Bei der koronaren Herzkrankheit werden in Deutschland besonders häufig Perkutane Koronarinterventionen durchgeführt. Da drängt sich die Frage auf: Wem nützt dieser Eingriff eigentlich? Und wann sollte man ihn besser lassen?

Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist mit zuletzt 4,7 Millionen Betroffenen eine der großen Volkskrankheiten in Deutschland (1). Häufig führt eine Arteriosklerose der Herzkranzgefäße durch Plaques dazu, dass der Herzmuskel nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Die Krankheit manifestiert sich oft als Chronisches Koronarsyndrom (CCS) mit Angina pectoris, also einem Gefühl der Brustenge bei körperlicher Belastung. Ferner droht bei Einriss oder Aktivierung einer Plaque ein akuter Gefäßverschluss.

Sowohl zur antianginösen Therapie als auch zur Prognoseverbesserung stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung. Verschlechtert sich die Situation oder liegen ausgeprägte Stenosen vor, kann eine Revaskularisation in Form einer Perkutanen Koronarintervention (PCI) oder eine Bypassoperation durchgeführt werden. Gerade bei weniger komplexen Gefäßverengungen wird deutlich häufiger die weniger invasive PCI präferiert. Im europäischen Vergleich werden in Deutschland relativ viele Patientinnen und Patienten mit PCI behandelt (2). Der Eingriff wurde im Jahr 2022 knapp 300 000 Mal durchgeführt (3).

Schon länger schwelt deshalb hierzulande die Diskussion, ob Ärztinnen und Ärzte zu häufig KHK-Betroffene einer PCI unterziehen, die im Vergleich zu einer rein medikamentösen Behandlung möglicherweise gar keinen Nutzen mit Blick auf Prognose und Symptomatik haben.

Das Deutsche Ärzteblatt hat deshalb 3 Fachleute gefragt: Wann ist bei CCS mit Angina eine PCI als Ergänzung zur optimalen medikamentösen Therapie (OMT) sinnvoll? Valentin Frimmer

EINSCHÄTZUNG | Jonathan RilingerFoto: Uniklinik FreiburgFoto: Uniklinik Freiburg

„Patienten mit CCS und Angina pectoris sollten nach Ausschluss von prognostisch relevanten Stenosen zunächst konsequent antianginös behandelt werden.“

PD Dr. med. Jonathan Rilinger, Oberarzt, Interventionelle Kardiologie, Universitäts-Herzzentrum Freiburg • Bad Krozingen

Die Therapie des CCS basiert auf 3 Säulen: 1. Patientenschulung, Livestyle-Optimierung und Bewegungstherapie; 2. medikamentöse Therapie; 3. Revaskularisation.

Wichtig ist hierbei, klar zwischen prognostischer und symptomatischer Therapie zu unterscheiden. Bei der Prognoseverbesserung geht es um das Vermeiden kardiovaskulärer Events, bei der symptomatischen Behandlung steht die Abschwächung der Angina im Vordergrund.

Für die Prognoseverbesserung ist eine OMT von zentraler Bedeutung (4), aber große randomisierte Studien haben gezeigt, dass zusätzlich zur medikamentösen Therapie bei bestimmten Patientenkollektiven mit CCS ein klarer prognostischer Benefit durch eine Revaskularisation besteht (4, 5, 6). Dies sind in erster Linie Patienten mit einer funktionell signifikanten Hauptstammstenose, koronarer Dreigefäßerkrankung oder proximaler LAD-Stenose.

Neben der prognostischen Indikation zur Revaskularisation gibt es aber auch die symptomatische Indikation aufgrund einer anhaltenden Angina pectoris (7). Die Revaskularisation sollte jedoch erst dann erfolgen, wenn die medikamentöse antianginöse Therapie ausgeschöpft ist. Das findet sich auch als Klasse-I-Empfehlung in der CCS-Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) (4).

Hier liegt sicherlich ein großes Potenzial in der Verbesserung der Behandlungsalgorithmen im klinischen Alltag. Patientinnen und Patienten mit CCS und Angina pectoris sollten daher nach Ausschluss von prognostisch relevanten Stenosen zunächst konsequent antianginös behandelt werden. Hierfür stehen mehrere Substanzklassen wie Betablocker, Dihydropyridin-Calcium-Kanalblocker, Nitrate und Nicorandil, Diltiazem und Verapamil, Trimetazidin, Ranolazin und Ivabradin zur Verfügung, welche einzeln oder in Kombination angewandt werden sollten. Hierbei ist eine individuelle Betrachtung der Komorbiditäten und der Fokus auf vasospastische Angina oder Angina bei mikrovaskulärer Dysfunktion im Rahmen der von der ESC neu geschaffenen Entität der ANOCA (angina and non-obstructed coronary arteries) entscheidend (4). ■

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, keine Interessenkonflikte zu haben.

