So eine Großstadt ist nichts für schwache Nerven. Zu viele Menschen, zu laut, zu viele Abgase, zu hektisch. Zu viel von allem. Solange man jünger ist, findet man das urbane Bohei einigermaßen erträglich bis cool, doch mit den Jahren stellt sich selbst bei eingefleischten Städtern bisweilen eine Ernüchterung ein. Man beginnt über Alternativen nachzudenken, auf Immobilienportalen zu suchen, achtet bei Ausflügen übers flache Land auf „Zu verkaufen“-Schilder, selbst wenn der Blick aufs Konto höchstens den Erwerb eines Vogelhäuschens erlaubt.

Alte Höfe mit Potenzial

Egal. Stets sind es Bauernhäuser mit Gärten, die die Fantasie beflügeln; verlassene Dorfschulen, alte Höfe mit Baumbestand, auch aufgegebene Werkstätten und Remisen mit industriellem Charakter. Und natürlich diese ästhetisch unschlagbaren windschiefen Scheunen mit dem viel zitierten Potenzial, die man sich vor dem geistigen Auge schön malt, besser gesagt: schön renoviert.

Doch wer sich mit Architektur ein wenig beschäftigt, weiß: Leidenschaft und handwerkliches Geschick allein taugen nicht als Fundament solch einer wichtigen Unternehmung. Gleichgültig, ob dieser Sehnsuchtsort Zweitwohnsitz oder Lebensmittelpunkt sein soll – Überraschungen sind bei Bestandsbauten die Regel. Viele kennen sich beim Denkmalschutz nicht aus, der nicht selten greift, oder die Bauherren verzweifeln endgültig, wenn sich der kreative Umbau als ruinöser Sanierungsfall mit immensen Zusatzkosten entpuppt.

Deswegen ist es immer ratsam, bei älteren Objekten auf Experten zu setzen. Der Stuttgarter Architekt Thilo Holzer hat sich auf das Umbauen im Bestand spezialisiert und hat für seine Arbeiten schon zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Als er für eine fünfköpfige Familie ein altes Gehöft in Grafenau sanieren sollte, war er selbst begeistert. Grafenau ist eine Gemeinde im Landkreis Böblingen, und der besagte Hof stammt aus dem Jahre 1680. Es war einer der ersten Bauernhöfe des Dorfes und befindet sich ganz in der Nähe der Kirche. Eine alte Blutbuche steht noch inmitten des u-förmigen Gebäudeensembles.

Der Stuttgarter Architekt Thilo Holzer. Foto: holzerarchitekten

Zum Wohnhaus gehörten über die Jahrhunderte logischerweise eine Scheune sowie Stallungen für das Vieh. Die Gebäude waren auf den ersten Blick noch halbwegs gut erhalten, als die Familie das Bauernhaus 2019 erwarb. „Der sanierungsbedürftige Bestand stammte aus dem 17. Jahrhundert und war im Lauf der Zeit mehrfach umgebaut worden. Doch der reizvolle Charakter des ehemaligen Bauernhauses blieb erhalten“, sagt Thilo Holzer.

Die früheren Eigentümer hatten bereits in den 1950er und 1970er Jahren Teile des Gebäudes nach eigenen Vorstellungen saniert, ein Baudenkmal war es daher längst nicht mehr. Der Wunsch der jetzigen Eigentümer: eine zeitgemäße Modernisierung – und eine ästhetisch überzeugende Gestaltung. Deswegen Thilo Holzer. Doch woher weiß man, welches Architekturbüro das Richtige ist? „Das Internet hat uns zusammengebracht“, erinnert sich der Bauherr lachend, wohl wissend, dass Internetfundstücke risikobehaftet sein können.

Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen

Gegen Mut und Mundpropaganda ist nichts einzuwenden. Doch wer gerade bei umfangreichen Sanierungsmaßnahmen professionelle Unterstützung sucht, sollte sich sicherheitshalber an die Architektenkammern wenden. Denn Probleme gibt es fast immer.

Auch in Grafenau war es nicht anders. Nach den ersten Arbeiten im Haus war recht bald klar: Die obere Etage war so nicht mehr tragfähig. „Dass das Obergeschoss nicht zu retten war, war zunächst ein Schreck für die Bauherrenfamilie, und plötzlich stand sogar der Abbruch des Projekts im Raum“, erinnert sich Thilo Holzer. Die zusätzlichen Kosten und der Zeitverzug stressten alle.

Doch der erfahrene Architekt improvisierte, legte ein schlüssiges Sanierungskonzept vor, und überzeugte die Familie schließlich vom Weiterbau. Der Plan beinhaltete auf dem Rückbau des Obergeschosses, an dessen Stelle wurde ein Holzbau gefertigt, ohne die ursprüngliche Dimension des Baukörpers zu verändern. „Für die Kehlbalken und Teile des Innenausbaus haben wir die ursprünglichen Bestandshölzer und Balken wiederverwendet“, erklärt Thilo Holzer.

