Wer Rap-Superstar Eminem (220 Millionen verkaufte Alben!) schauspielern sehen möchte – wie im mehrfach preisgekrönten und sogar oscarprämierten Drama „8 Mile“ oder zuletzt bei einem Cameo in Adam Sandlers Slapstick-Parade „Happy Gilmore 2“ – liegt bei „Stans“ falsch. Denn der Film von Regisseur Steven Leckart („Challenger: The Final Flight“) ist eine Dokumentation über ihn, aber vor allem auch eine teilweise spannende, dann wieder Unwohlsein hervorrufende Betrachtung des Phänomens Fan-Obsession am Beispiel des Detroiters und einiger seiner treuesten Anhänger*innen.

Das Ganze ist nach seinem bekanntesten Song „Stan“ aus dem Jahr 2000 benannt, der unter anderem in Deutschland Platz 1 der Single-Charts erreichte. Der Text wurde damals von einigen Fanbriefen inspiriert, die der Rapper erhielt. Die Strophen des dem Rap-Untergenre Horrorcore zugeordneten Liedes sind in Briefform verfasst und beschreiben den fiktiven Schriftverkehr zwischen Eminem und einem von ihm besessenen jungen Mann namens Stan, der letztlich tragisch endet.

Eminem alias Marshall Bruce Mathers III feiert seit den 1990er-Jahren große Erfolge auf der Bühne – doch der Ruhm hat seinen Preis!

LUF

Eminem alias Marshall Bruce Mathers III feiert seit den 1990er-Jahren große Erfolge auf der Bühne – doch der Ruhm hat seinen Preis!

In gut 100 Minuten erzählt Leckart die Laufbahn des unter kommerziellen Gesichtspunkten größten Stars der Hip-Hop-Historie nach – mit all ihren enormen Höhen und sehr tiefen Tälern. Es gibt exklusive Gesprächs-Segmente mit Eminem selbst und eine Menge Archivaufnahmen sowie Einblicke in seinen Kreativprozess. Dazu kommen Interviews mit Weggefährten, Freunden und Vorbildern wie Rapper/Schauspieler LL Cool J, Rapper/Produzent Dr. Dre, Comedy-Superstar Adam Sandler und der britischen Popsängerin Dido, seiner Duettpartnerin auf „Stan“. Sogar Devon Sawa, der „Final Destination“-Star, der die Titelfigur des auf MTV und Co. damals zu Tode genudelten Videoclips verkörperte, hat einen kurzen Auftritt. Sawa spricht zwar nicht, aber dafür spielt er noch einmal seine Rolle von damals. So weit, so halbwegs konventionell. Doch der Film bietet mehr als eine schnöde Karriere-Retrospektive.

Das Gros der Laufzeit nehmen nämlich Statements von selbsternannten „Stans“ aus den USA und Europa ein, die berichten, was sie mit der Musik, den Texten und vor allem der Person Eminem verbindet. Sie alle glauben, ihn zu kennen – aus dem Fernsehen, aus Online-Videos oder aus der Presse, vor allem aber aufgrund seiner Songs und der Dinge, die sie in diese hineininterpretieren. Im realen Leben haben sie Marshall Bruce Mathers III., wie er bürgerlich heißt, aber allenfalls mal aus der Entfernung des Publikumsbereichs bei einem seiner Konzerte erlebt.

Der schmale Grat zwischen Identifikation und Obsession

Diese Fans schildern seine Vita aus dem Effeff – egal ob es sich um den künstlerischen Werdegang oder Eminems private Situation handelt. Leckart lässt sie erzählen, während er zwischendurch Archivaufnahmen des Musikers darüber laufen lässt. Immer wieder finden sie Parallelen zwischen seinem Leben, seinen Erfahrungen, seinen Texten oder Interview-Äußerungen und ihrem eigenen Leben. „Ich bin genau wie er“, „Mir ging es so wie ihm“ oder „Ich hatte eine sehr ähnliche Kindheit“ sind Sätze, die wir öfter zu hören bekommen.

Eine der „Stans“ ist stolz auf ihren Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde für die weltweit meisten Tätowierungen von Porträts eines fremden Menschen auf ihrem Körper. Ein anderer verbringt seinen Jahresurlaub in Detroit, um zu dem Brachland zu pilgern, auf dem einst das mittlerweile abgerissene Haus von Eminems Mutter stand. Eine dritte wiederum schreibt Online-Fan-Fiction, in der sie und der Star eine romantische Beziehung miteinander führen. Eine besonders engagierte Frau arbeitete sogar zehn Jahre lang in dem Schnellrestaurant, in dem er als Jugendlicher eine Weile am Grill gestanden hatte – immer in der Hoffnung, dass ihr Idol vielleicht eines Tages mal hereinspazieren und einen Burger bestellen würde.

Nur einer von vielen „Stans“, die nicht immer das richtige Maß an Distanz zu ihrem Idol halten...

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Nur einer von vielen „Stans“, die nicht immer das richtige Maß an Distanz zu ihrem Idol halten…

Hört man dem Cast zu, so ist es in Bezug auf einige der fast beängstigend in Stalking-Bereiche vordringenden Gedanken und Storys kein Wunder, dass Eminem sich schon seit vielen Jahren kaum noch in der Öffentlichkeit zeigt. Er spricht auch darüber, was die Faszination mit seiner Person und seinem Werk aus seinem eigenen Leben gemacht hat. Jahrelang war er ein Gefangener im eigenen Haus, der Bodyguards brauchte, weil Heerscharen von Fans in seinem Vorgarten kampierten, ihm überallhin folgten und nicht nur ihn, sondern bald auch seine kleine Tochter rund um die Uhr bedrängten.

Einige der „Stans“ scheinen vor Leckarts Kamera zu realisieren, dass Aspekte ihres Fantums vielleicht wirklich zu nah an dem sind, was der psychopathische und letztlich mörderische Titelheld des Songs „Stan“ sagt, schreibt, tut und erlebt. Ein paar zucken mit den Achseln, lachen darüber und machen Scherze. Andere, wie der Franzose Zolt, wollen es sich nicht eingestehen oder merken es wahrscheinlich gar nicht. Dieses Phänomen heißt parasoziale Interaktion.

Mitunter manipulativ – aber eben auch wirkungsvoll!

Der Film spannt einen zum Karriereverlauf des Künstlers passenden narrativen Bogen von den bescheidenen Anfängen und dem plötzlichen Megaerfolg über massive persönliche Probleme hin zu einem reflektierenden, reiferen Menschen. Diese Entwicklung des Stars wird im letzten Drittel durch die sich ebenfalls verändernden Statements der „Stans“ gespiegelt. Klar, das ist vom Macher durch den Schnitt und die Musik sowie das Einblenden von pointiert ausgesuchten Textzeilen aus Eminem-Hits manipulativ und forciert – aber es funktioniert und macht das Werk so zu einem runden Erlebnis.

Fazit: „Stans“ schildert nicht nur die phänomenal erfolgreiche Karriere des Rappers Eminem, sondern zeigt auch, welchen Einfluss der Star und seine Stücke auf das Denken, Fühlen und Handeln seiner treuesten Anhänger*innen hatten und noch immer haben. Eine außergewöhnliche Dokumentation, die nicht perfekt und nicht ohne einige Längen daherkommt, aber dennoch nicht nur für Fans des Hip-Hop-Titans faszinierend sein dürfte.