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„Der symptomatische Benefit ist dann besonders groß, wenn eine starke Beschwerdesymptomatik vor der PCI vorliegt.“

Prof. Dr. med. Peter Ong, Oberarzt, Abteilung für Kardiologie und Angiologie am Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart

Die Evaluation von Patientinnen und Patienten mit Angina pectoris ist eine der Kernaufgaben in der Inneren Medizin/Kardiologie. Die aktuelle ESC-Leitlinie zum CCS empfiehlt, die Begriffe „typische“ und „atypische“ Angina nicht mehr zu verwenden (4). Stattdessen soll eine detaillierte Beschreibung der Symptome erfolgen. Dies liegt unter anderem daran, dass die Ursachen einer Angina pectoris erstmals balancierter dargestellt werden und auch ANOCA (Angina ohne epikardiale Koronarstenosen) berücksichtigt wird. Empfohlen wird bei Verdacht auf eine stenosierende KHK die Anwendung des sogenannten Symptom Score. Hieraus und aus den Risikofaktoren leitet sich die Prätestwahrscheinlichkeit ab, die eine Leitschnur für die weitere Diagnostik ist. Bei Nachweis einer relevanten, stenosierenden KHK gibt es eine Empfehlung zur Revaskularisation aus a) prognostischer und/oder b) symptomatischer Indikation je nach Ausmaß der Erkrankung in Bezug auf den Syntax-Score. Auch wenn frühere Arbeiten sowohl den prognostischen als auch den symptomatischen Benefit der PCI bei CCS infrage gestellt haben (8), zeigen neuere Studien beides auf (9, 10). Allerdings sollte bei der Durchführung einer PCI ein besonderes Augenmerk auf die hämodynamische Relevanz von epikardialen Stenosen (beispielsweise durch eine Druckdrahtmessung) gelegt werden, sofern kein nichtinvasiver Ischämienachweis vorliegt. Außerdem wird in der ESC-Leitlinie die Bedeutung der intrakoronaren Bildgebung betont. Sowohl diese Bildgebung als auch die Druckdrahtmessung sind wichtig, um sowohl geeignete Läsionen zu versorgen als auch ein optimales Ergebnis zu erreichen. Wenn die PCI also „gut gemacht“ ist, dann profitieren die Patienten auch davon. Der symptomatische Benefit ist dann besonders groß, wenn eine starke Beschwerdesymptomatik vor der PCI vorlag (11). Im Zeitalter der kardiologischen Präzisionsmedizin sollte ein individueller Ansatz praktiziert werden. Dieser berücksichtigt nicht nur Symptome, Komorbiditäten und Patientenwunsch, sondern auch Koronarmorphologie und Koronarphysiologie für die beste Therapieentscheidung. ■

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, von Abbott, Amgen, Pohl-Boskamp und Shockwave Reisekosten sowie Honorare für Veranstaltungen erhalten zu haben. Zudem wurden von der Berthold-Leibinger-Stiftung Gelder für Forschungsvorhaben bezahlt.

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„Bei der koronaren Herzkrankheit ist der Vulnerabilitätsstatus von Koronarplaques aus der Therapie der Zukunft nicht mehr wegzudenken.“

Prof. Dr. med. David Leistner, Direktor der Kardiologie und Angiologie, Herz- und Gefäßzentrum des Universitätsklinikums Frankfurt

Seit Jahrzehnten dominiert der Behandlungsfokus Myokardischämie die Therapiestrategie bei der KHK – gerade im Kontext des CCS. Aktuell wird die Indikation zur Revaskularisierung bei CCS-Patienten entweder auf der Basis einer bestehenden relevanten myokardialen Ischämie in einem nichtinvasiven Ischämietest oder auf Basis einer hämodynamischen Signifikanz der Stenose gestellt. Dieses Vorgehen hat gerade im Vergleich zur rein angiografisch-orientierten Koronarintervention das Outcome speziell für die PCI optimiert (12). Dennoch muss ein entscheidendes Faktum beachtet werden: Bis heute konnte keine randomisierte Studie einen relevanten prognostischen Effekt für eine Revaskularisierung per PCI beim CCS zeigen. Es drängt sich die Frage auf: Ist Ischämie möglicherweise das falsche Therapietarget (5)? Es ist bekannt, dass die Hälfte der kritischen Koronarereignisse – Myokardinfarkte und kardiale Todesfälle – im Bereich sogenannter vulnerabler Plaques entstehen, die aktuell nur durch Einstellung der Risikofaktoren behandelt werden (13).

Kürzlich lieferte die PREVENT-Studie erstmals Hinweise, dass in Zeiten moderner nichtinvasiver hochauflösender und intravaskulärer Diagnostikmöglichkeiten eventuell die KHK-Behandlung neu gedacht werden muss (14). In der Studie nahmen Patientinnen und Patienten mit per intravaskulärem Ultraschall (IVUS) detektierten vulnerablen, aber nicht ischämie-induzierenden Koronarläsionen teil. Sie profitierten von einer PCI in Kombination mit Senkung des LDL-Cholesterins und Kontrolle weiterer Risikofaktoren. Sicherlich fehlen noch aussagekräftige Endpunktstudien zur sogenannten Präventiven PCI, die die interventionell kontrollierte Plaquestabilisierung und das Stent-assoziierte Risiko dem natürlichen Risiko der Hochrisikoplaque ohne PCI-Stabilisierung gegenüberstellen. Sicher ist aber bereits, dass der Vulnerabilitätsstatus von Koronarplaques aus der KHK-Therapie der Zukunft nicht mehr wegzudenken ist. ■

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, von Abbott, Vascular und Siemens Beraterhonorare erhalten zu haben. Von Abbott, Vascular und Boston erhielt er Vortragshonorare sowie Gelder zur Durchführung klinischer Studien. Von Abbott und Vascular bekam er Gelder für Forschungsvorhaben.