Ehrengardisten bei der Probe für die Militärparade zum 9. Mai auf dem Dvortsovaya-Platz zur Feier des 80. Jahrestags des Sieges der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, St. Petersburg, 22. April 2025 [AP Photo/Dmitri Lovetsky]
Die jüngsten Ereignisse in der Welt bestätigen den allgemeinen Trend des Kapitalismus zu Diktatur und Krieg. Unfähig, die Krise auf andere Weise zu bewältigen, setzen die imperialistischen und bürgerlich-nationalistischen Regime auf Waffen als einziges „allmächtiges“ Mittel zur Lösung ihrer Widersprüche und bedrohen die Welt mit einem Atomkrieg.
Das Putin-Regime bildet da keine Ausnahme und versucht seit langem, seine eigene Krise durch Diktatur, Aufrüstung und diplomatische Manöver mit dem Imperialismus zu lösen. Der Kreml bemüht sich um einen Deal, der die russische Oligarchie vor den Schlägen des Imperialismus bewahrt und gleichzeitig die Entwicklung einer Revolution der Arbeiterklasse im eigenen Land verhindern soll.
Der wichtigste ideologische Hebel, den das Putin-Regime zur Rechtfertigung und Tarnung seiner Politik einsetzt, ist die Förderung des russischen Chauvinismus. Am 12. Juni, dem so genannten „Russlandtag“, hielt Putin eine Zeremonie zur Verleihung staatlicher Auszeichnungen ab. In seiner Eröffnungsrede erklärte er, dieser Feiertag symbolisiere „den mächtigen, ungebrochenen, mehr als tausendjährigen Weg des russischen Staats“.
Indem er den Mythos eines tausendjährigen Russlands wiederbelebt, versucht Putin die Tatsache zu verbergen, dass dieser „Feiertag“ erst nach Boris Jelzins Dekret im Jahr 1994 eingeführt und 2002 auf der Grundlage von Putins eigenem Dekret offiziell „Russlandtag“ genannt wurde. Der Hauptzweck besteht darin, im Interesse der russischen Oligarchie das Bewusstsein der arbeitenden Massen zu vergiften. Dieser „Feiertag“ spielt heute, im Zusammenhang mit dem eskalierenden Krieg in der Ukraine, eine noch wichtigere ideologische Rolle als zuvor.
Die Geschichte des Russlandtags ist interessant. Am 12. Juni 1990 verabschiedete der Kongress der Volksdeputierten (das damalige russische Parlament) die Erklärung über die Souveränität Russlands und ebnete damit den Weg für die Restauration des Kapitalismus und die Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991.
Doch dieses Parlament überlebte die Russische Föderation nicht lange. Im Oktober 1993 wurde es von Jelzins Panzern beschossen, was zur Errichtung einer Präsidialdiktatur und zu einer Verfassungsänderung führte. Das frühere Parlament wurde durch die Föderale Versammlung ersetzt, in der der Präsident faktisch über eine garantierte Mehrheit verfügte, was fast immer auf antidemokratische Wahlverfahren zurückzuführen war.
Als Jelzins Nachfolger führte Putin dessen Machtanspruch fort, wonach der Präsident uneingeschränkte Kontrolle über das Parlament bei richtungsweisenden Entscheidungen zugunsten der Oligarchie haben sollte.
Natürlich erwähnte Putin in seiner Rede nichts von alledem. Außerdem ging er auf keine der Schlüsselfragen der aktuellen sozioökonomischen Situation in Russland ein. Seine Versuche, die schwere sozioökonomische Krise zu vertuschen, zeugen vom Bankrott seines Regimes, das nicht in der Lage ist, die Dinge beim Namen zu nennen.
Ein Rückgang des Wirtschaftswachstums und endlose Preissteigerungen
Das auffälligste Merkmal der aktuellen Situation in Russland ist der Rückgang des Wirtschaftswachstums im Vergleich zu den Jahren 2023 und 2024, als die russische Wirtschaft um etwa 4 Prozent pro Jahr wuchs. Dieser kurzzeitige Anstieg, der auf die hohen Militärausgaben und die relativ lockere Politik der Zentralbank zurückzuführen war, ist zu Ende, und nun muss Putins Regime den „Rüstungsboom“ bezahlen – mit einem Angriff auf die Arbeiterklasse.
