Björn Swansons Stimme klingt am Telefon nach Sommer und Sonne. Er meldet sich aus der Toskana und plaudert voller Vorfreude über weitere Urlaubspläne. Nach der Italienreise sei ein Abstecher mit der Familie nach New York geplant, erzählt der Berliner Koch und Gastronom. Es scheint, als hätte er Erholung lange ersehnt und dringend benötigt. Swanson musste in diesem Jahr eine Niederlage verarbeiten. Sein Restaurant Faelt in Schöneberg verlor im Juni den Michelin-Stern.
Der 1984 in Berlin geborene Koch eröffnete das Faelt im Oktober 2020. Wenig später senkte sich der zweite Lockdown der Corona-Pandemie mit der monatelangen Schließung von Lokalen über das Land. Der Gastronom schildert die vergangenen Jahre als Achterbahnfahrt. Erst kam die Pandemie, dann folgte 2022 der Beginn des Kriegs in der Ukraine mit Verwerfungen in der Wirtschaft und steigender Inflation. An eine längere Urlaubsreise sei in den vergangenen Jahren nicht zu denken gewesen, sagt Swanson.
Ausgerechnet in diesem Jahr, in dem der Michelin-Stern aberkannt wurde, nimmt Swanson sich eine lange aufgeschobene Auszeit. Ein Ende der Krisen in der seit Jahren gebeutelten Gastronomiebranche ist nicht in Sicht. Und ohne Verschnaufpause dürften selbst einem Tausendsassa die Batterien für einen Kampf an so vielen Fronten ausgehen.
Den Verlust des Michelin-Sterns scheint Swanson verdaut zu haben. Er erkennt Chancen in einer Zeit, in der Verbraucher sich mit Ausgaben zurückhalten. Ein Stern könne hohe Preise signalisieren und manche Kunden abschrecken, erklärt er. Das gelte besonders in einer im Vergleich zu anderen Großstädten mit weniger Wohlstand gesegneten Stadt wie Berlin. Die Wirtschaftskrise treffe die Hauptstadt zusätzlich. „Inzwischen ist Berlin nicht mehr so sexy, aber immer noch arm“, fasst Swanson die Malaise zusammen.
Gastronom Swanson: Zustände am BER schrecken viele ab
Touristen aus dem gehobenen Segment oder Geschäftsreisende auf Messebesuch seien für die Spitzengastronomie Berlins immer wichtig gewesen. Denn der Kreis von Kunden mit großem Budget sei in Berlin begrenzt. Doch die zahlungskräftige Klientel von außen mache sich rar, bemerkt Swanson. Er vermutet eine nachlassende Anziehungskraft der Hauptstadt. „Es gibt immer weniger Messen, die Geschäftsleute anlocken, und die Zustände am BER sind für viele eher abschreckend“, sagt er.
Swanson kritisiert eine schlechte Anbindung des Flughafens Berlin-Brandenburg an das Stadtzentrum. Und eine Politik, die sich zu wenig um Großveranstaltungen in Berlin bemühe. Laut Tourismusverband Visit Berlin besuchten 12,7 Millionen Reisende im vergangenen Jahr Berlin und damit fünf Prozent mehr als 2023. 42 Prozent kamen laut Visit Berlin aus dem Ausland. Berlin erreicht aber noch nicht die Besucherzahlen der Vor-Corona-Zeit. 2019 besuchten 14 Millionen Menschen Berlin. Der Berliner Flughafen verzeichnet weniger Fluggäste als vor der Pandemie.
In Berlin gibt es die meisten Michelin-Sterne in Deutschland. Doch die Stimmung in der Branche ist Swanson zufolge schlecht. „Ich kenne viele, die derzeit über eine Insolvenz nachdenken“, sagt er. Er zählt eine Vielzahl von Gründen für das Schrumpfen der Gewinne auf und die Ratlosigkeit unter Gastronomen.
Restaurantbesitzer spürten die Inflation bei Nahrungsmittel- und Energiepreisen durch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten genau wie jeder Verbraucher im Supermarkt. Mehrausgaben durch höhere Preise an die Kunden weiterzugeben, sei aber heikel, weil diese dann wegblieben. „Viele haben in der Pandemie gelernt, gut zu kochen, oder sie gehen in billigere Lokale mit geringer Qualität“, sagt Swanson.
