Die Frau in dem roten Kleid heißt Rodia. Sie ist 27 Jahre alt und ist von Khartum, der Hauptstadt des Sudan, nach Port Sudan geflüchtet. Dort konnte sie mit ihren drei Kindern im Alter von zwei, sieben und 15 Jahren in einem Schulgebäude Zuflucht vor den kriegerischen Auseinandersetzungen in ihrem Land finden. Schon seit 1979 ist humanitäre Organisation Care im Sudan tätig.
Die in Willich geborene Sarah Easter ist gerade von einer Reise in den Sudan zurückgekehrt. Als Care-Nothilfereporterin besucht sie regelmäßig Care-Projekte auf der ganzen Welt und spricht mit den Menschen vor Ort. Rodia erzählte ihr von ihrem Schicksal. Als die Bomben in Khartum fielen, suchten sie und die Kinder Schutz unter dem Tisch, wo sie aßen und schliefen. Die Familie musste mit ansehen, wie Familienangehörige erschossen und Nachbarstöchter vergewaltigt wurden. Ohne irgendetwas mitzunehmen, floh Rodia mit den Kindern in einem Auto. In Port Sudan fand sie Zuflucht.
Die Hitze im Land ist groß, Sarah Easter hat es am eigenen Leib erlebt: 40 Grad sind keine Seltenheit. Rodia hat ein Zelt, aber um der gestauten Hitze zu entgehen, schläft sie im Freien auf einer Decke. Ihre größte tägliche Sorge ist die Frage, wo sie etwas Essen für sich und die Kinder erhält. Die Mutter esse höchstens jeden zweiten Tag, so erzählte sie Sarah Easter. Als diese sie nach positiven Erinnerungen an ihre Heimat fragte, schwieg Rodia, für die es schmerzhaft sei, darüber nur nachzudenken.
Seit April 2023 besteht der Konflikt im Sudan. Die Krise werde wenig beachtet, glaubt Sarah Easter. Die Not ist groß: Zwei von drei Menschen seien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Mehr als 14 Millionen Menschen sind auf der Flucht. „Kaum einer berichtet darüber“, sagt Easter. Das ist ihre Aufgabe bei Care: vor Ort mit den betroffenen Menschen zu sprechen und deren Geschichten in die Welt zu tragen, um Aufmerksamkeit für die Konfliktregionen und die Betroffenen zu generieren, um den Spenderinnen und Spendern zu zeigen, was Hilfe bewirken kann, wo Hilfe benötigt wird.
Die Care-Mitarbeiterin Sarah Easter bekommt die bürokratischen Folgen des Krieges zu spüren: Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch. Man kann nur in einem bestimmten Zeitfenster in der Helligkeit fliegen, weil die Luftsicherheit beeinträchtigt ist, der Sudan von Drohnen angegriffen wird. So heißt es oft: warten. „Das habe ich schon so oft gemacht. Es ist nervig. Aber es gilt: ‚Safety first.‘“ Vor Ort werden Genehmigungen benötigt, um von einem Ort zum anderen zu reisen, um Menschen zu interviewen und Fotos zu machen. Täglich fällt für eine Zeit der Strom aus, das erschwert nicht nur das alltägliche Leben, auch die Arbeit.
Die Schule, in der die geflüchteten Frauen mit ihren Kindern leben, wird von der lokalen Regierung zur Verfügung gestellt. Zu Beginn des Konfliktes, weiß Easter, habe es noch Essensverteilungen anderer Organisationen gegeben. Doch die Kürzung der Entwicklungsgelder habe das unmöglich gemacht. Wer Geld hat, kann in Port Sudan einkaufen. Doch sind die Preise, da das Wüstenland viel importieren muss, extrem hoch.
Die Frauen sind erfinderisch, was die Arbeitssuche betrifft, sagt Easter, sie leisten Tagesarbeiten, sie rösten Samen, die sie verkaufen, sie stellen Holzkohle her. Wenn sie die Möglichkeiten bekommen, „machen sie solche Sachen, um sich langfristig selbst helfen zu können und sich aus der Armut zu befreien.“ Das ist das Ziel der Entwicklungshilfe, sagt Sarah Easter: sich selbst überflüssig zu machen. Die Nothilfe hilft, damit die Menschen am Leben bleiben.
Ob es sie nicht stark belaste, was sie erlebe und erfahre? Doch, sagt sie, es mache sie unglaublich wütend und sprachlos. Aber: „Was mir hilft, ist, etwas daraus zu machen. Wenn ich meine Arbeit gut mache, kann ich einen Beitrag zur Veränderung leisten.“ Ihr Interesse ist, die Menschen zu verstehen, die hinter den Schicksalen stehen, ihnen zuzuhören und dafür zu sorgen, dass sie gesehen werden.
In vier Wochen reist Sarah Easter in die Ukraine. Aber das wird wieder eine andere Geschichte.