In einer kürzlich erschienenen Publikation des Instituts für Wirtschaftsprognosen der Russischen Akademie der Wissenschaften (INP-RAN) heißt es, dass das jährliche BIP-Wachstum Russlands seit Juni 2024 nur noch 1,4 Prozent beträgt. Bis zum Jahresende könne das geringe Wirtschaftswachstum in eine Rezession umschlagen. Aus den Statistiken für Mai geht hervor, dass das Wirtschaftswachstum in nahezu allen Wirtschaftssektoren fast vollständig zum Stillstand gekommen ist.
Gleichzeitig ist die russische Zentralbank unter der Leitung von Elvira Nabiullina nicht sonderlich erpicht darauf, ihre Politik der niedrigen Zinssätze zu ändern. Die straffe Geldpolitik der Zentralbank wird mit der so genannten Inflationsbekämpfung begründet, um eine Überhitzung und Überlastung der Wirtschaft vor dem Hintergrund des Kriegs zu vermeiden. In diesem Sinne reagiert die Zentralbank auf die Situation gemäß dem Lehrbuch der bürgerlichen Ökonomie.
Doch trotz der harten Zinspolitik der Zentralbank ist die Inflation nicht wesentlich zurückgegangen und lag am 2. Juni bei 9,7 Prozent. Das ist immer noch weit entfernt vom ursprünglichen Ziel, sie bis Ende 2025 auf 4 Prozent zu senken.
Gleichzeitig trifft ein solcher Preisanstieg vor allem die ärmsten Teile der Arbeiterklasse, die in schlecht bezahlten Berufen tätig sind. Insbesondere die Rechnungen für Strom und Gas sollen ab dem 1. Juli 2025 um 11,9 Prozent, 2026 um 9,8 Prozent und ab 2027 um 7,9 Prozent steigen, wobei die Inflationsrate für 2026 auf 6 Prozent und für 2027 auf 4 Prozent geschätzt wird.
Insgesamt werden die Stromtarife für die Bevölkerung bis zum 1. Juli 2028 um etwa 42,6 Prozent und Gastarife um 80 Prozent steigen. Die Erhöhung der Gaspreise ist in erster Linie darauf ausgerichtet, die Lasten der Krise des staatlichen Gasunternehmens Gazprom auf die Schultern der russischen Arbeiter abzuwälzen.
Die Krise in der Ölindustrie, ausgelöst durch niedrige Weltmarktpreise, wird die Unternehmen unweigerlich dazu zwingen, die Last auf den Binnenmarkt zu verlagern – etwa durch höhere Benzinpreise. Das verschärft die Situation im Güterverkehr und belastet Arbeiterfamilien, die für ihren Lebensunterhalt auf das Auto angewiesen sind.
Stagnierende Löhne und Arbeitslosigkeit
In der Vergangenheit hat die Zentralbank ihre harte Linie damit begründet, dass die Löhne der russischen Arbeiter zu schnell gestiegen seien. Es stimmt zwar, dass die Reallöhne gestiegen sind, aber es muss daran erinnert werden, dass dieses Wachstum ungleichmäßig war und nur bestimmte Personengruppen betraf.
Außerdem ist diese Ausrede aktuell nicht mehr haltbar, da das Lohnwachstum praktisch zum Stillstand gekommen ist. Laut Head Hunter (einer Plattform für die Online-Stellensuche) ist der Medianlohn seit März dieses Jahres um nicht mehr als 100 Rubel pro Monat (1,27 US-Dollar) gestiegen, was es Lohnabhängigen unmöglich macht, mit der Inflation Schritt zu halten.
Insgesamt hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt deutlich verschärft. Obwohl die offizielle Arbeitslosigkeit nach wie vor niedrig ist, hat sich die Situation im Vergleich zum letzten Jahr eindeutig verändert – die Arbeitslosigkeit ist gestiegen. Auf der Plattform Head Hunter ist die Zahl der offenen Stellen im Laufe des Jahres um 21 Prozent gesunken, während die Zahl der Bewerbungen pro offener Stelle von 3,3 auf 5,6 gestiegen ist.