Eine Erhöhung der Preise senke Einnahmen; es drohe dem Restaurantbetreiber ein Nullsummenspiel. Aufgrund von Mindestlohn und Fachkräftemangel kletterten gleichzeitig aber die Personalkosten. Selbst unqualifizierte Mitarbeiter könnten höhere Löhne in der Branche durchsetzen. Denn viele Betriebe suchten händeringend nach Fachkräften, berichtet Swanson.
Blick in Swansons Restaurant FaeltFaelt
Mehrwertsteuererhöhung soll rückgängig gemacht werden
Das Auslaufen der während der Pandemie für die Gastronomie auf sieben Prozent gesenkten Mehrwertsteuer zum Jahresbeginn 2024 habe Restaurantbesuche zudem verteuert. Die Bundesregierung verspricht eine erneute Absenkung von 19 Prozent auf sieben Prozent im kommenden Jahr und weitere Schritte zum Bürokratieabbau. Sie will zum Beispiel die umstrittene Bonpflicht für Lokale abschaffen.
Björn Swanson reagiert verhalten auf die Ankündigung von Reformen. „Bisher hat jede neue Bundesregierung Bürokratieabbau versprochen“, sagt er. Er bezweifelt auch, dass der Staat angesichts steigender Ausgaben freiwillig auf Mehreinnahmen durch die auf 19 angehobene Mehrwertsteuer für die Gastronomiebranche verzichten werde.
Auch der Branchenverband Dehoga fordert die Bundesregierung unter Friedrich Merz zu entschiedenerem Handeln auf. Es sei positiv, dass die Koalition aus Union und SPD den Bürokratieabbau adressierte, sagt Gerrit Buchhorn, Hauptgeschäftsführer von Dehoga Berlin. Neben der möglichen Abschaffung der Bonpflicht verweist Buchhorn auf die geplanten Erleichterungen im Arbeitszeitgesetz, digitale Nachweis- und Meldepflichten bei der Hygiene sowie eine angedachte Reform der Unternehmensbesteuerung. Das seien begrüßenswerte Schritte.
Buchhorn stellt aber klar, dass Ankündigungen nicht ausreichen. „Entscheidend ist eine tatsächlich praxistaugliche Umsetzung mit klaren digitalen Standards, einheitlicher Anwendung und spürbarer Entlastung insbesondere für kleine und mittlere Betriebe. Hier fordern wir konkrete Fortschritte statt bloßer Prüfaufträge auf Bundes- und Landesebene.“
Der Dehoga-Hauptgeschäftsführer beschreibt, wie die Krise alle Segmente der Gastronomie trifft. Die Spitzengastronomie habe immer noch nicht die Delle während der Pandemie ausgeglichen. Die Auslastung der Betriebe liege deutlich unter dem Niveau von 2019. Viele kleinere und mittlere Betriebe könnten Buchhorn zufolge ganz vom Berliner Markt verschwinden.
Die Krise treibe immer mehr Lokale in die Insolvenz. Laut Dehoga gab es 2023 in Berlin 4714 Restaurants und insgesamt 10.744 Gastronomiebetriebe. Die Zahl der Insolvenzverfahren gastronomischer Betriebe ist laut Dehoga von 179 im Jahr 2023 auf 221 im vergangenen Jahr gestiegen. „Damit einher geht eine spürbare Verarmung der gastronomischen Vielfalt in den Berliner Kiezen“, warnt Buchhorn. Die Berliner Innenstadt verliere an Attraktivität, mit deutlichen Auswirkungen auf Tourismus, Hotellerie und den Einzelhandel.
Trübsinnige Deutsche sparen am Essen
Auch Buchhorn fordert von der Senatsverwaltung eine Initiative zur Steigerung der Touristenzahlen. Er schlägt mehr Flüge vor, zusätzliche Veranstaltungen, Messen und Kongresse, mehr verkaufsoffene Sonntage, verlängerte Zeiten für die Außengastronomie und eine stärkere Vermarktung Berlins als Genusshauptstadt.
