Maji-Maji-Allee oder Rio-Reiser-Platz: In Berlin sind in den vergangenen sechs Jahren mindestens 16 Straßen oder Plätze umbenannt worden. Grund waren in der Hälfte der Fälle kolonialistische, rassistische, antisemitische oder NS-Bezüge der Namensgeber, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur in den Bezirksämtern ergab. In anderen Fällen ging es um die Ehrung von Personen oder darum, die Zahl der doppelt oder mehrfach vorhandenen Straßennamen in der Stadt zu verringern.

Die meisten Umbenennungen gab es im Bezirk Mitte mit vier, gefolgt von Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf mit je drei solcher Fälle. Vier der elf Bezirke, die auf eine dpa-Anfrage antworteten, benannten keine Straßen um.

In Neukölln etwa wurde 2021 aus der Wissmannstraße die Lucy-Lameck-Straße. Mitte benannte 2019 die Petersallee um: Ein Abschnitt heißt seither Anna-Mungunda-Allee, ein zweiter Maji-Maji-Allee. Im selben Jahr wurde die Lüderitzstraße in Cornelius-Fredericks-Straße umbenannt, 2022 der Nachtigalplatz in Manga-Bell-Platz.

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Steglitz-Zehlendorf wandelte 2023 den Maerckerweg in den Maria-Rimkus-Weg um. Im Bezirk Spandau wurde im selben Jahr aus dem Elkartsweg der Erna-Koschwitz-Weg. Hintergrund all dieser Umbenennungen waren Debatten über die alten Namensgeber, die wie Hermann von Wissmann, Georg Maercker oder August Lüderitz in deutschen Kolonien in Afrika wirkten und dort teils an Verbrechen beteiligt waren. 

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Rio Reiser und zwei Polizisten 

Mit anderen Umbenennungen wurden verstorbene Menschen für ihre Verdienste geehrt. Ein prominentes Beispiel ist der frühere Heinrichplatz in Friedrichshain-Kreuzberg, der seit 2022 – in Erinnerung an den bekannten Musiker – Rio-Reiser-Platz heißt. In Kreuzberg wurde 2023 aus einem Teil der Manteuffelstraße die Audre-Lorde-Straße. Namensgeberin ist eine afroamerikanische Dichterin. 

In Neukölln erinnern seit 2020 die Uwe-Lieschied-Straße und die Roland-Krüger-Straße an zwei Polizisten, die im Dienst starben. In Tempelhof-Schöneberg ist ein Platz nach dem früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker benannt (vormals Kaiser-Wilhelm-Platz). 

Pläne für weitere Umbenennungen gibt es in mehreren Bezirken. Wohl bekanntestes Beispiel ist die Mohrenstraße in Berlin-Mitte, die in Zukunft Anton-Wilhelm-Amo-Straße heißen soll. Der von den Grünen geführte Bezirk möchte die Straße schon länger umbenennen, weil er den Namen wegen des Begriffs „Mohr“ für problematisch oder rassistisch hält. 

Allerdings ist offen, wann der neue Name kommt: Anwohner klagten dagegen. Laut Bezirksamt ist das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nach mehreren Jahren noch immer nicht abschließend entschieden. 

Zahlreiche Menschen versammeln sich anlässlich der Umbenennung des Heinrichplatzes im Stadtteil Kreuzberg in Rio-Reiser-Platz.

© dpa/GERD ROTH

In Steglitz-Zehlendorf beschloss die Bezirksverordnetenversammlung im Januar, die Treitschkestraße in Betty-Katz-Straße umzubenennen. Sie ist bisher nach Heinrich von Treitschke benannt, der im 19. Jahrhundert als Historiker und Publizist wirkte und heute als Antisemit gilt. Pankow plant aus ähnlichen Gründen, aus der Beuthstraße die Elizabeth-Shaw-Straße zu machen. In Mitte soll aus dem Nettelbeckplatz der Martha-Ndumbe-Platz werden. 

„Umbenennungen von Straßen sind nur in Ausnahmefällen zulässig“, erläutert Saskia Ellenbeck, zuständige Bezirksstadträtin in Tempelhof-Schöneberg. „Beispielsweise zur Beseitigung von Doppel- oder Mehrfachbenennungen oder zur Beseitigung von Straßennamen, die nach heutigem Demokratieverständnis negativ belastet sind.“ 

„Hohe Akzeptanz wichtig“

Und der Prozess der Umbenennung kann dauern. In politischen Gremien wird oft hart gerungen, dann muss ein geeigneter neuer Name für eine Straße her, womöglich kommen Klagen hinzu. „Es ist wichtig, dass der Beschluss von einer politischen Mehrheit getragen wird, um eine hohe Akzeptanz zu erreichen“, sagt der zuständige Bezirksstadtrat in Steglitz-Zehlendorf, Urban Ayka. 

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Für Anwohnerinnen und Anwohner betroffener Straßen ist eine Umbenennung mit einigem bürokratischem Aufwand verbunden – und unter Umständen auch mit Kosten. Die Änderung der Anschrift im Personalausweis übernehmen die Bezirksämter in der Regel gebührenfrei. Die Änderung der Adresse in der Zulassungsbescheinigung Teil l für das Auto beziehungsweise im Fahrzeugschein kostet hingegen 10,80 Euro. Aufwand entsteht zum Beispiel auch für die Meldung von Adressänderungen an Banken, Versicherungen und andere Dienstleister. (dpa)

Lesermeinungen zum Artikel

„Wer Straßenbenennungen nur als Symbolpolitik abtut, verkennt, dass es dabei um mehr geht als bloße Namensschilder – es geht um Sichtbarkeit, um Erinnerungskultur und um Werte, die eine Stadt vermittelt. Es ist zynisch, ernsthafte gesellschaftspolitische Debatten ins Lächerliche zu ziehen, nur weil sie nicht ins eigene Weltbild passen. Eine demokratische Gesellschaft muss in der Lage sein, sowohl Alltagsprobleme zu lösen als auch Haltung zu zeigen – das eine schließt das andere nicht aus.“

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