Im Erzählband „Die Heimsuchung des Hadschi Hotak“ von Jamil Jan Kochai rettet ein Junge namens Mirwai seinen Vater vor einem Schicksal voll Schmerz, Flucht und Sehnsucht – wenn auch nur in einem Computerspiel.
Vor den Augen Mirwais baut sich eine digitale Landschaft auf. Sie kommt ihm vertraut vor – von Fotos, von Erzählungen und von Erinnerungen an eine Reise dorthin. Vor vielen Jahren, als er noch klein war.
Afghanistan. Aber nicht das Afghanistan von heute, sondern das der 1980er-Jahre.
„Das Spiel, das du gleich zum ersten Mal spielen und in dessen Grafik du eintauchen wirst wie in verdammt heißes Badewasser – gleichzeitig furchtsam und ungeduldig – hat dich eine Menge gekostet.“
Lydia Herms über den Erzählband „Die Heimsuchung des Hadschi Hotak“ von Jamil Jan Kochai
Deutschlandfunk-Nova-Rezensentin Lydia Herms sagt: „Du erfüllst erste Missionen im Norden Kabuls und du bist von der Grafik so geflasht, dass du es kaum aushältst.“
Wenn die Illusion echter wirkt als das wahre Leben
Alles wirkt echt: der Staub auf Kabuls Straßen, das blutrote Sonnenlicht, das in die dunklen Berge rinnt. Die Karte ist offen, das bedeutet: du kannst überallhin, und du beschließt, in das Heimatdorf deines Vaters zu gehen, dorthin, wo es passiert ist: Russische Soldaten töteten deinen Onkel und folterten deinen Vater.
Mirwai kennt den Weg. Er findet das Haus. Plötzlich – sein Herz pocht und er hat Schweißausbrüche – sieht er zwei Männer. Er erkennt sie sofort.
Im Kinderzimmer auf Mission in Afghanistan
Mirwais Brüder stehen vor der verschlossenen Kinderzimmertür in Kalifornien und hämmern wild dagegen. Sie wissen nicht, was Mirwai drinnen macht. Dass er auf einer Mission ist, in Afghanistan, um ihren Onkel und ihren Vater zu retten.
Mit dieser unglaublichen Geschichte beginnt der Erzählband „Die Heimsuchung des Hadschi Hotak“ von Jamil Jan Kochai. Ein Junge names Mirwai rettet darin seinen Vater vor einem Schicksal voll Schmerz, Flucht und Sehnsucht – wenn auch nur in dem Computerspiel: „Metal Gear Solid V: The Phantom Pain“.
„Die direkte Anrede der Lesenden in der Geschichte raubt einem buchstäblich den Atem. Wir sind alle Mirwais.“
Lydia Herms über den Erzählband „Die Heimsuchung des Hadschi Hotak“ von Jamil Jan Kochai
Die Erzählungen handeln zum Beispiel von einer Frau, die von ihrem eifersüchtigen Ehemann mit Säure angegriffen wurde oder von einem Studenten, der solidarisch in den Hungerstreik für einen Inhaftierten geht.
Der Lesende ist in Afghanistan, in Palästina und in den USA. Er oder sie fürchtet, hofft und feiert mit, sagt Deutschlandfunk-Nova-Rezensentin Lydia Herms.
Jede Erzählung bleibt hängen, jede Geschichte ist krass
Nicht nur die Erzählungen haben unsere Rezensentin begeistert. Auch das Buchcover findet sie beeindruckend. Es zeigt ein Päckchen: Braunes Packpapier umwickelt etwas Weiches.
Das Papier ist an einer Stelle dunkler, womöglich feucht getränkt vom Inhalt. „Zurück an den Absender“ heißt die Geschichte zum Päckchen. Man kann sie mehrmals lesen und wird immer wieder neue Gedanken dazu finden, sagt Lydia Herms. Die Geschichte handelt von einer kleinen Familie, die von der Frage zerrissen ist: Wo gehöre ich hin?
„Das Cover der englischsprachigen Originalausgabe ist übrigens auch krass, wenn man weiß, welche Geschichte, welche Poesie und welcher Schmerz sich dahinter verbergen.“
Lydia Herms über den Erzählband „Die Heimsuchung des Hadschi Hotak“ von Jamil Jan Kochai
Der Autor:
Jamil Jan Kochai wurde in einem afghanischen Flüchtlingscamp in Pakistan geboren und ist in den USA aufgewachsen. Sein Roman „99 Nächte in Logar“ stand auf der Shortlist des PEN/ Hemingway Award für das beste Debüt und war nominiert für den DSC Prize for South Asian Literature.
Mit dem Erzählband „Die Heimsuchung des Hadschi Hotak“ stand er auf der Shortlist des National Book Award und gewann den Aspen Words Literary Prize sowie den Clark Fiction Prize. Jamil Jan Kochai lehrt Kreatives Schreiben an der California State University, Sacramento.
Das Buch:
„Die Heimsuchung des Hadschi Hotak“, Erzählungen (Originaltitel: „The Haunting of Hajji Hotak and other Stories“, 2022) von Jamil Jan Kochai, aus dem Englischen übersetzt von Werner Löcher-Lawrence, Luchterhand, 285 Seiten, Hardcover: 22 Euro, eBook: 16,99 Euro; Erscheinungstermin: 11.06.2025.
Info: Unser Bild oben zeigt eine Szene aus dem Computerspiel „Metal Gear Solid V: Phantom Pains“.