Die von der Bundesregierung für 2026 geplante erneute Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent müsse dringend erfolgen, erklärt Buchhorn. „Die Erhöhung auf 19 Prozent war für viele Betriebe ein massiver Belastungsschub. Bereits zuvor mussten die Preise aufgrund der Kostensteigerungen der letzten Jahre deutlich angehoben werden“, erläutert er. Eine Senkung der Mehrwertsteuer wäre ein wichtiges Zeichen für Steuergerechtigkeit im Vergleich zum Außer-Haus-Verkauf oder zur Tiefkühlpizza im Einzelhandel und würde die Gastronomie spürbar entlasten.
Björn Swanson wiederum macht ein Phänomen Sorgen, das kein neues Gesetz so einfach beseitigen kann. Er nehme eine düstere Laune wahr, die vielen offenbar buchstäblich auf den Magen schlage. Der Koch führt die kollektive depressive Verstimmung auf die vielen Krisen und Kriege zurück. In Italien nehme er diese Stimmung trotz einer vergleichbaren wirtschaftlichen Lage als weniger eingetrübt wahr. „Ich habe in Rom mit Kollegen gesprochen. Deren Läden sind voll“, sagt Swanson.
Pamela Strohschein bietet auf der Menükarte ihres Restaurants April in Schöneberg nun kleinere Portionen zum leicht reduzierten Preis an, um mit der neuen Sparsamkeit mitzuhalten. Den Familienbetrieb gibt es seit den 90er-Jahren. Das April hat im vergangenen Jahr einen Standort an der Winterfeldstraße geschlossen. Der Verlust an Einnahmen sei angesichts geringerer Ausgaben durch die Aufgabe des zweiten Lokals kaum ins Gewicht gefallen, schildert Strohschein. Unter dem Strich rechne sich die Beschränkung auf den Standort Eisenacher Straße.
Pamela Strohschein vom Restaurant AprilMaurice Weiss/Ostkreuz
Im April können Gäste auch werktags bereits am Nachmittag einkehren. Hauchdünne Wiener Schnitzel liegen auf den Tellern. Besteck klappert. Weingläser werden geleert. Die Atmosphäre wirkt ungezwungen. In der Menükarte finden sich neben deutscher Hausmannskost auch Spezialitäten der Levante-Küche wie der Frischkäse Labneh. Das kulinarische Angebot des Lokals spiegelt die Demografie Berlins wider.
Pamela Strohschein erhebt sich für ein Gespräch wie eine Matriarchin vom Familientisch. Verschiedene Generationen der Strohscheins sitzen im April bei einem späten Mittagsessen zusammen. Ihre Kinder arbeiteten im Betrieb mit. Sie sei sich aber unsicher, ob der Betrieb in der Familie bleibe, wenn ihr Mann und sie einmal in Rente gingen. „Meine Kinder sehen jeden Tag, was für ein Stress das ist“, sagt Strohschein.
Hier blüht es: Pamela Strohschein vor ihrem LokalMaurice Weiss/Ostkreuz
Sie erzählt, dass bei der Aufgabe des Standorts an der Winterfeldstraße auch eine mögliche Mieterhöhung eine Rolle gespielt habe. Bei Gewerbemieten greift keine Mietpreisbremse. Viele Verträge sind zeitlich befristet. Vermieter können sie ohne Angabe von Gründen auslaufen lassen. Laut Berliner Mieterverein stiegen die Gewerbemieten in der Hauptstadt von 2012 bis 2020 von im Durchschnitt 9,50 Euro pro Quadratmeter auf 19 Euro. Besonders von steigenden Gewerbemieten betroffen sind dem Mieterverein zufolge die Bezirke im S-Bahn-Ring.
Wirtschaftsflaute und Inflation treffen die Berliner Gastronomie in einer Zeit, in der aufgrund der Mietpreiskrise die Kosten für ein Dach über dem Kopf davongaloppieren. Berlin hat bereits 2019 im Bundesrat eine Gesetzesinitiative gestartet, um den Wildwuchs bei Gewerbemieten zurechtzustutzen. Bisher fehlt ein entsprechendes Bundesgesetz.