Herr Schmidt, wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen Vereinen und Medien in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert?
HOLGER SCHMIDT: Beide Seiten haben sich verändert und dabei immer weiter voneinander entfernt. Der Journalismus ist in Teilen aggressiver geworden, selbst seriöse Medien sind auf Klickzahlen angewiesen. Dadurch ist bei Vereinen das Misstrauen gewachsen. Zugleich gibt es vielmehr Medien, die für Vereine schwer zu kontrollieren sind. Einige Portale machen Onlineartikel, ohne je vor Ort zu sein und Hintergründe zu kennen. Andererseits sorgt die Skepsis der Vereine für Unmut bei den Medien. Mit Spielern und Trainern zu sprechen, ist schwieriger geworden. Früher hatten große Medien Telefonlisten, heute wäre das undenkbar. Ich verstehe beide Seiten und versuche zu vermitteln.
Welche Rolle spielt Social Media und das Inszenieren einer Marke?
SCHMIDT: Überspitzt formuliert, stellt es sich dar wie mit den Tattoos: Früher bist du mit aufgefallen, heute fällst du ohne auf. Und mit dem, was gepostet wird – oft das gleiche Belanglose vom Essen oder vom Strand – kann man sowieso nicht auf sich als Person oder Marke aufmerksam machen. Es fällt nur auf, wer etwas mit Inhalt macht. Doch genau davor schrecken viele zurück, weil sie nicht anecken wollen und einen Shitstorm befürchten. Social Media wird im Kern meist nur noch genutzt, um eine Followerschaft und den Werbewert zu vergrößern.
Man hat den Eindruck, Spieler oder Trainer empfinden Interviews teils als lästige Pflicht.
SCHMIDT: Ja, dabei sollte man Interviews meistens als Chance sehen. Spieler sollten sich über öffentliches Interesse freuen. Sie können Botschaften senden, ihre Sicht erklären und Meinungen darstellen. Das gilt auch nach Fehlern. Berichtet wird trotzdem – auch wenn man sich nicht äußert. Aber wenn ich mich äußere, kann ich Einfluss darauf nehmen. Nur nach einer Roten Karte in der 95. Minute würde ich am Spielfeldrand vielleicht nicht gleich ein Interview geben.
Sind Phrasen wie „Ich spiele, wo der Trainer mich hinstellt“ einer gewissen Unsicherheit geschuldet?
SCHMIDT: Das hat vor Jahren angefangen und sich aus irgendeinem Grund verselbstständigt. Aber wer Floskel an Floskel reiht, wirkt nicht authentisch und vermittelt, dass er nichts zu sagen hat. Wer etwas zu erzählen hat, wer offen und locker ist, dem hört man gerne zu. Der ist die beste Marke. Zudem gibt es auch gefährliche Floskeln. Wenn ein Trainer fünf Spieltage vor Saisonende im Abstiegskampf sagt, er schaut nicht auf die Tabelle, fliegt ihm dieser Satz beim Abstieg um die Ohren.
Heutzutage wirkt alles weichgespült. Umso mehr stürzen sich Medien auf vermeintlich Kritisches. Wie lässt sich diese Tendenz durchbrechen? Wie werden Aussagen konkreter?
SCHMIDT: Wer drei Tore schießt und im Interview sagt, es zähle einzig und allein der Erfolg der Mannschaft, der macht sich unglaubwürdig. Fettnäpfchen und Ärger vermeiden, das ist wichtig. Wenn mal was schiefgeht, kann man das manchmal sympathisch, menschlich, argumentativ wieder einfangen. Und wenn ich bewusst etwas gesagt habe, dann muss ich dazu stehen und darf nicht zurückrudern.
Mancher Trainer verfällt in Referate über abkippende Sechser oder falsche Neunen. Welche Sprache sollte ein Trainer wählen, um die Leute zu erreichen?
SCHMIDT: Auf den Punkt gebracht: eine Sprache, die alle verstehen. Aber die darf natürlich nicht zu derb und plump sein. Vorteil im Fußball ist, dass alle ein wenig Ahnung haben und man mit gewissen Fachbegriffen arbeiten kann. Zu nerdig sollte es aber auch nicht sein. Auch Oma Müller sollte verstehen, was man sagt. Wenn manche Antworten abgehoben klingen, hängt das aber auch damit zusammen, dass Trainer den ganzen Tag über mit Spielern und ihrem Staff so sprechen. Am Mikro sollen sie plötzlich eine andere Sprache verwenden. Aber das gehört dazu. Im Kopf umzuschalten, sollte möglich sein.
Wie stehen Sie zum Autorisieren, dem Freigeben von Zitaten?
SCHMIDT: Wird es richtig gelebt, macht es für beide Seiten Sinn. Niemand kann sagen, er sei falsch wiedergegeben worden. Keinen Sinn macht es, wenn ganze Fragen gestrichen oder Antworten neu geschrieben und sogar umgedeutet werden.