Ein interessantes Bild ergibt sich auch aus der Einkommensstruktur der russischen Familien. Erst kürzlich, am 9. Juni, hat die Zentralbank einen Bericht vorgelegt, in dem das Wachstum der russischen Pro-Kopf-Einkommen von 2022 bis 2024 analysiert wird, unterteilt in Gruppen, die von den reichsten 10 Prozent bis zu den ärmsten 10 Prozent reichen. Diese Statistiken bestätigten im Allgemeinen, dass sich die durchschnittliche finanzielle Situation der Arbeiterklasse in den Jahren des Krieges verbessert hat. Doch wie erwartet, betraf dieser Anstieg nicht alle und wird sich in Zukunft wahrscheinlich wieder umkehren.
So gaben 22 Prozent der Russen im Jahr 2024 an, dass sich ihre Situation im Vergleich zu 2022 verschlechtert habe. Ebensoviele Befragte berichteten von einer Verbesserung. Die übrigen 56 Prozent gaben an, dass sich ihre Situation nicht verändert hat. Im Jahr 2024 verfügten jedoch 90 Prozent der Russen über ein mittleres Einkommen zwischen 12.000 (unter dem offiziellen Existenzminimum!) und 50.000 Rubel (zwischen 153 und 636 Dollar) pro Person. Gleichzeitig verfügten die reichsten 10 Prozent im Jahr 2024 über ein Medianeinkommen von 74.000 Rubel (941 Dollar) pro Person. Dies ist die einzige Gruppe, die nicht von den steigenden Kosten für Lebensmittel, Wohnungen und Kleidung betroffen ist.
Da es sich um Medianwerte und nicht um Durchschnittswerte handelt, können wir mit Sicherheit sagen, dass 85 Prozent (124 Millionen Menschen) der Russen mit weniger als 50.000 Rubel (636 US-Dollar) pro Person und Monat auskommen müssen. 55 Prozent der Russen (80 Millionen Menschen) leben von weniger als 30.000 Rubel (382 US-Dollar). 15 Prozent der Russen (22 Millionen Menschen) leben von weniger als 17.000 Rubel (216 US-Dollar). Zum Vergleich: Das offizielle Existenzminimum in Russland lag im Jahr 2024 bei 15.500 Rubel (197 US-Dollar).
Insgesamt sagt der Bericht der Zentralbank mehr aus, als seine Verfasser beabsichtigen. Obwohl sich die materielle Lage einiger Teile der Arbeiterklasse verbessert hat, hat der Zufluss von Staatsgeldern zu hohen Zinssätzen in Wirklichkeit den Reichtum der russischen Oligarchie und die Ungleichheit im Land vergrößert. Während sich die Reallöhne für einige Teile der Arbeiter während des Kriegs bescheiden verbessert haben, konnten die Oligarchen weitaus größere Reichtümer anhäufen: Zwischen 2021 und 2024 stieg die Zahl der von Forbes gelisteten Milliardäre von 117 auf 146. Allein im Jahr 2024 steigerten diese 146 Personen ihr Vermögen um 48,7 Milliarden Dollar.
Riesige Geldspritzen für die Rüstungswirtschaft haben dazu geführt, dass eine ganze Kaste, die mit dem Krieg in der Ukraine in Verbindung steht, große Vermögen angehäuft hat. Diese Kaste genießt nun einen viel höheren Lebensstandard als der Rest der Bevölkerung, die bereits die Hauptlast der Krise trägt.
Wachsendes Defizit im Staatshaushalt
Im Zeitraum Januar bis Mai 2025 belief sich das Haushaltsdefizit bereits auf 3,4 Billionen Rubel (43,3 Mrd. US-Dollar). Dieses Defizit ist bereits größer als in den Jahren 2022 und 2023 und hat fast das Niveau des Jahres 2024 erreicht. Der Anstieg des Haushaltsdefizits im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen ist in erster Linie nicht auf eine Erhöhung der Staatsausgaben zurückzuführen (die im Vergleich zu 2024 nur geringfügig gestiegen sind), sondern auf den Rückgang der Einnahmen aus Öl- und Gasverkäufen aufgrund der sinkenden Weltmarktpreise für Rohstoffe, verbunden mit einem starken Wertverlust des Dollars gegenüber dem Rubel. Beides ist eine direkte Folge von Trumps Handelskrieg.
