J. Ryan Stradal kam 1975 auf die Welt und wuchs im südlichen Minnesota auf. Er besitzt weder ein Gewehr noch ein Motorrad, was ihn einzigartig macht unter den Männern seiner Familie. Außerdem schreibt er herrliche Romane. Mit „Samstagabend im Lakeside Supper Club“ erscheint schon sein dritter. Auch der spielt in der Gastro-Szene des Mittleren Westens und erzählt von einfachen Leuten, die ihr Herz an der richtigen Stelle haben.
Starke Frauen
Es geht um einen am malerischen Bear Jaw Lake gelegenen Diner, der sich als Familienbetrieb in vierter Generation gegen die Konkurrenz der Fast-Food-Ketten behaupten konnte. Nicht zuletzt, weil starke Frauen das Heft in die Hand genommen und den Laden auf Vordermann gebracht haben. J. Ryan Stradal schreibt über die guten alten Zeiten in Amerika, in denen es sich durch ehrliche harte Arbeit noch zu etwas bringen ließ. Die Empathie, die er für seine Figuren empfindet, trägt diesen wunderbaren Roman, der sich liest wie ein Drehbuch. Was kein Wunder ist. Arbeitete Stradal doch lange als Story-Editor und Produzent für Fernsehshows auf VH1 und MTV.
Unaufgeregt erzählt er von den Wünschen und Träumen und von den Zwängen und Erwartungen, die so ein Familienbetrieb mit sich bringt. Erst Julia als jüngster Spross der Dynastie kann sich von den Verpflichtungen freimachen, aufs College gehen und ihr eigenes Leben leben. Von Kapitel zu Kapitel wechseln Perspektive und Zeitebene, sodass das Panorama eines halben Jahrhunderts vorüberzieht.
Bewegende Szenen
Wer die Bücher von Richard Russo oder Kent Haruf mag, dem werden auch die Romane von J. Ryan Stradal gefallen. Immer wieder gibt es bewegende Szenen. Wenn etwa Mariels lange ersehntes Kind mit drei im Pool ertrinkt. Jahrelang spricht Mariel nicht mehr mit ihrer Mutter, der sie die Schuld gibt. Bis die nach Bear Jaw Lake zurückkehrt und sich zwei Monate in der Kirche verbarrikadiert.
Schon in seinen Romanen „Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens“ (2015) und „Die Bierkönigin von Minnesota“ (2019) wählte J. Ryan Stradal weibliche Protagonisten. Immer sind Frauen die wahren Helden dieser versöhnlichen Geschichten, in denen es um gute alte Werte wie Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft und Familie geht. „Diese Charaktere sind meine Mutter“, sagte Stradal selbst einmal. Die liebte ihren Job im State Government, wollte aber immer einen Roman über die Working-Class-People schreiben. Dazu kam es nicht mehr. Mit 55 starb sie an Krebs. Die Romane, die sie immer schreiben wollte, schreibt jetzt ihr Sohn.
J. Ryan Stradal: Samstagabend im Lakeside Supper Club. Übersetzt von Kathrin Bielfeld. Diogenes, 384 S., 25 Euro, ISBN 978-3-257-07332-4
J. Ryan Stradal: Samstagabend im Lakeside Supper Club. Diogenes, 384 S., 25 Euro, ISBN 978-3-257-07332-4 (Foto: Diogenes)