Was lesen Sie?
Das ist eine sehr schwierige Frage, und eigentlich sollte ich das wohl gar nicht sagen. Ich bin Architektin, aber ich bin auch Akademikerin. Deswegen muss ich viele Dinge zur Recherche lesen, die ich oft nicht mit richtigem Lesen in Verbindung bringe. Ich mag Bücher, die sich mit dem Leben im Allgemeinen befassen. Auf meinem Nachttisch kann man von Poesie bis zu alten Weisheiten oder Texten, die Menschen vor langer Zeit, vor der Kolonisierung, geschrieben haben, finden. Gerade liegt da zum Beispiel das Mahabharata, ein indisches Epos. Ich finde es spannend zu sehen, welche grundlegenden Dinge in unserer sich schnell verändernden Welt konstant bleiben. Eines der Bücher, das ich derzeit wieder lese, ist „Die Poetik des Raumes“ von Gaston Bachelard, auf das ich immer wieder zurückkomme. Es schlägt den Bogen von der Psychoanalyse zur Poesie. Es nähert sich der Architektur aus vielen verschiedenen Perspektiven. Ich habe auch schon ein paar Seiten von „Frei – Das Ende der Welt, wie wir sie kennen“ von Lea Ypi gelesen. Ein Memoir über das Aufwachsen in den letzten Tagen des kommunistischen Albaniens, aber das hebe ich mir für die Sommerferien auf.
Welches Buch haben Sie im Bücherschrank, das Sie bestimmt nie lesen werden?
Ich habe einige Bücher, die von meinen Freunden oder Menschen, die ich kenne und mag, geschrieben wurden, und die ich gerne in meinem Bücherregal aufbewahre. Einige von ihnen möchte ich, wenn ich ehrlich bin, aber gar nicht lesen. Ich bin stolz auf das, was meine Freunde da geschaffen haben, und das Buch erinnert mich an sie. Aber ich muss diese Bücher nicht unbedingt lesen. Dann gibt es Bücher, die ich in meiner Muttersprache kenne und die ich später auf Englisch gefunden habe, die ich aber nicht nochmal lesen muss, weil ich ihren Inhalt kenne. Bücher sind ja auch Objekte. Sie rufen Erinnerungen wach oder lassen Assoziationen zu. Denn auch, wenn ich diese Bücher nicht lese, haben sie immer noch eine Ausstrahlung, einen emotionalen Wert. Aber diese Bücher sind die Ausnahme in meinem Regal. Eigentlich sammle ich keine unnützen Dinge und ich fetischisiere Bücher auch nicht als Objekte, von denen man möglichst viele besitzen sollte.
Anupama Kundoo ist Architektin und Professorin für Architektur an der Technischen Universität Berlin. Sie lehrt unter anderem in Yale und an der Columbia University. Ihre Laufbahn startete sie 1990 in Auroville, in ihrem Heimatland Indien. Sie beschäftigt sich damit, wie unsere Städte sich durch die Urbanisierung und den Klimawandel verändern werden, und betreibt Studios in Berlin, Mumbai und Pondicherry.
In der Sonntagszeitung vom 10. August finden sich zusätzlich die Antworten von Anupama Kundoo auf die Fragen, was sie sieht, was sie hört – und was sie nervt.