Das ständige Defizit zwingt den russischen Staat dazu, Kredite aufzunehmen und mehr von seinen Reserven auszugeben, die durch den dreijährigen Krieg bereits weitgehend erschöpft sind. Diese Situation treibt Putins Regime unweigerlich zu einem Gegenangriff auf die Arbeiterklasse. Während die Preiserhöhungen eine Antwort des Kapitals auf die steigenden Löhne sind, reagiert der Staat seinerseits mit einer Verschärfung der Arbeitsgesetzgebung.
Bereits im April dieses Jahres diskutierten die Behörden über Änderungen des russischen Arbeitsgesetzes, die es den Kapitalisten erlauben würden, die tägliche Arbeitszeit unter dem Deckmantel von Überstunden von 8 auf 10 bis 12 Stunden zu erhöhen. Diese Überstunden würden mit nur 150 Prozent des normalen Lohns vergütet werden, anstatt mit 200 Prozent, wie es die geltende Gesetzgebung vorsieht. Diese Änderungen sind noch nicht verabschiedet worden, aber angesichts der Lage könnte es bald dazu kommen.
Gleichzeitig ist es den Behörden bereits gelungen, Änderungen für Minderjährige (Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren) zu verabschieden, die nun auch an Wochenenden und in den Ferien arbeiten dürfen. Damit wird die bereits weit verbreitete Arbeit von Jugendlichen an Tagen, die eigentlich zur Erholung dienen sollten, legalisiert.
Erst kürzlich, am 7. Juni, verabschiedete Putin Änderungen zu Artikel 135 des Arbeitsgesetzes, wonach die Arbeitgeber nun das uneingeschränkte Recht haben, bis zu 20 Prozent des Lohns der Arbeiter wegen „Verletzung der Arbeitsdisziplin“ abzuziehen. Dies stellt eine teilweise Rückkehr zum System der Geldstrafen in Russland dar, das 1917 nach der Februarrevolution abgeschafft wurde.
Die Krise im Bildungs- und Gesundheitswesen
Eines der schwerwiegendsten systemischen Probleme in Russland ist der Niedergang des öffentlichen Bildungswesens. Auf ideologischer Ebene greift der Staat immer aggressiver in die Lehrpläne ein, um den großrussischen Chauvinismus und die nationalistische Geschichtsfälschung des Putin-Regimes durchzusetzen. Gleichzeitig werden die Gehälter und Arbeitsbedingungen der Lehrer verschlechtert.
Die Probleme im Bildungswesen sind so akut, dass Lehrer im April dieses Jahres einen offenen Brief an Putin schickten, in dem sie den tragischen Zustand der Schulen im Land offen ansprachen. Sie nannten als Hauptproblem, dass es überall im Land nicht genügend Lehrer gibt.
Nach Angaben des Ministers für Arbeit und sozialen Schutz, Anton Kotjakow, werden bis 2030 mehr als 480.000 Lehrer fehlen. In vielen Regionen des Landes liegt der Mangel an Schulpersonal zwischen 30 und 40 Prozent.
Eines der auffälligsten Beispiele ist der Rückgang an Physiklehrern von 61.000 im Jahr 2002 auf 31.000 im Jahr 2022. Infolgedessen schreiben sich nur wenige Studierende in die für viele Industriezweige so wichtigen technischen Studiengänge ein, wodurch nur 37 Prozent des erforderlichen Nachwuchses für technische Fachbereiche abgedeckt werden.
Angesichts der ernsten Lage ist es eine Ironie des Schicksals, dass es aufgrund des harten Wettbewerbs um die staatlich finanzierten Plätze in den Lehrerausbildungsstätten sehr viel schwieriger geworden ist, Lehrer zu werden. Gleichzeitig verdienen junge Lehrer nur etwa 25.000 Rubel pro Monat (318 US-Dollar) und gehören damit zur ärmsten Hälfte der Bevölkerung.
Die Bildungskrise ist eine zusätzliche Belastung für die Durchschnittsfamilie, die immer mehr von ihrem eigenen Geld investieren muss, um den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten und ihre Kinder auf die staatlichen Prüfungen vorzubereiten, indem sie private Nachhilfelehrer engagiert.
