An der Schlussszene hätte ein Taschentuchhersteller seine Freude gehabt: „Thank you“, schluchzt Cameron B., während auch in den Augen einer Schöffin die Tränen glitzern und auf den Zuschauerbänken ein Schniefen zu vernehmen ist. Soeben hat das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Wilfried Dudek die 24-jährige Britin zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Und das, obwohl sie im April dieses Jahres beim Schmuggeln von 20 Kilogramm Marihuana am Münchner Flughafen erwischt worden war. Verfolgt man britische Medien, so scheint das Anheuern von jungen Drogenkurierinnen kein Einzelfall zu sein.
Wenn Cameron B. zu erzählen beginnt, muss man unweigerlich an eine Räuberpistole denken: Die Geschichten erscheinen viel zu abwegig und auch zu schlimm, um wahr zu sein. „Ihr ganzes Leben war eine Notsituation“, wird Verteidigerin Rita Drar am Ende in ihrem Plädoyer sagen. Mit 16 Jahren schwanger, mit 17 Mutter eines Sohnes, der unter einer Autismus-Störung leidet. Der Vater des Kindes wird verhaftet, „wegen häuslicher Gewalt“, berichtet Cameron B. Um Geld zu verdienen, zieht sie von Stevenage nach London – und bewirbt sich bei einem Escortservice.
Mit Drogenfahnder durch die Nacht
:So dreist kokst München
Ein Fahnder der Polizei zeigt bei einer Tour durch die Samstagnacht, wie in München konsumiert und gedealt wird. Nicht diskret, sondern beinahe unverschämt offen.
SZ PlusVon Katja Schnitzler
Ihre Fotos werden auf diversen Websites gezeigt, es geht nicht nur um „Begleitung“. Cameron B. arbeitet als Prostituierte und ein gewisser „Joseph“ ist ihr Zuhälter, organisiert die Jobs und kassiert 60 Prozent der Einnahmen. So erzählt es die 24-Jährige. Bis eines Tages ein Stammkunde mit zwei Männern erscheint, sie an einen Stuhl fesselt und ihr die Wocheneinnahmen in Höhe von 8600 Pfund stiehlt. „Joseph hat mich am Telefon angeschrien und gesagt, ich hätte das alles inszeniert. Ich muss das Geld zurückzahlen.“
Ein Band hält das braune, lange Haar aus dem Gesicht, um den Hals trägt Cameron B. eine weiße Kette mit einem Kreuz. Falten ziehen über ihre Stirn, während sie erzählt, wie Joseph sie monatelang bedroht habe, bis sie in ein Frauenhaus geflüchtet sei. Sie habe eine neue Wohnung gefunden, doch auch da sei der Mann aufgetaucht. Die einzige Möglichkeit, ihre Schuld wettzumachen, so habe er ihr erklärt, sei nach Thailand zu fliegen und etwas für ihn abzuholen.
In Chats, die dem Gericht vorliegen, steuert Joseph die junge Frau von Phuket nach Bangkok, wo sie vor ihrem Hotel einen Mann in einem grauen Mercedes zu treffen hat. Dem muss sie ihren Koffer übergeben, während er ihr einen anderen zuschiebt. „Warum ist der Koffer so schwer?“, schrieb sie an Joseph. „Mach dir keine Sorgen“, antwortete er. Dann buchte er für sie einen Flug von Bangkok über München nach London. Was im Koffer war, habe sie nicht gewusst.
„Bangkok machen wir immer“, berichtet ein Zollbeamter vom Münchner Flughafen vor Gericht und meint damit, dass alle Gepäckstücke durch ein Röntgengerät laufen und verdächtige von Drogenhunden abgeschnüffelt werden. Wenig später wurde der 24-Jährigen die Festnahme erklärt, „sie wirkte nicht überrascht“.
Nun hatten die Zollfahnder eine Handynummer und einen englischen Namen: Joseph C. Sie baten die britischen Kollegen um Amtshilfe – auf eine Antwort warten sie allerdings bis heute. Dabei berichten englische Medien von einigen Fällen, in denen junge Frauen als Kurierinnen eingesetzt wurden. In Thailand wurde Cannabis vor drei Jahren weitgehend legalisiert, was zu einem Massenansturm an Touristen und Großkunden führte. Während im Vereinigten Königreich der Konsum, Besitz, Anbau und Handel illegal ist, ist in Deutschland der Besitz von geringen Mengen erlaubt. Das neue Cannabisgesetz wirkt sich auch auf die Verurteilung von Drogenkurieren aus, sie erwarten geringere Strafen.
Zwei Jahre und sieben Monate Gefängnis fordert die Staatsanwaltschaft, doch Richter Dudek meint, dass man jeden Fall gesondert betrachten müsse. Die Geschichte mit der Bedrohung glaube man der Angeklagten. „Ob sie wirklich so ahnungslos war?“ – die Antwort lässt Dudek offen. Wegen „versuchter Durchfuhr von Cannabis und Beihilfe zum Handeltreiben“ verurteilt er B. zu einer Haftstrafe von zwei Jahren – und setzt sie zur Bewährung aus.