Anders beim Erdgeschoss mit seinen bis zu 60 Zentimeter dicken Wänden, das komplett erhalten werden konnte. Auch die Treppe vom großen Gewölbekeller ins Erdgeschoss konnte übernommen werden, selbst das Treppenhaus konnte an gleicher Stelle platziert werden.

Im Erdgeschoss wurden der ursprüngliche Kuh- und Pferdestall zu einem Hobby- und Fitnessraum umgebaut, welcher später zu einer barrierefreien Einliegerwohnung für ein Mehrgenerationenhaus umgenutzt werden kann. Bei der Besichtigung herrschen 34 Grad Celsius, ein schwülheißer Frühsommernachmittag. In dem Hobbyraum aber, in dem der Bauherr seine „Man Cave“ mit Musikanlage samt Plattenspieler, Designersitzmöbeln, Büchern und Fahrrädern dekoriert hat, sind es angenehme 21 Grad Celsius, ein wunderbar temperiertes Große-Jungs-Refugium zum Runterkommen, für das man Eintrittskarten verlangen könnte.

Oben kommt die Familie zusammen

Ganz oben kommt die Familie zusammen. Wegen des spannend geschnittenen Dachraumes und der dazugehörigen Galerie wird hier gewohnt, gegessen und gekocht. Im Dachgeschoss befindet sich auch das Elternschlafzimmer, das Obergeschoss wurde zur Kinderebene mit drei Jugendzimmern, einem dazugehörigen Bad und WC. Hier spielt sich das Leben ab, zwischen einer Küche mit dunklen Fronten, einem langen Tisch und den farbigen Eames-Chairs.

Die Glasschiebetüren, die sich zum großen Balkon öffnen, bieten eine tolle Aussicht, die im Frühjahr nur noch vom blühenden Kirschbaum übertroffen wird. Die Farbgebung im Wohnraum ist überall streng reduziert, und dennoch wirkt alles behaglich. Unter den Dachschrägen wurden vom Schreiner praktische Einbauschränke verbaut, die Qualität ist überall sicht- und fühlbar, die Spaltmaße bei den Einbauten scheinen ziemlich perfekt. „Wir hatten sehr gute, engagierte Handwerker“, sagt der Bauherr.

Die Scheune beheimatet zwischenzeitlich eine umweltfreundliche Pelletheizung und eine Werkstatt, im Ziegenstall soll später noch eine Außenküche installiert werden. Der Boden des Hofes und der Einfahrt wurde frisch mit Pflastersteinen belegt. Die Außenansicht des Hauses offenbart keine Widersprüche, die neue Holzkonstruktion auf dem Bestand fügt sich harmonisch.

Die annähernd schwarze Außenhaut sorgt für einen echten Wow-Effekt. „Die dunkle Lattenfassade ist ein gestalterisches Element, orientiert sich an den bestehenden Hofgebäuden und schließt die auskragenden Balkone mit ein“, erklärt Thilo Holzer.

Diese Sanierung in Grafenau ist eine schöne Blaupause für eine gelungene Nachverdichtung im ländlichen Raum. Viele besonders reizvolle Häuser und Höfe brauchen mehr als nur eine großstädtische Neurose. Sie benötigen ein gutes Nutzungskonzept, den sensiblen Umgang mit der historischen Bausubstanz und ein Gefühl für Materialien.

Keine Reue

Und nicht zuletzt erfahrene Architekten und resiliente Bauherren. „Finanziell gesehen, hätten wir fast locker ein neues Haus bauen können“, gesteht der Bauherr mit einem vielsagenden Lächeln. Dennoch sei ein Neubau aber nie ein Thema gewesen. „Wir wollten unbedingt dieses alte, charmante Hofensemble zu neuem Leben erwecken. Trotz dieser Überraschung: Wir bereuen nichts. Wir sind absolut glücklich mit unserer Entscheidung für dieses Haus“, sagt der Bauherr.

Einfach-gute-Häuser-Award

Darüber hinaus ist der Umgebung zu wünschen, dass sich das sanierte Haus in seiner raffinierten Schlichtheit als gelungenes nachahmenswertes Beispiel erweist und die Nachbarschaft positiv beeinflusst. In Grafenau zumindest sind schon zahlreiche Bewunderer, oft Nachbarn, vorbeigekommen, um der Familie zu gratulieren.

Dass das von Thilo Holzer umgebaute Bauernhaus „K05“ schließlich auch noch eine Auszeichnung beim diesjährigen Häuser-Awards „Einfach gute Häuser“ erhalten hat, wundert eigentlich nicht mehr. Und auf der Fahrt zurück in die große, nervige Stadt, denkt man nur: Vielleicht sollte man den Traum von einem Haus auf dem Lande doch nicht aufgeben.

Weitere Bilder zum Umbau in Grafenau finden sich in der Bildergalerie.