Die Bildungskrise wird noch durch eine Krise im Gesundheitswesen ergänzt. Diese Krise hat sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im Jahr 2020 und im Zusammenhang des Kriegs noch weiter verschärft. Es sei daran erinnert, dass die Bevölkerung Russlands im Jahr 2021 um 1,4 Millionen Menschen geschrumpft ist, weil das Gesundheitssystem nicht in der Lage war, die Corona-Pandemie zu bewältigen, was durch die Politik des Putin-Regimes noch verschärft wurde. Dem Beispiel ihrer „westlichen Partner“ in diesem Bereich folgend, hat die russische Oligarchie nie wissenschaftlich fundierte Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergriffen, sondern frühzeitig alle verbleibenden Maßnahmen aufgehoben und dem Virus freien Lauf gelassen.
Wie im öffentlichen Bildungswesen herrscht auch im Gesundheitswesen ein gravierender Personalmangel. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums fehlen 69.000 Ärzte und 65.000 medizinische Fachkräfte. Die stellvertretende russische Ministerpräsidentin Tatjana Golikowa schätzt die Lage sogar noch schlechter ein:
„Bis 2030 benötigen wir 496.000 medizinische Fachkräfte mit mittlerer Fachausbildung und Hochschulabschluss, um altersbedingt ausscheidendes Personal zu ersetzen und zusätzlich junge Menschen für die Branche zu gewinnen: 276.000 Ärzte verschiedener Fachrichtungen sowie 220.000 Fachkräfte mit mittlerer medizinischer Ausbildung.“
Um diese Zahl an medizinischem Personal bis 2030 zu decken, müssten jährlich 55.000 Studierende ihre medizinische Ausbildung abschließen. Im vergangenen Jahr haben sich jedoch nur 35.000 Personen eingeschrieben, und nicht mehr als 20.000 haben ihre Ausbildung abgeschlossen und ihre Arbeit in ihrem Fachgebiet aufgenommen. Gleichzeitig sind die medizinischen Fachkräfte in vielen Regionen gezwungen, bis zur Erschöpfung zu arbeiten. Im Durchschnitt arbeiten sie 30 Prozent mehr Stunden als an einem normalen Arbeitstag.
Die Krise im russischen Gesundheitswesen verschärft den jahrzehntelangen Zusammenbruch des aus der Sowjetunion übernommenen staatlichen Gesundheitssystems, während die private Gesundheitsversorgung weiter floriert. Da das staatliche Gesundheitssystem nicht in der Lage ist, Patienten schnell und wirksam zu behandeln, werden diese in die Arme privater Kliniken getrieben, wo die Kosten für Medikamente und Behandlung für die meisten Arbeiterfamilien unerschwinglich sind.
Eine Perspektive für die Arbeiterklasse
Die offensichtlichen Probleme in vielen Bereichen der Wirtschaft und der Gesellschaft nehmen vor dem Hintergrund des andauernden Krieges rasant zu. Diplomatische Manöver erweisen sich nur als vorübergehende Ablenkung von der realen Lage an der Front, wo der Krieg nicht bloß weitergeht, sondern eskaliert. Der SBU [Sicherheitsdienst der Ukraine] setzt seine Sabotageoperationen seit Anfang Juni fort und habt sogar Sibirien und die Arktis erreicht, was unterstreicht, dass der Krieg in der Ukraine Teil eines viel umfassenderen Kriegs gegen Russland ist.
Auch die Gesamtsituation an der Front ist schwierig. Obwohl die ukrainische Armee insgesamt mehr Verluste erlitten hat als die russische Armee, sind auch die russischen Verluste erheblich gestiegen. In ihrer konservativen Schätzung der Verluste bis zum 24. Februar 2025 gibt die pro-ukrainische Onlinezeitung Meduza 160.000 Tote an. Glaubt man diesen Zahlen, so hat die russische Armee in den drei Jahren des Krieges durchschnittlich 146 Soldaten pro Tag verloren. Zum Vergleich: Nach den Daten von Meduza vom 24. Februar 2024 lag der Durchschnitt in den ersten beiden Kriegsjahren bei 103 Soldaten pro Tag. Dies bedeutet, dass Russland im dritten Kriegsjahr 232 Soldaten pro Tag verloren hat. Wenn dieser Anstieg der Verluste anhält, wird Russland im vierten Jahr des Krieges 520 Menschen pro Tag verlieren. Ein solcher Anstieg der Verluste wirft unweigerlich die Frage nach einer neuen Mobilisierungskampagne in Russland auf. Der Ansatz, Freiwillige durch hohe Bezahlung zu rekrutieren, hat sich bereits so gut wie erschöpft.