Man könnte argumentieren, der Gegenüber weiß, mit wem er spricht und sollte wissen, was er sagt.
SCHMIDT: Genau. Wer einen raushaut, sollte sich der Wirkung bewusst sein. Man kann eine Aussage abschwächen, sollte sie aber nicht komplett streichen.
Junge Spieler geben oft keine Interviews, weil Vereine sie „schützen“.
SCHMIDT: Das halte ich in dem meisten Fällen für übertrieben. Ich würde keine Spieler verstecken. Als Verein willst du doch, dass dieses frische Gesicht sich hinstellt und spricht. Man sollte sie deshalb einfach besser vorbereiten. In dem Moment geht es ja meist auch nur um klassische, banale Fragen: Wie geht es dir? Wie fühlst du dich? Dann soll er strahlen und sagen, wie glücklich er ist. Oder dass er das Tor seiner Oma oder Freundin widmet. Das erfreut doch alle und schadet niemandem.
Den FC Augsburg trainiert jetzt Sandro Wagner. Den Doppelpass mit Medien beherrscht er wie kein anderer.
SCHMIDT: In der Öffentlichkeitsarbeit ist er ein Naturtalent. Ihn zeichnet aus, dass er eine Meinung vertritt – und eben nicht zurückgerudert. Das ist Charakterstärke. Er weiß, welche Überschriften auf Aussagen folgen. Ich fand seine erste Pressekonferenz in Augsburg extrem gut. Er hat eine Balance gehabt aus Selbstbewusstsein und Demut. Was er sagt, wirkt glaubwürdig, weil es zu seinen Handlungen passt. Das ist elementar: Was du erzählst, muss zu dem passen, was du lebst. Wenn du das eine tust und das andere erzählst, merken die Leute das ganz schnell.
Wagner hat jüngst in einem Interview mit unserer Redaktion erklärt, er hätte im Umgang mit Medien als Spieler manches anders gemacht.
SCHMIDT: Er ist durch seine Art relativ häufig angeeckt und hat provoziert. Aber er hat aus diesen Situationen gelernt. Das merkt man ihm jetzt an.
Mitunter kontert Wagner Fragen der Journalisten. Sind Fragen manchmal nicht gut genug?
SCHMIDT: Ich würde schon sagen, dass es dumme Fragen gibt. Wobei ich da differenzieren würde. Jemanden nach dem Spiel zu fragen, wie er sich fühlt, ist grundsätzlich eine gute Frage. Schließlich möchte man in diesem Moment tatsächlich wissen, welche Emotionen Spieler oder Trainer haben. Das sollen und dürfen sie ohne Bevormundung einer Suggestivfrage erzählen. Ein größeres Problem habe ich mit der Frage: „Woran hat es gelegen?“ Was soll man da sagen, wenn jeder gesehen hat, dass man zweimal den Pfosten getroffen, zwei Rote Karte kassiert und ein Eigentor geschossen hat? Und ganz klar: Eine Niederlage kommt nie zum richtigen Zeitpunkt.
Wie werden Interviews wieder gehaltvoller?
SCHMIDT: Live-Interviews im TV nach einem Spiel sind manchmal sehr tendenziös, wenn der Interviewer die Aufgewühltheit des Interviewten ausnutzen will. In Print-Interviews wünsche ich mir das Gegenteil. Hier könnten die Fragen konfrontativer und gewitzter sein – wenngleich die Gefahr besteht, dass nach der Autorisierung manche Aussage abgeschwächt wird. Letztlich sind aber auch die Interviewten und die Vereine gefordert, gehaltvollere Aussagen zuzulassen und anzubieten.
Icon vergrößern
Holger Schmidt
Foto: Akademie für Fußballkultur
Schließen
Icon Schließen
Icon vergrößern
Icon verkleinern
Icon Pfeil bewegen
Holger Schmidt
Foto: Akademie für Fußballkultur
Zur Person
Holger Schmidt ist Sportjournalist, Kommunikationsexperte und Dozent. Über 20 Jahre berichtete er von Großereignissen weltweit, zuletzt als Sportchef bei dpa. Heute berät er Akteure im Sport, lehrt Sportjournalismus und verbindet Medienkompetenz mit strategischer Kommunikation. Er ist Mitglied der Akademie für Fußballkultur und leitete über viele Jahre die Jury für den „Fußballspruch des Jahres“.
-
Johannes Graf
Icon Haken im Kreis gesetzt
Icon Plus im Kreis
-
Holger Schmidt
Icon Haken im Kreis gesetzt
Icon Plus im Kreis
-
Sandro Wagner
Icon Haken im Kreis gesetzt
Icon Plus im Kreis