenminister Jean-Noël Barrot beschloss, dass das Programm so lange ausgesetzt würde, bis alle Schwachstellen im Auswahlsystem überarbeitet seien. Sein Ministerium werde nun auch noch mal die persönlichen Hintergründe aller Teilnehmer des Programms durchleuchten, die sich bereits in Frankreich aufhielten.
Sorge um die diplomatische Initiative für Palästina
Die politische Nervosität hat mindestens zwei Gründe. Erstens wird der Nahostkonflikt in Frankreich, wo die jeweils grösste muslimische und grösste jüdische Gemeinde Europas leben, immer mit besonderer Dinglichkeit erlebt. Zweitens bemüht sich Frankreich gerade, möglichst viele westliche Staaten, die das noch nicht tun, dafür zu gewinnen, dass sie Palästina als Staat anerkennen.
Israels Regierung kritisiert Emmanuel Macron für diesen Vorstoss hart. Sie wirft dem französischen Präsidenten vor, ein «Handlanger der Hamas» zu sein. Wenn Frankreich jetzt nicht sehr entschlossen gegen eine Studentin aus Gaza vorgeht, die offenbar antisemitische Posts abgesetzt hat, würde Paris vielleicht auch die Dynamik seiner diplomatischen Offensive gefährden.
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