EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte wenig Verhandlungsspielraum im Zollstreit mit Donald Trump. Der US-Präsident konnte seine Forderungen gegenüber den Europäern Ende Juli ungerührt durchdrücken. Denn deren Abhängigkeit in Sicherheitsfragen von Washington ist aktuell einfach viel zu groß ist, als dass man sich ein Zerwürfnis mit dem US-Partner leisten könnte.

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Doch nicht nur im Bereich der Verteidigung, auch in anderen Themenfeldern wie digitale Dienstleistungen oder Energieversorgung ist die Frage, wie Europa seine Souveränität stärken – oder überhaupt erst erlangen kann. Und wie in dem Zusammenhang die Vereinbarungen über riesige Mengen LNG oder andere Energieträger aus den USA zu bewerten sind.

Für unsere Rubrik „3 auf 1“ machen verschiedene Experten Vorschläge, wie Europa jeweils in einem wichtigen Feld mehr Unabhängigkeit von den USA erreichen kann.

Tansformation der Nato – in enger Abstimmung mit den USA

Joachim Krause ist Politikwissenschaftler und war Direktor des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik.

Theoretisch kann sich Europa durch die Schaffung eines europäischen Bundesstaates von den USA unabhängig machen. Da dieser nicht kommen wird, bleibt nur übrig, innerhalb der Nato eine Neuverteilung der Aufgaben anzustreben, die Europa mehr Gewicht verleiht.

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Dabei müssen militärische Fähigkeiten der Amerikaner durch europäische ersetzt werden, die für die Verteidigung Europas heute unverzichtbar sind. Diese Fähigkeiten müssen erst geschaffen werden und dazu braucht man zehn bis 15 Jahre und entsprechende Investitionen. Zu diesen Fähigkeiten gehören strategische und operative Aufklärung, Luftraumverteidigung, weitreichende Raketen sowie eine Reservekapazität sowohl personeller wie industrieller Art, die auch das Führen langfristiger Kriege erlaubt.

Wir müssen in die Lage kommen, Europa auch ohne die USA gegen Russland zu verteidigen. Diese Transformation der NATO muss in enger Abstimmung mit den USA erfolgen, denn auch die USA wollen ihre Militärpräsenz in Europa verringern. Zu diesem Zweck sollten die Europäer und die USA eine Vereinbarung schließen, in der verpflichtend festgelegt wird, wann die USA welche Fähigkeiten abziehen und wann diese von Europäern ersetzt werden.

Digitale Souveräntität ist Europas Achillesferse

Hendrik Mahlkow ist Wissenschaftler am Institut für Weltwirtschaft Kiel und quantitativer Handelsökonom.

Digitale Souveränität ist Europas Achillesferse. Ob Cloud-Dienste, Betriebssysteme, KI-Modelle, soziale Medien oder Halbleiter, zentrale Technologien stammen aus den USA. Behörden, Unternehmen und Forschungseinrichtungen speichern Daten bei Alphabet, Amazon oder Microsoft, oft ohne echte Kontrolle. Auch die führenden KI-Modelle wie ChatGPT oder Gemini liegen in US-Hand. Diese technologische Abhängigkeit birgt Risiken: wirtschaftlich, politisch und sicherheitspolitisch. Wer keine eigene Infrastruktur hat, ist im Zweifel nicht handlungsfähig.

Europa muss handeln, mit strategischen Investitionen in Cloud-, Software- und Chip-Infrastruktur, einer aktiven Förderung europäischer KI-Modelle und einer Regulierung, die fairen Wettbewerb schafft. Open-Source-Projekte, klare Beschaffungsregeln für die öffentliche Hand und internationale Tech-Allianzen mit Gleichgesinnten können helfen. Auch eine Besteuerung großer US-Techkonzerne kann europäischen Anbietern den Markteintritt erleichtern und die US-Marktmacht reduzieren.

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Digitale Unabhängigkeit heißt nicht Abschottung – sondern die Fähigkeit, im Ernstfall selbst entscheiden zu können.

Fossile Importabhängigkeit reduzieren statt ausbauen

Stefan Dohler ist  Präsident des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft und Vorstandsvorsitzender des Energieversorgers EWE AG. 

Die Energiekrise hat Europa gezeigt, wie riskant Abhängigkeiten von einzelnen Lieferländern sein können. Eine Abhängigkeit wie von russischem Gas darf sich nicht wiederholen.

Daraus folgt ein klarer energiepolitischer Auftrag: Die Energieversorgung muss weiter diversifiziert werden, um Konzentrationsrisiken zu vermeiden und Produktions- und Lieferschwankungen – seien sie technischer, ökonomischer oder geopolitischer Natur – ohne Kompromittierung der Versorgungssicherheit und der politischen Handlungsfähigkeit ausgleichen zu können. Dabei tragen Gas- und perspektivisch Wasserstoffspeicher wesentlich zur Stabilität und Sicherheit der Energieversorgung bei.

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Deutschland und Europa können durch den Ausbau der Erneuerbaren Klimaschutz stärken und die fossile Importabhängigkeit reduzieren. Dazu brauchen wir wasserstofffähige Gaskraftwerke und verlässliche Marktbedingungen – etwa über einen integrierten Kapazitätsmarkt. So sichern wir Versorgungssicherheit in einem klimaneutralen Europa und machen uns resilient gegenüber politischem Druck. Derzeit stammen schon rund 50 Prozent der LNG-Importe aus den USA. Europa muss deutlich stärker diversifizieren – so stärkt es seine Handlungsfreiheit.