Wer dieser Tage in Deutschland ins Kino geht, um sich einen der aktuellen amerikanischen Superhelden-Filme anzuschauen, „The Fantastic Four: First Steps“ oder den neuen „Superman“, hat große Chancen, vor dem Film einen bestimmten Trailer zu sehen: Christopher Nolan kündigt darin „The Odysee“ an. Kinostart wird erst in einem Jahr sein, es zeugt von dem Gewicht dieses Projekts, dass schon heute die Neugier darauf geschürt wird.
Der wichtigste Visionär des amerikanischen Blockbuster-Kinos, der Regisseur von „Batman Begins“, „Inception“ oder „Oppenheimer“, nimmt sich also einen der ältesten Stoffe des Abendlands vor. Der listenreiche Odysseus, ein Sagenheld, der aus dem Trojanischen Krieg nur auf vielen Umwegen nach Hause findet, war bisher eher ein Thema für Filme, die man nicht ganz ernst nehmen konnte: Von „Sandalenfilmen“ sprach man Mitte des 20. Jahrhunderts, als der amerikanische Schauspielstar Kirk Douglas in einem italienischen Abenteuerfilm an der Seite von Silvana Mangano das Publikum mit auf „Die Fahrten des Odysseus“ nahm. Heute wirken diese Filme hoffnungslos naiv, damals waren sie aber auf ihre Weise auch „state of the art“.
Von Christopher Nolan ist natürlich ein ganz anderes Erlebnis zu erwarten. Er ist ja auch derjenige, der das klassische, analoge Kino auf chemischem Filmmaterial besonders geschickt mit Präsentationsformaten wie IMAX verbindet, die Kino zu einem Erlebnis machen sollen, das jeden Wunsch nach 3D-Brillen und virtuellen Universen zum Verstummen bringt. Nicht notwendigerweise eine Überwältigungsästhetik, aber doch eine, die einen komplett umfängt und sensorisch in Beschlag nimmt.
Superman als mythische Figur?
Die „Odyssee“ oder die griechische Antike in einem allgemeineren Sinn kann man dann auch als Inspiration nehmen für ein paar Gedanken über die Hollywood-Produktionen dieses Sommers. Neben diversen Animationsfilmen und der überraschend erfolgreichen Schrulle, Brad Pitt als Rennfahrer die Formel 1 aufmischen zu lassen („F1 – Der Film“), ist im Moment das geläufige Duell im Gange: die Comic-Universen Marvel (Disney) und DC (Warner) haben jeweils etwas Neues am Start. „The Fantastic Four: First Steps“ von Matt Shakman ist im Grunde eine Petitesse, ein Vorgeplänkel zu dem heutigen Marvel Cinematic Universe, ein charmantes Rumoren aus den ersten Sekunden nach dem Urknall, der einen großen Comic-Verlag hervorbrachte. „Superman“ von James Gunn hingegen ist ein großer Wurf: nicht einfach ein neues Abenteuer mit einer der berühmtesten und auch im Kino vielfach geläufigen Superheldenfiguren, sondern eine Reflexion auf eine viel grundlegendere Frage: Hat dieser Superman das Zeug zu einer mythologischen Figur? Zu einer Chiffre für die Menschheit?
Oder anders gefragt, mit Blick auf Regisseur Nolan und die „Odyssee“: Könnte man ein Buch wie „Arbeit am Mythos“ auch über Superman schreiben? Der Philosoph Hans Blumenberg nahm sich damals die Figur des Prometheus vor, eines Superhelden avant la lettre, einer Gestalt der griechischen Antike, die er in ihren literarischen und theoretischen Varianten bis nahe an unsere Gegenwart herauf verfolgte. Im Hintergrund stand dabei ein Sachverhalt, der erst mit der Populärkultur des 20. Jahrhunderts allmählich in den Hintergrund trat: Die Götter und Helden Griechenlands und Roms, die Figuren von Hesiod bis Ovid, waren lange Zeit nicht nur eine geläufige Motivreserve für Opernlibrettisten, Maler und Dichter, sie waren auch so etwas wie ein Starsystem. Und die Versuche der beiden großen amerikanischen Comic-Verlage in unserer Gegenwart, ihre Figurenbestände zu einem kohärenten Universum zu verbinden, haben offensichtlich etwas Theogonisches: Sie wollen zu dem Rang eines Prometheus oder Odysseus aufschließen. Dass sie dabei allerhand Sagengerümpel mitführen, was man an einer Figur wie dem nordischen Thor sehen kann, ist nebenbei auch Symptom eines Wagnerianismus im neuen Hollywood: ein Ehrgeiz in Richtung technologischer Gesamtkunst, der sich über die Naivität der Stoffe wenig Rechenschaft gibt.
Zwei ganz unterschiedliche Heldenerzählungen
„The Fantastic Four: First Steps“ und „Superman“ ergeben nun zufällig eine aufschlussreiche Differenz gerade über das Potential von Superheldenfiguren. Die beiden Filme gehen jeweils paradigmatisch in zwei unterschiedlichste Richtungen. Für den Neubeginn mit den Fantastischen Vier, der allerdings trotzdem noch eine Kohärenz mit dem Marvel Cinematic Universe (MCU) sucht, gilt als Devise: Druck herausnehmen, Verzicht auf komplizierte Anschlüsse, Verzicht auch auf Gegenwartsallegorik.
