Berlin – Was ist wirklich dran an den neuen Vorwürfen gegen die SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf?
In einem Abschlussbericht, der BILD vorliegt, erhebt „Plagiatsjäger“ Stefan Weber (55) den Verdacht, ihr Ehemann – der Jurist Hubertus Gersdorf (62) – habe ihre Doktorarbeit mindestens teilweise als „Ghostwriter“ (deutsch: heimlicher Autor) verfasst.
Die von Brosius-Gersdorf beauftragte Kanzlei wies die Ghostwriting-Vorwürfe in einer Stellungnahme gegenüber BILD entschieden zurück und kündigte rechtliche Schritte gegen Weber an.
Schon im Juli hatte Weber der Juristin angebliche Ungereimtheiten in ihrer Dissertation vorgehalten. Die Folge: Nachdem schon zuvor Kritik an der Juristin wegen ihrer Positionen zu Abtreibung oder AfD‑Verbot aufkam, nahm die CDU-Fraktion den Plagiatsvorwurf zum Anlass, Brosius-Gersdorf im Bundestag nicht mehr zu wählen – ein Eklat, der die Koalition aus SPD und Union massiv belastete.
„Plagiatsjäger“ Stefan Weber (55) erhebt neue Vorwürfe gegen Frauke Brosius-Gersdorf
Foto: Joachim Bergauer Fotografie
Nun hat BILD den neuen Weber-Bericht zwei der renommiertesten Plagiatsexperten Deutschlands vorgelegt – und sie gefragt: Wie belastbar sind der Ghostwriting-Vorwurf und Webers Gutachten?
Die Fachleute zeigen sich angesichts von Webers Ghostwriting-These vorsichtig. Sie machen aber klar, dass die Gemeinsamkeiten in den Arbeiten von Brosius-Gersdorf und ihrem Mann kein Zufall sein können.
Die von Brosius-Gersdorf beauftragte Anwaltskanzlei weist die Ghostwriting-Vorwürfe vollständig zurück. Dass die Juristin in ihrer Dissertation auf wissenschaftliche Arbeiten ihres Ehemanns verwiesen habe, „die vor Veröffentlichung ihrer Dissertation publiziert wurden, lässt nicht den Vorwurf eines Ghostwriting durch Gersdorf zu“. Es gehöre zum wissenschaftlichen Arbeiten dazu, veröffentlichte Literatur zu zitieren, egal ob sie vom Ehemann verfasst wurde oder von Fremden. Auch gleiche Zitierfehler oder bestimmte Formulierungen in den Arbeiten von Brosius-Gersdorf und ihrem Ehemann ließen nicht die Schlussfolgerung zu, dass es sich um Ghostwriting handele. Um diese These zu untermauern, führen die Anwälte zahlreiche Beispiele an. Die komplette Stellungnahme der Anwälte lesen Sie hier. Die Vorwürfe von Stefan Weber lesen Sie hier.
Gemeinsamkeiten nur Zufall? „Würde ich ausschließen“
Rechtswissenschaftler Prof. Gerhard Dannemann (66, Humboldt-Uni Berlin) erklärt gegenüber BILD, dass er „die textuellen Übereinstimmungen“ zwischen der Dissertation von Frauke Brosius-Gersdorf und der Habilitationsschrift von Hubertus Gersdorf, die ihm bereits bekannt waren, „auch weiterhin für durchaus problematisch“ hält. Und weiter: „Ich würde ausschließen, dass die zufällig sein könnten.“
Plagiatsforscher Dannemann glaubt: „Entweder haben sich beide bei einer gemeinsamen verfassten Vorlage bedient oder eine/r hat von dem/der anderen abgeschrieben. Theoretisch könnte natürlich auch eine dritte Person diese Vorlage verfasst haben, aber dafür sehe ich keine Anzeichen.“ Dannemann macht klar: „So oder so müsste das offengelegt werden.“
Prof. Gerhard Dannemann (Humboldt-Uni Berlin)
Foto: picture alliance / dpa
Er betont mit Blick auf den neuen Weber-Bericht: „Die (…) Dokumentation scheint mir doch recht einseitig nur die Möglichkeit zu verfolgen, dass Frau Brosius-Gersdorf abgeschrieben hat.“
„Da wird es problematisch“
Auch Rechtswissenschaftler Prof. Roland Schimmel (58, Frankfurt University of Applied Sciences) sagt BILD: „Es ist natürlich möglich, dass der Ehemann für seine Ehefrau Text geschrieben hat. (…) Genauso gut können beide Texte in einen gemeinsamen Pool gelegt und dann je nach Erforderlichkeit wieder entnommen haben.“
Es gebe „augenfällige Textparallelen“. Das sei „ganz sicher kein Zufall“. Und: „Bisher hat niemand erklärt, wie es dazu gekommen ist. Ob nun er für sie oder sie für ihn Text geschrieben hat – und ob der jeweils andere das gewusst hat –, das scheint mir nicht so sicher zu sein.“
Prof. Roland Schimmel (Frankfurt University of Applied Sciences)
Foto: Privat
Schimmel beschreibt, dass es Dutzende „distinkte Formulierungen“ gebe, also „sehr eigene Formulierungen, die parallel in beiden Texten“ vorkämen. Er betont: „Da wird es problematisch. Denn beide Schriften enthalten die Versicherung, dass es sich um eigene Werke handelt. Nur wessen eigenes Werk sie sind, kann man nicht sicher sagen.“
Für ihn steht fest: „Für das, was Weber sagt, spricht nach gesundem Menschenverstand ganz viel. Aber ob man das aus dem Text verlässlich belegen kann, da habe ich erhebliche Zweifel. Wir sind in der Frage nicht schlauer als vorher.“
Zur Person
Gerhard Dannemann (66) ist Professor im Ruhestand für Recht, Wirtschaft und Politik Großbritanniens an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der gebürtige Essener promovierte 1993 in Freiburg über Menschenrechtsverletzungen und lehrte anschließend in Großbritannien, unter anderem an der University of Oxford. Er ist seit vielen Jahren aktives Mitglied der Plattform VroniPlag Wiki, die sich auf die Aufdeckung wissenschaftlicher Plagiate spezialisiert hat.
Roland Schimmel (58) ist Juraprofessor an der Frankfurt University of Applied Sciences. Der promovierte Jurist gilt als Experte für wissenschaftliches Arbeiten und die Qualität juristischer Abschlussarbeiten. Schimmel war ebenfalls bei VroniPlag Wiki aktiv und hat mehrfach auf Plagiate in Dissertationen öffentlicher Personen hingewiesen – zuletzt 2023 im Fall der Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner (47).