Bilder haben Macht, ganz besonders im Nahostkonflikt. Am 7. Oktober 2023 erschütterten erst die Aufnahmen vom Terrorangriff der Hamas auf die israelische Bevölkerung, in den vergangenen Monaten vor allem die Fotos von ausgehungerten Kindern im Gazastreifen, in den kaum noch Essen und Hilfsgüter gelangen.

Thomas Seibert berichtet für den Tagesspiegel aus Istanbul über den Nahen Osten.

Jetzt sind es neue Bilder, die die Brutalität dieses Krieges zeigen: Ein bis auf die Knochen abgemagerter junger Mann gräbt in einem engen Tunnel mit einer Schaufel – sein eigenes Grab, wie er sagt. Der neue Videoclip der Hamas zeigt den 24-jährigen Evjatar David, eine der noch 20 lebenden Geiseln der Terrorgruppe im Gazastreifen.

Hamas ist auf Konfrontationskurs

Mit dem grausamen Video erschwert die Hamas die ohnehin schwierigen Vermittlungsbemühungen. Mit ihrem Nein zu einer Entwaffnung ist sie derzeit auf Konfrontationskurs zu arabischen Staaten, Israel und die USA wollen nun in den laufenden Gesprächen über eine neue Feuerpause ihre Taktik ändern.

Führende arabische Staaten wie Saudi-Arabien und Katar hatten vor wenigen Tagen erstmals gefordert, die Hamas solle ihre Waffen niederlegen und die Macht in Gaza abgeben. Die Araber verstärkten auch ihre Bemühungen, der Vision einer Zwei-Staaten-Lösung neuen Schwung zu verleihen.

Westliche Staaten wie Frankreich, Großbritannien und Kanada kündigten an, ein unabhängiges Palästina anzuerkennen, wenn die israelische Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine Waffenruhe verhindern sollte.

Evjatar David war am 7. Oktober 2023 auf dem Musikfestival Nova und wurde dort von der Hamas verschleppt.

© IMAGO/ZUMA Wire/Imago/Bring Them Home Now

„Die Anerkennung eines palästinensischen Staates dient dazu, Druck auf Israel auszuüben, um die Gespräche über die Waffenruhe voranzutreiben“, sagt der Nahost-Experte Joe Macaron von der US-Denkfabrik Wilson Center dem Tagesspiegel.

Ob das gelinge, sei unsicher. Bisher habe die internationale Gemeinschaft die Israelis nicht dazu bewegen können, den Krieg zu beenden.

Joe Macaron ist Nahost-Experte bei der US-Denkfabrik Wilson Center.

Eine möglichst breite internationale Anerkennung Palästinas sei für arabische Diplomaten eine wichtige Wegmarke, sagt Omar Rahman von der Denkfabrik Middle East Council in Katar dem Tagesspiegel. Saudi-Arabien habe seit mehr als einem Jahr daran gearbeitet, westliche Regierungen zu diesem Schritt zu bewegen.

Arabische Staaten wollen nach Einschätzung von Rahman ein Gesamtpaket schnüren, das eine Waffenruhe für Gaza als Beginn einer umfassenden Friedenslösung inklusive einer Perspektive für den Palästinenser-Staat definiert. Der Ruf nach Entwaffnung der Hamas gehört dazu.

Omar Rahman ist Fellow beim Middle East Council on Global Affairs, wo er sich auf Palästina, die Geopolitik des Nahen Ostens und die amerikanische Außenpolitik in der Region konzentriert..

Diese Initiative hat bisher aber keine greifbaren Ergebnisse gebracht. Die Türkei etwa distanzierte sich von der Forderung.

Auch die Hamas will sich dem Druck der Araber nicht beugen. Ihr bewaffneter Kampf gegen Israel werde bis zur Gründung eines Palästinenser-Staates mit der Hauptstadt Jerusalem weitergehen, erklärte die Terrorgruppe, die den Gaza-Krieg am 7. Oktober 2023 mit ihrem Angriff auf Israel begonnen hatte.

Die neuesten Aufnahmen der Terrorgruppe zeigen einen abgemagerten Evjatar David nach über 660 Tagen in Geiselhaft.

© AFP/-

Mit dieser Erklärung reagierte die Hamas auf Äußerungen des US-amerikanischen Nahost-Gesandten Steve Witkoff. Er hatte bei einem Israel-Besuch gesagt, die Terrorgruppe sei zur Entwaffnung bereit.

Fast zeitgleich mit ihrem Dementi veröffentlichte sie die Videos von der Geisel David. Die mit ihr verbündete Gruppe Islamischer Dschihad veröffentlichte außerdem Aufnahmen des Deutsch-Israelis Rom Braslavski, der ebenfalls seit Oktober 2023 in Geiselhaft sitzt.

Zwischen der Hamas und den arabischen Staaten gab es schon vorher Spannungen. Khalil al-Hayya, Chef des politischen Flügels der Organisation, warf Ägypten vor, nichts gegen die Hungersnot in Gaza zu tun, und rief Palästinenser in Jordanien zum Aufstand auf. Jordaniens Regierung wies Hayyas Äußerungen zurück.

In Tel Aviv hab es nach der Veröffentlichung der Aufnahmen zu Protesten, die ein Ende des Gaza-Krieges forderten.

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Die Provokationen der islamistischen Terrororganisation sind besonders für die arabischen Gaza-Vermittler Ägypten und Katar ein Problem. Sie haben in den bisherigen Verhandlungen versucht, die Terrorgruppe zu Zugeständnissen zu bewegen.

Hayya und andere führende Hamas-Funktionäre leben in der katarischen Hauptstadt Doha, wo auch die jüngsten Gaza-Verhandlungen stattfanden.

USA und Israel besprechen neuen Plan

In Doha ging es zuletzt um eine 60-tägige Waffenruhe in Gaza mit der Freilassung von zehn lebenden Geiseln sowie von palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen. Der Plan sah vor, dass Israel und die Hamas während dieser Zeit über eine Verlängerung der Kampfpause und die Freilassung weiterer Geiseln reden sollten.

Nun aber erwägen Israel und die USA einen neuen Kurs: Präsident Donald Trump wolle, dass alle lebenden 20 Geiseln auf einen Schlag freikommen, sagte Witkoff. „Stückwerk“ bei den Verhandlungen bringe nichts. Ab sofort solle es um „alles oder nichts“ gehen.

Witkoff sprach bei seinem Israel-Besuch mit Ministerpräsident Netanjahu über diesen neuen Plan, wie die Nachrichtenseite Axios meldete.

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Neben der Freilassung aller Geiseln zählt dazu demnach die Entwaffnung der Hamas und eine Demilitarisierung des Gazastreifens. Eine endgültige Entscheidung über die Kursänderung gebe es aber noch nicht, meldete Axios unter Berufung auf israelische Regierungskreise.

Die Hamas hatte sich schon mehrfach zu einer sofortigen Freilassung aller Geiseln bereiterklärt. Ihre Bedingung dafür ist allerdings, dass Israel mit einer solchen Vereinbarung das Ende des Gaza-Kriegs ausruft und seine Truppen aus dem Küstenstreifen abzieht. Das lehnt Netanjahu bislang ab.