Stattdessen erzählt Matt Shakman eine bewusst einfache Geschichte, wie man sie sich nach 1960 als Zeichner und Autor von Comic-Geschichten ausdenken konnte: ein Planetenfresser will über die Erde herfallen, ein Silver Surfer fegt durch den Weltraum, ein Mister Fantastic (gespielt von Pedro Pascal, derzeit „everybody’s darling“) richtet gemeinsam mit den anderen phantastischen Drei alles wieder gerade. Gegen das gegenwärtige, aufgehetzte Amerika setzt Shakman eine Ära der Ökumene, die nicht von ungefähr an Präsident John F. Kennedy und den Anbruch des „space age“ erinnert. Keine der Figuren hat auch nur in Ansätzen eine Tiefe, die das MCU in anderen Fällen ja durchaus auch schon gesucht hat, zum Beispiel mit dem Iron Man. Es geht wirklich um „erste Schritte“, um Babyschritte, was allerdings elegant darüber hinweggeht, dass es sich um den bereits 37. Film in dem von Kevin Feige orchestrierten Gesamtzyklus handelt. Und auch schon der Vorgänger, der im April gestartete „Thunderbolts“, tat ganz so, als hinge kein großes Gewicht daran: Wir wollen doch nur spielen, scheint vorerst die Devise im MCU zu sein.
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Dass man aber gerade über das Spiel auf das Wesentliche kommen kann, exerziert auf der anderen Seite, bei der Marvel-Konkurrenz von DC Comics, der neue „Superman“ von James Gunn vor. Der geht in jeder Hinsicht aufs Ganze der Frage, wie lang man mit diesem neuen Typus des Helden, der im 20. Jahrhundert aus den bunten Bildgeschichten kam, überhaupt noch operieren kann, ohne sich in leeren Redundanzen zu erschöpfen? Das Spezifische einer Arbeit am Mythos ist ja gerade, dass sie unerschöpflich ist – jede neue Deutung macht Prometheus oder Odysseus zu einer reicheren Figur.
Krisenbewältigung als Supermensch
James Gunn scheint nun sehr deutlich auf den Beweis aus, dass Superman ein vergleichbares Potential hat. Er macht dies an der zentralen Idee seines Drehbuchs deutlich: der Meta- oder Übermensch vom Planeten Krypton ist nun eine entzifferte Figur. Sein Gegenspieler Lex Luthor hat sich die Arbeit gemacht und jede der Bewegungen aus früheren Kämpfen inventarisiert und nun auf jeden Move eine Antwort. Eine Strategie, die deutlich auf das Datenlernen der Künstlichen Intelligenzen gemünzt ist, die aus jeder Idiosynkrasie, aus jeder schöpferischen Bewegung, aus jedem intuitiven Manöver irgendwann durch reine Abschöpfung etwas machen, das schließlich keine Überraschung mehr zulässt.
Auf dem Spiel steht in dem neuen „Superman“ nicht nur das Handwerk des Ersten aller Superhelden insgesamt, sondern auch das Prinzip des Genres. Denn bloße Überlegenheit ist ja langweilig. Sie ist sogar ein gesellschaftliches Problem, wie in vielen der besseren Geschichten aus diesen Welten immer wieder klar wird. Wenn auf der Welt eine Superwaffe existiert, dann kann sie auch in die Hände eines Diktators fallen. Das sind alles fundamentale Probleme, die „Superman“ durchspielt, und zwar in jenem Schnelldurchlauf, der die populäre Kultur nun einmal ist. Da gerät dann auch der Krieg in der Ukraine, zwar deutlich als Motiv erkennbar, in eine allegorische Schleuder, in die man Syrien oder Libyen (wegen der Landschaftsbilder) und die Rohingya (wegen der vage südostasiatisch klingenden Ländernamen Boravia und Jarhanpur) dazunehmen muss. Überhaupt stürzt sich Gunn mitten ins Gegenwartsgetümmel und arbeitet fast alles durch, wovon er ein letztlich klar „kritisches“ Bild zu geben versucht: in erster Linie die Vermüllung der Informationslandschaft.
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Im Innersten aber geht es ihm darum, Superman zu mythischer, und das heißt hier eben pointiert: zu menschlicher Größe zu verhelfen. Dass er dafür mit David Corenswet einen relativ unbekannten Schauspieler gewählt hat, der in „Pearl“ von Ti West zum ersten Mal auffiel, ist ebenfalls Indiz für das Bestreben von Gunn: sein Held soll nicht von der Präsenz eines Superstars zehren (wie das bei Ethan Hunt aus „Mission: Impossible“ der Fall ist, den Tom Cruise mit Haut und Haaren aufgefressen hat), er soll in seiner neuen Verkörperung eine Gestalt annehmen, die ihn wieder befähigt, ein Universum zu tragen. Denn das ist nun einmal die Aufgabe der Götter und Supermenschen, und von den Krisen bei der Bewältigung dieser Aufgabe erzählt der Mythos.
Auch DC baut – nach deutlich verworreneren Urknallen – an einem Universum, das eines Tages dem MCU Paroli bieten soll. Zugleich bauen die beiden Unterhaltungsgiganten an einem Figurenkosmos, von dem sich erst noch erweisen muss, welche Verbindlichkeit und welche Relevanz er gewinnen könnte. Im Hintergrund steht dabei die größere Frage, welche Bedeutung der Mensch (in einem emphatischen Sinn) in einem technisch hochgerüsteten Kino noch haben soll. Denn die Superhelden-Blockbuster sind ja ihrerseits Figuren dieser Technisierung.
James Gunn jedenfalls deutet an, dass Superman durchaus eine Comic-Figur bleiben kann und sich doch zu so etwas wie prometheischer Schwäche aufschwingen könnte. Als einer von uns, die wir alles sind, aber nicht auslesbar.