Stand: 07.08.2025 21:00 Uhr
Die Initiative zur Aufnahme von Kindern aus Gaza und Israel fand beim Auswärtigen Amt wenig Zustimmung. Zwei Oberbürgermeister und der Landesverband der jüdischen Gemeinden Niedersachsen weisen das zurück.
Hannover, Kiel, Düsseldorf, Leipzig und Bonn hatten ihre Bereitschaft erklärt, verletzte oder traumatisierte Kinder aus Gaza und Israel aufzunehmen. Sie wendeten sich mit einem gemeinsamen Schreiben an das Bundesinnen- und Bundesaußenministerium. In dem Schreiben forderten die Städte, „die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die humanitäre Initiative zu schaffen“. Das teilte ein Sprecher der Stadt Hannover mit. Die Lage in Gaza und Israel beschäftige nicht nur die internationale Öffentlichkeit, sondern bewege auch Städte und Gemeinden in Deutschland, hieß es in dem Schreiben. Die Kommunen hätten die erforderliche Infrastruktur und könnten Betreuung sowie psychologische und medizinische Versorgung gewährleisten. Benötigt werde dafür jedoch ein geordnetes Verfahren auf Bundesebene.
Hannover, Kiel, Düsseldorf, Leipzig und Bonn haben ihre Bereitschaft erklärt. Aus dem Auswärtigen Amt kommt wenig Zustimmung.
Auswärtiges Amt kritisiert Initiative
Vom Auswärtigen Amt in Berlin kam laut dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ Kritik an der Initiative der Städte. „Diese Idee ist nett für den Wahlkampf“, sagte Staatsministerin Serap Güler (CDU) gegenüber der Zeitung (Mittwochs-Ausgabe). Den Menschen helfe die Initiative allerdings nicht. „Viel wichtiger und hilfreicher ist es, Länder in der Region zur Aufnahme zu motivieren“, so Güler. Hier sei Deutschland bereits aktiv und biete auch weitere Unterstützung an. „Diesen Menschen kann am schnellsten und besten direkt in der Region geholfen werden und nicht indem man sie für den Wahlkampf instrumentalisiert und ihnen diese lange Reise zumutet“, zitiert die Zeitung die Staatsministerin.
Landesvorsitzender der Jüdischen Gemeinden Niedersachsen für Aufnahme
Der Vorsitzende des Landesverbands der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst, äußerte sein Unverständnis an der Kritik des Auswärtigen Amts. Gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte er am Donnerstag, dass das Auswärtige Amt offensichtlich diesen Kindern nicht helfen wolle – „dann sollen sie es auch deutlich so sagen.“ Wir wollen etwas machen, so Fürst, nichts zu tun, sei keine Option. Die Aufnahme der Kinder hätte außerdem nichts mit Wahlkampf zu tun. Bei den Kindern aus Israel geht es laut Fürst um Drusen und Beduinen. Es handelt sich um arabische Israelis, die unter den Attacken der islamistischen Hisbollah-Miliz auf den Norden Israels sowie unter dem Angriff der terroristischen Hamas-Miliz am 7. Oktober 2023 im Süden gelitten hätten.
Kämpfer: Statement von Güler „peinlich“
Das Auswärtige Amt hat kritisch auf den Vorschlag mehrerer deutscher Städte reagiert, verletzte Kinder aus dem Gazastreifen oder Israel aufzunehmen. Die Idee sei lediglich „nett für den Wahlkampf“, sagte Staatsministerin Güler.
Schon Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) und Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) wiesen die Kritik aus dem Auswärtigen Amt bereits am Mittwoch zurück. Die Initiative werde über Parteigrenzen hinweg von einem breiten Netzwerk von Beteiligten getragen, so Onay. Zudem habe Deutschland in der Vergangenheit auch verletzte Menschen aus der Ukraine oder misshandelte Jesiden aus dem Irak aufgenommen: „Das ist ein geübtes Verfahren. Man muss es nur wollen.“ Zudem sei Niedersachsen weit von Wahlen entfernt. Güler habe offenbar die Situation in Köln vor Augen, wo sie CDU-Vorsitzende ist. Kämpfer empfand das Statement Gülers als „peinlich“, wie er im Interview mit dem NDR sagte. Güler habe die Initiative fast ins Lächerliche gezogen. Es gehe aber wirklich darum, Hilfe zu leisten – wenn auch in bescheidenem Maße.
Schwer verletzte oder kranke Kinder bräuchten dringend medizinische Hilfe, sagte Christine Kahmann von UNICEF Deutschland im Gespräch auf NDR Info.
20 Plätze in Hannover
Die Stadt Hannover hatte in der vergangenen Woche angekündigt, 20 Kinder aufnehmen zu können. Es sei auch möglich, sie in Pflegefamilien zu vermitteln, hieß es. Demnach kommt Unterstützung für die Initiative von der palästinensischen Gemeinde Hannover und vom Landesverband Jüdischer Gemeinden Niedersachsen. Zudem könnten die Kinder in den Kliniken der Region Hannover medizinisch versorgt werden.
Zeichen für Humanität aus Kiel
Es gehe um ein Zeichen für Humanität, hatte Kiels Oberbürgermeister Kämpfer am Dienstag gesagt. „Wenn man konkret einem Kind helfen kann, sei es, wenn es ein Waisenkind ist, vielleicht durch eine Pflegefamilie, sei es durch medizinische Versorgung, sind jetzt ganz viele Möglichkeiten denkbar.“ Die stellvertretende Regierungssprecherin von Schleswig-Holstein, Frauke Zelt, sieht den Bund in der Pflicht. „Länder und Kommunen können nur im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium Menschen aufnehmen. Entsprechende Instrumente vorzuschlagen, obliegt der Bundesregierung.“ Die Landesregierung habe sich dazu aktuell noch nicht beraten, so die Sprecherin.
Die Pressekonferenz im Neuen Rathaus in Hannover in voller Länge.
Linke in Hamburg fordert Hansestadt zum Handeln auf
Hamburg hat sich der Initiative bislang nicht angeschlossen. Das fordert aber die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft. Die Situation in Gaza habe sich erheblich verschärft, sagte der Co-Landesvorsitzende Thomas Iwan. „Bereits im April hat die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft in einem Brandbrief an die Abgeordneten der Bürgerschaft auf die unerträgliche Situation hingewiesen und humanitäre Hilfen sowie die Aufnahme behandlungsbedürftiger Kinder mit jeweils einer Begleitperson gefordert“, so Iwan. „Hamburg könnte und sollte dies leisten.“
Bundesregierung: Hauptfokus bleibt Hilfe vor Ort
Die Bundesregierung prüft eigenen Angaben zufolge weiter, ob verletzte oder traumatisierte Kinder nach Deutschland geholt werden können. Das hänge aber „entscheidend von der Sicherheitslage“ ab sowie „der Möglichkeit der Ausreise und von weiteren Faktoren“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Mittwoch. „Hauptfokus“ bleibe daher „die Ausweitung der medizinischen Hilfe vor Ort und in regionaler Nähe“.
Auch zwei Flugzeuge der Luftwaffe vom Typ A400M aus Wunstorf verteilen die Güter. Zuletzt gab es Kritik an der Aktion.
Die Landesregierung begrüßt die Initiative, 20 Betreuungsplätze für Kinder sofort zur Verfügung zu stellen.
Für SPD-Sprecher Adis Ahmetovic ist eine Luftbrücke „ineffizient“. Dienstag sind zwei A400M in Wunstorf bei Hannover gestartet.
Tagesschau.de berichtet über die Entwicklungen am Dienstag, 5. August.