Kiel. Man sollte vielleicht meinen, es fällt süditalienischen Künstlern nicht leicht, im deutschen Norden zwischen Endmoränen und Nieselregen das Eis zu brechen und die Sonne ins Herz zu lassen. Aber die Sängerin Alessia Tondo, gesegnet mit einer dieser unwiderstehlichen, reizvoll angerauten Naturstimmen, macht das im Alleingang. Mit einem Traditionell aus ihrer Heimat Apulien („Arie de li traineiri“) im Handumdrehen.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Da glitzern und verschwimmen Text und Tonschwebungen wie die kleinen Wellen, die im Hafen von Otranto an die aufgeheizten Felsen klatschen oder am späten Abend von den Fassaden der Barockstadt Lecce widerhallen. Und das Between Worlds Ensemble mit dem Mandolinen-Magier Avi Avital legt in der anschließenden „Tarantella di Sannicandro“ gleich den Hebel von verträumt melancholisch auf unwiderstehlich fetzig um.

SHMF: Alessia Tondo und Avi Avital mit dem Between Worlds Ensemble in der Petruskirche Kiel

Tondo, geboren 1991 und schon mit sechs Jahren an der Seite ihrer Großmutter volksmusikalisch aktiv, inzwischen längst eine Ikone der süditalienischen Weltmusik-Szene mit zentralen Auftritten im Orchester und beim Festival „La notte della Taranta“, singt im Salento-Dialekt.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Und man spürt und erfährt, dass die inzwischen durch zunehmenden Tourismus belebte Provinz durch vielfältige kulturelle Einflüsse etwa aus Griechenland oder aus levantinisch und maurischen Regionen geprägt und belebt wurde. Deshalb spielen auch immer wieder vierteltönige Wendungen in den Melodien eine Rolle.

Das Konzertmotto „Italy“ entspricht der CD-Einspielung, die in dieser Woche als „Song of the Birds” bei der Deutschen Grammophon erscheint. Avital hat das zehnköpfige, aus einem Streichquintett, Flöte und Klarinette, Schlagzeug, Harfe und Gitarre gebildete Between Worlds Ensemble bereits 2014 gegründet – anders als es der wieder extrem magere Programmzettel verkündet, in dem man leider nichts über die beteiligten Musikerinnen und Musiker erfährt.

Wir sind sehr stolz auf unsere aktuelle CD-Einspielung, die an diesem Freitag erscheint.

Avi Avital

Mandolinen-Virtuose

Das rhythmische Pulsieren, das hochvirtuose Kreiseln der urwüchsigen Musik löst große Begeisterung in der ausverkauften Petruskirche aus. Aber das Ensemble setzt nicht nur auf neu belebtes Traditionelles, sondern hat mit Kompositionen der innovativen Cellisten Giovanni Sollima und Nicola Segatta auch Klänge des 21. Jahrhunderts dabei.

Sollimas „Viaggio in Italia“ nimmt Bezug auf den legendären Stauferkönig Friedrich II., der in der Region mit dem Castel del Monte Mitte des 13. Jahrhunderts ein weit sichtbares, wehrhaftes Zeichen setzte. Von Kreuzritter-Epos bis James-Bond-Soundtrack reicht dann auch das fesselnde Hörbild des Werks.

Weltmusik aus Apulien und neapolitanischer Barock: Avi Avital beim SHMF in Kiel

Ansonsten ist der gewohnt knuffige Entertainer Avi Avital, der aus der israelischen Mandolinen- und Akkordeon-Hochburg Be‘er Sheva stammt, einmal mehr bemüht zu beweisen, dass die Mandoline sich nicht auf die Capri-Fischer reduzieren lässt, sondern gerade in Italien eine große Kunstmusik-Historie vertritt.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Deshalb verwandeln sich die Between-Worlds-Ensemble-Mitglieder zwischendurch in stilkundige, wenn auch nicht perfekt koordinierte Partner für barocke oder neobarocke Ausflüge – hier für Giuseppe Torellis „Concerto grosso g-Moll op. 8 Nr. 6″ oder Igor Strawinskys modern angeschärfte Varianten in ausgewählten Bearbeitungen aus der „Suite Italienne“.

Und mit dem Komponisten Emanuele Barbella (1718 – 1777) hat Avital sogar noch südwestitalienische Raritäten im Programm, die seine Mandoline aufs Schönste im „galanten Stil“ in Szene setzen. Der Geiger Barbella war Konzertmeister in Neapels Teatro Nuovo und Teatro San Carlo. Zum Sonnenuntergang bei Capri sind es von da bekanntlich nur 32 Kilometer.

KN