Um einen direkten Krieg mit dem US-Imperialismus zu vermeiden, will Putin einen Deal mit Trump eingehen. Trumps Hauptstrategie besteht jedoch darin, die USA auf den Beginn eines Kriegs mit China vorzubereiten, der immer unvermeidlicher wird, da der Handelskrieg die Auswirkungen des wirtschaftlichen Niedergangs des US-Imperialismus nicht umkehren kann. Außerdem werden die europäischen Mächte, von denen die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine zunehmend abhängt, immer aggressiver. Die jüngste Reise des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius ist ein klarer Hinweis darauf, dass sich die Initiative im Krieg gegen Russland von den USA nach Europa verlagert. Das europäische Aufrüstungsprogramm ist beispiellos seit den 1930er Jahren, also den Jahren unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg.
Das Putin-Regime hat dagegen keine fortschrittliche Strategie oder rationale Antwort auf die allgemeine Eskalation des Krieges weltweit und auf die imperialistische Kriegsstrategie gegen Russland im Besonderen. Es stützt sich auf das Erbe des Stalinismus und der kapitalistischen Restauration und versucht verzweifelt, die Interessen einer Oligarchie zu verteidigen, die völlig abhängig vom Imperialismus und selbst tief gespalten ist. Infolgedessen gerät Putins Regime unweigerlich in einen offenen Konflikt mit der eigenen Arbeiterklasse, die zunehmend die Hauptlast der russischen Wirtschaftskrise zu tragen hat.
Die russische Arbeiterklasse ist erneut mit den grundlegenden historischen und sozialen Problemen konfrontiert, die zur Oktoberrevolution von 1917 geführt haben: imperialistischer Krieg und immense soziale Ungleichheit. Um diese Probleme zu lösen, muss sie wieder die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution aufgreifen, die die Bolschewiki unter Lenin und Trotzki vertraten, als sie die Arbeiterklasse 1917 zur Machteroberung führten.
Die internationale Isolierung der Russischen Revolution führte zur bürokratischen Degeneration der Sowjetunion und zur Aufgabe der Perspektive der Weltrevolution durch den Stalinismus. Der politische Völkermord des Stalin-Regimes an den Revolutionären spielte eine zentrale Rolle dabei, Hitlers Aufstieg und den Beginn des Zweiten Weltkriegs zu ermöglichen. Dieser Verrat gipfelte in der Auflösung der UdSSR durch die Sowjetbürokratie, die die objektiven Bedingungen für den Krieg zwischen Russland und der Ukraine und die imperialistische Aufteilung der gesamten Region schuf.
Heute stellen die Widersprüche des Weltkapitalismus die Welt erneut vor die Aussicht auf eine Weltrevolution der Arbeiterklasse. Die objektiven Bedingungen sind gegeben, um die russischen, ukrainischen und europäischen Arbeiter ebenso wie Arbeiter in den USA, Asien, Lateinamerika und vielen anderen Regionen international zu vereinen und einen Dritten Weltkrieg zu verhindern.
Doch damit diese objektiven Bedingungen zum Vorteil der internationalen Arbeiterklasse genutzt werden können, muss die Frage der politischen Führung der Arbeiterklasse gelöst werden. In Russland und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist dies umso dringlicher, als die arbeitenden Massen durch die Politik des Putin-Regimes und die Verbrechen des Stalinismus desorientiert sind.
Um diese Orientierungslosigkeit zu überwinden, ist es notwendig, eine russische Sektion und weitere Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion aufzubauen. Nur durch den Aufbau von Sektionen der Weltpartei der Sozialistischen Revolution wird die Arbeiterklasse in der Lage sein, die Aufgaben zu bewältigen, die ihr durch die historische Krise des Kapitalismus auferlegt sind.