Seinen neuen Roman „Atom“ hat der Autor Stefan Kopetzky jetzt im gut besuchten Roxy Labor vorgestellt – intime Atmosphäre mit abgedunkelten Wänden, eine Lampe auf den Autor gerichtet, der vor den Zuhörerinnen und Zuhörern einen schier unfasslichen Kosmos ausbreitet.

Kopetzky sagt: Alles war real

Im Zentrum seines Buches steht der gerade erst 21 Jahre alte Simon Batley, Student der Ingenieurwissenschaften und begnadeter Rugbyspieler. Als „junger Mann mit kurzem Scheitel und sonnengebräuntem Teint“ sowie hellwachem Verstand ist Simon ideal für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6. Ein geborener Doppelagent und Anführer. Kopetzky schickt seinen Helden auf eine aberwitzige Reise. Aberwitzig, aber eben auch wahr, denn Kopetzky hat alle Kernszenen seines Buches nach tatsächlichen Ereignissen gestaltet. „Das ist oder war real, darauf können sie sich verlassen“, versichert der Autor. Er habe allerdings „Figuren zusammengelegt“, dabei aber „Gespräche, Abläufe, historische Relevanz korrekt und unverändert“ literarisiert.

Das Buch setzt in den späten 1920er Jahren ein, hier begegnen wir auch zwei weiteren zentralen Figuren, dem Russen Alexander „Sascha“ und der smarten deutschen Physikerin Hedwig von Treyden, Hedi genannt, eine hochintelligente Frau mit Bubikopf, „eine Offenbarung in Segeltuch und Baskenmütze“. Das Trio findet sich in Berlin, wo Simon, schon im Dienst des MI6, mit einem Auslandsstipendium bei Albert Einstein in Berlin Physik studiert. Er wird dank seiner erworbenen Kenntnisse zur Schlüsselfigur in einer legendären geheimdienstlichen Operation: der Entdeckung und Zerstörung der Nazi-Raketenforschungsbasis in Peenemünde.

Die Liebe in Zeiten der Atom-Ära

Als einer jener „Watchdogs“ (Wachhunde) der Briten wird Simon Batley mittels Spionage und Gegenspionage zum Retter seines Heimatlandes. Denn dieses, attackiert durch die „Vergeltungswaffen“ V1 und V2, könnte auch Ziel der neuen „Wunderwaffen“ sein, deren konkrete Existenz nicht nur Großbritannien bedroht. Es geht um die deutsche Atomwaffe. Wer entwickelt sie, wo wird sie möglicherweise montiert, von wo aus dereinst abgeschossen? Das muss Simon herausfinden und Kopetzky baut auf dieser hoch spannenden – und eben realen Basis – seine raffinierte Mischung von genau recherchierter Historie und (darin) eingebettetem fiktiven Plot. Wie sich Sowjetunion, USA, Nazi-Deutschland und Japan gegenseitig während des Zweiten Weltkriegs nicht nur zur raschen Fertigstellung, sondern auch zum unvermeidlich scheinenden Einsatz der Atombombe drängen, ist fesselnd und mit einer irrwitzigen Faktendichte erzählt. Kopetzky ist als Vortragender ebenso versiert wie als Erzähler. Und er hat diese enorme Fülle an Fakten und Figuren auswendig im Kopf, kann auf jede Nachfrage jedes Detail seines Opus wiedergeben. Und mehr.

Zu den Reizen von Buch und Live-Vortrag zählen die vielen kleinen Portraits, die Kopetzky in „Atom“ einbettet, etwa von Sir Winston Churchill („gediegene Cognacfahne“), Jona von Ustinov, Vater des später so berühmten Schauspielers Peter Ustinov, Atombomben-„Vater“ Robert Oppenheimer oder Wernher von Braun („hoch ehrgeiziger Student von merkurischer Intelligenz“). Kopetzkys Leistung ist es, nicht nur all diese Figuren miteinander in Verbindung zu bringen und dabei stets seine Hauptfigur Simon Batley im Blick zu behalten – es ist eine fundierte und herausragend erzählte Geschichtsstunde in Sachen militärischer Hybris, wie wir sie aktuell vielleicht wieder erleben.

Gefragt, wer seine „Hausheiligen“ in der Literatur seien, nennt Kopetzky neben Thomas Mann, Franz Kafka und Edgar Allan Poe auch Thomas Pynchon. Eben jenen unverständlicherweise immer noch nicht mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Genius aus Amerika, der mit seinem furiosen „Gravitys Rainbow“ (dt. „Die Enden der Parabel“) schon einmal von den komplexen Macht- und Spionagegeflechten während des Zweiten Weltkriegs erzählte. Ob er sich von dessen Geniestreich für die eigene parabelhafte Handlungsführung inspirieren ließ? Die Frage lässt Kopetzky offen.

Schön aber, wie er sich mit Nancy Hecker-Denschlag vom „Einstein Discovery Center“-Förderverein einig war, dass man als große Herausforderung nun Einsteins Erbe zu bewahren habe: „Die Wissenschaft muss als Freund der Menschheit gefeiert werden“, findet er. Das entstehende Discovery Center sei hierfür der ideale Ort. Kopetzky meint: „Wir brauchen viel mehr von diesen Orten, denn der Wissenschaft verdanken wir unsere Zivilisation, unseren Wohlstand“. Dass man heute wieder aufklären müsse, dass Verschwörungstheorien und Wissenschaftsfeindlichkeit insbesondere in dem Land drastisch zunimmt, das die Atombombe als Erstes abwarf – die USA – stimmt ihn sehr traurig. Man denkt an eine der schönsten Szenen des Buches, als Simon und Hedi nach aufgeregter Nacht zum Mond aufblicken und erkennen, „dass alles Leben auf einem einzigen ersten Atom beruht, dass wir alle aus diesem ersten Atom geboren wurden“.

Dieser Abend, organisiert vom Langenauer Buchhändler Thomas Mahr, war stellenweise erschlagend durch die vielen Fakten und Namen, doch nicht weniger als beeindruckend und berührend.

  • Florian L. Arnold

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  • Thomas Mann

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  • MI6

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