Zum Gespräch fährt Johannes Liedbergius mit dem „kleinsten Klapprad der Welt“ vor, und auch sonst wirkt der braunlockige 43-jährige Chorleiter und Cembalist so jugendfrisch wie unkonventionell. „Während der Pandemie kam mir der Gedanke: Bremen braucht einen Profichor“, erzählt er fast nebenbei, beim hiesigen Rundfunk gebe es ja keinen. Die Idee hat er entschlossen umgesetzt und mit den Sängerinnen Karin Gyllenhammar – seiner Frau – und Magdalene Harer vor zwei Jahren den Solistenchor Bremen gegründet. Der hat sich seit dem Debüt im September 2023 in Lesum, noch unter dem Namen „Kammervokalisten“, bereits mit zwei Programmen erprobt. Auch eine Uraufführung gab es bereits, zwei weitere sind bereits geplant. „Jetzt sind wir klanglich und musikalisch an den Punkt gekommen, an dem wir uns einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren möchten“, sagt der Dirigent und lädt am 8. August zum Konzert in St. Johann im Schnoor.

Das Vokalensemble, unterstützt durch eine zweijährige Aufbauförderung des Kultursenators und mehrere Stiftungen, besteht aus je drei Stimmen für Sopran, Alt, Tenor und Bass plus einem sehr hohen Sopran und einem sehr tiefen Bass. 14 Köpfe also, manchmal auch mehr, allesamt professionelle Solosänger. Die einzelnen Projekte werden nach dem Prinzip der Deutschen Kammerphilharmonie gestaltet; ein Stamm von neun Bremern wird durch Gäste ergänzt, aktuell aus Slowenien und den Niederlanden. „Musikalisch orientiere ich mich an der skandinavischen Gesangskultur, die einen expansiven Chorklang bevorzugt, in dem solistische Fähigkeiten stärker hervortreten“, erklärt der Leiter.

Johannes Liedbergius ist in Schweden geboren – der im Deutschen so klangvolle Name bedeutet Hofberg oder Ortsberg. Die Mutter Norwegerin, der Vater Schwede: Der Musiker wuchs zweisprachig auf und besuchte schon als Kind eine Chorschule in Stockholm: „Eine Stunde am Tag wurde gesungen.“ Der Bariton studierte Gesang und Dirigieren in Oslo, Barockgesang und Cembalo im schwedischen Piteå am Polarkreis, bis er seiner Frau, die an der Hochschule für Künste studierte, nach Bremen folgte. Als Cembalist wirkt er regelmäßig in Barockorchestern wie Schirokko in Hamburg und La Festa Musicale in Hannover mit. In Bremen übernahm er 2023 die Leitung des Alsfelder Vokalensembles.

Nachrichten auf Lateinisch

Mit welcher Ernsthaftigkeit Liedbergius ans Werk geht, zeigt das anstehende Konzert „Canticum Calamitatum“ (Gesang der Plagen) mit „Psalmen und Rufen aus Eis, Wüste und Meer“. „Kein sehr sommerliches, aber angesichts der Katastrophen unserer Zeit ein sehr hoffnungsvolles Programm“, wie Liedbergius betont. Neben Felix Mendelssohns bekannten drei Psalmen op. 78 steht etwa eine Acht-Minuten-Komposition des Finnen Jaakko Mäntyjärvi, die an die 854 Opfer der 1994 in der Ostsee gesunkenen Fähre „Estonia“ erinnert. „Der finnische Rundfunk sendet wie Radio Bremen auch Nachrichten in lateinischer Sprache – den damaligen Text über das Unglück verbindet der Komponist mit Teilen des lateinischen Requiems“, erklärt der Musiker.

Es erklingt ein Psalm, den der schwedische Tonsetzer Jan Sandström nach einem Joik, dem traditionellen Gesang der Volksgruppe der Samen, gestaltet hat. Sein Landsmann Sven-David Sandström wiederum hat eine unvollendete Psalmvertonung Henry Purcells „in Mahlersche Klangwelten“ weitergeführt. Ein vielschichtiges Programm also mit modernen Werken, die sich gut anhören lassen, Liedbergius wird es in kurzen Moderationen erläutern. „Ich hoffe, dass dieses Konzert der nächste Schritt ist, den Solistenchor in der Hansestadt dauerhaft zu etablieren“, sagt er mit Nachdruck.

Info

Das Konzert „Canticum Calamitatum“ des Solistenchors Bremen erklingt am Freitag, 8. August, um 19.30 Uhr in St. Johann im Schnoor.

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