Deutlich weniger Babys: Geburtenrate in Stuttgart so gering wie seit 40 Jahren nicht mehr Die Geburten sind in Stuttgart stark gesunken. In Großstädten ist die Rate geringer als auf dem Land. Foto: dpa

In Stuttgart werden immer weniger Kinder geboren: Die Geburtenrate liegt unter dem Bundesschnitt. Einige Kliniken verzeichnen dennoch mehr Geburten, andere deutlich weniger.

Vier Jahrzehnte ist es her, dass die Geburtenziffer in der Landeshauptstadt nicht mehr so niedrig war wie in den Jahren 2024 und 2023. Mit einem Wert von 1,12 Geburten pro Frau lag man 2024 zwar geringfügig über der Rate von 1,10 Geburten im Jahr davor. Doch nur im Jahr 1985 waren die Geburtenziffern mit dem Wert 1,09 noch darunter. Stuttgart liegt damit wie viele Großstädte beträchtlich unter dem ohnehin sinkenden Bundesschnitt von 1,35 Kindern pro Frau im vergangenen Jahr.

Die jüngste Entwicklung beschreibt einen jähen Absturz. Im Jahr 2021 betrug die für Stuttgart errechnete Ziffer noch 1,41 Geburten pro Frau. Das wiederum war der höchste Wert seit fünf Jahrzehnten. In den vergangenen Jahren sei die Geburtenrate vergleichsweise „sehr hoch“ gewesen, sagt Attina Mäding, die das Sachgebiet Bevölkerung und Bildung beim Statistischen Amt der Stadt verantwortet. Deshalb hätten die Fachleute „alle damit gerechnet, dass es wieder zurückgeht“. In absoluten Zahlen heißt das: Von 2014 bis 2021 verzeichnete man in Stuttgart jedes Jahr mehr als 6000 Geburten. Höchstwerte erreichte man in den Jahren 2016, 2017 und 2021 mit 6773, 6725 sowie mit 6777 Neugeborenen. 2022 sank die Zahl auf 5906 Geburten, im Jahr darauf auf 5272.

Deutscher oder ausländischer Pass: Die Kurven der Geburtenraten nähern sich an.

Der verblüffend starke Anstieg 2021 könnte ein Corona-Effekt gewesen sein. Zuerst hatte die Pandemie vielleicht eine aufschiebende Wirkung beim Kinderwunsch. Danach, als die Unsicherheit etwas abnahm und die Impfungen anliefen, könnte sich ein Nachholeffekt eingestellt haben. Der folgende Absturz wird allgemein mit der multiplen Krisenlage erklärt: Unsicherheiten und Zukunftsängste durch den Ukrainekrieg, die starke Teuerung, die aktuelle Wirtschaftskrise. Allerdings könnte das jetzige Tief erneut ein Aufschiebeeffekt sein, der bald wieder kompensiert wird.

Auch ausländische Mütter bekommen weniger Kinder

Bemerkenswert auch: Anfang der 2000er Jahre machten Kinder von Müttern mit einem ausländischen Pass noch fast 30 Prozent aller Neugebornen aus (1581 von 5381 Geburten), gingen nun aber auf knapp 20 Prozent zurück (2024: 1039 von 5353 Geburten). Bei der Geburtenziffer ist diese Tendenz noch ausgeprägter: Während diese bei Müttern mit ausländischem Pass in den 1970er Jahren zeitweise mehr als doppelt hoch war wie die bei deutschen Frauen, ist dieser Wert von damals 2,13 auf noch 1,30 Kinder pro Frau gesunken. „Wenn Menschen länger in einer Kultur leben, passt sich die Geburtenrate an“, erklärt Attina Mäding.

Die größten Verschiebungen gibt es zwischen dem Klinikum Stuttgart und dem Robert-Bosch-Krankenhaus.

Beträchtlich verschoben haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Zahlen an den Geburtskliniken in Stuttgart. Die Frauenklinik des städtischen Klinikums hat einen deutlichen Zuwachs erlebt. Nach dem Umzug vom Altstandort im Osten ans Krankenhaus Bad Cannstatt – im Jahr 2004 als Interimslösung – stieg die Geburtenzahl um rund 700 auf gut 2000 und wuchs stetig weiter. Nach dem Umzug im Jahr 2014 von dort an den Hauptstandort des Klinikums am Katharinenhospital wuchsen die Geburtenzahlen über die 3000er-Marke. Die Kombination von Frauenklinik mit einer Neonatologie der höchsten Stufe, wo viele Risikogeburten auch von außerhalb Stuttgarts betreut werden, und dem renommierten Kinderhospital Olgäle zeigt Wirkung. Der Spitzenwert von rund 3500 Geburten im Jahr 2019 war aber auch eine Folge der Schließung der Geburtsklinik Charlottenhaus. „Deshalb haben wir einen zusätzlichen Kreißsaal eingerichtet“, sagt Jan Steffen Jürgensen, der medizinische Vorstand des Klinikums Stuttgart.

RBK mit Minus bei Geburtszahlen

Ganz anders die Entwicklung im Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK). Dort lag man 2014 mit 2963 Geburten noch über dem städtischen Klinikum, kam 2016 sogar über 3000. Danach musste das RBK den Status einer Perinatalklinik „ruhen lassen“, weil der Kooperationspartner, die Pädiatrie Ludwigsburg, die „Unterstützung nicht mehr leisten konnte“, wie RBK-Chef Mark Dominik Alscher erzählt. Den größten Verlust erlebte man 2019 mit einem Minus von fast 850 Geburten, nachdem man das zum RBK gehörende Charlottenhaus aufgegeben hatte, da sich nicht mehr genügend Mediziner für das Belegarztsystem fanden.

Auch im Marienhospital verzeichnete man 2019 mit rund 1360 Geburten den höchsten Wert der vergangenen Jahre. Dort sieht man die Entwicklung beeinflusst durch mehr Risikoschwangerschaften, etwa Mehrlingsgeburten durch Kinderwunschbehandlungen, „mit der Notwendigkeit einer Entbindung in einem Perinatalzentrum“, sagt Manfred Hofmann, der Ärztlicher Direktor der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe im Marienhospital.

Filderklinik hat viele Patientinnen aus Stuttgart

Eng verbunden mit der Lage der Geburtshilfe in Stuttgart ist die anthroposophisch ausgerichtete Filderklinik in Filderstadt. Man habe in der Geburtsklinik, deren Zahlen in den vergangenen Jahren wuchsen und 2021 die Marke von rund 2500 erreichten, „einen hohen Anteil“ von Frauen aus Stuttgart, sagt Pressesprecherin Marleen Job. Man bietet eine „interventionsarme Geburtshilfe“ und eine Neonatologie der Stufe zwei. So hat auch die Filderklinik vor den Toren Stuttgarts vom Aus des Charlottenhauses profitiert. Noch ist nicht ausgemacht, wie sich die im Frühjahr erfolgte Schließung der St.-Anna-Klinik in Bad Cannstatt mit zuletzt rund 700 Geburten im Jahr auswirken wird. Auch dort konnte das Belegarztsystem mangels ärztlicher Geburtshelfer nicht mehr aufrecht erhalten werden.