AboPhänomenale Buckelzikaden –
Diese Hüpfer sehen aus, als kämen sie von einem anderen Stern
Die winzigen Insekten überraschen mit bizarren Formen und schrillen Farben. Der Schweizer Naturfotograf Thomas Marent zeigt erstmals seine spektakulären Bilder dieser Geschöpfe.
Publiziert: 03.08.2025, 18:26
Helikopter-Look: Die genaue Funktion der bizarren Auswüchse dieser Buckelzikade mit dem Namen Bocydium globulare ist bis heute unklar. Diese Art wird 4 bis 5 mm gross. Aufnahmeort: Ecuador.
Foto: Thomas Marent
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Es ist tropisch schwül, als sich Thomas Marent im Schlepptau eines einheimischen Führers durch Kolumbiens Regenwälder kämpft. Der 58-jährige Schweizer Naturfotograf aus Neuenhof bei Baden AG ist auf der Suche nach winzig kleinen Insekten. Von blossem Auge kaum zu sehen – sind sie fotografiert und vergrössert etwas vom Spektakulärsten, was die Natur je hervorgebracht hat.
Es gibt Exemplare, die sehen aus wie der Buchstabe C, andere wie ein Stück vertrocknetes Holz, und wieder andere erinnern gar an einen Helikopter. Und bunt sind sie, leuchten in schrillem Neongrün oder sind gestreift wie ein Tiger. Mit ihrer Gestalt, so scheint es, haben sie nur ein Ziel: aussehen wie irgendetwas anderes, nur nicht wie ein Insekt.
Auf der Suche nach winzig kleinen Insekten: Der Fotograf Thomas Marent auf der Lauer im Tambopata-Nationalpark in Peru.
Foto: Thomas Marent
Unter grössten Strapazen gelingen Thomas Marent spektakuläre Fotos, die er als Weltpremiere in der «Schweizer Familie» jetzt erstmals veröffentlicht. Buckelzikaden oder Buckelzirpen werden die winzigen Insekten genannt, «doch diese deutschen Namen zielen daran vorbei, was diese Tiere ausmacht», findet Thomas Marent, «die englische Bezeichnung ‹Treehoppers›, also Baumhüpfer, ist viel treffender».
Denn die Tierchen können springen. Und wie! Sie katapultieren sich um über das Hundertfache ihrer Körperlänge in die Luft, öffnen die Flügel und fliegen fort – oftmals ausgerechnet in dem Moment, als der Fotograf sie mit seiner Kamera festhalten möchte.
Die Buckelzikade der Art Heteronotus vespiformes, die etwa 10 mm gross ist, täuscht ihren Fressfeinden vor, sie sei eine wehrhafte Wespe. Aufnahmeort: Kolumbien.
Foto: Thomas Marent
Buckelzikaden der Art Spongophorus sp. stechen mit ihrem Rüssel in die Leitbahnen der Pflanzen und schlürfen deren Saft. Diese Art ist etwa 15 mm gross. Aufnahmeort: Kolumbien.
Foto: Thomas Marent
Um ein so kleines Sujet auf dem Foto rundum scharf zu kriegen, braucht es eine spezielle Technik, die man «Focus Stacking» nennt: «Ich mache vom Insekt eine Serie von Fotos, jedes mit leicht verändertem Fokus», erklärt Thomas Marent. Ein Computerprogramm setze die Bilder anschliessend zu einem einzigen, gestochen scharfen Bild zusammen. Je nach Grösse des Insekts, das er fotografieren möchte, macht Thomas Marent drei bis fünfzig Bilder. Jetzt versteht man, wieso das zu porträtierende Insekt stillhalten und nicht weghüpfen sollte.
Warum sehen die Buckelzikaden so bizarr aus?
Trotz imposantem «Kopfschmuck» springen oder fliegen die Winzlinge mit scheinbarer Leichtigkeit davon. Die Dornen, Höcker und Hörner sind verhältnismässig gross, innen aber hohl und daher leicht.
Heimisch in der Schweiz: Die Dornzikade (Centrotus cornutus) ist eine von nur drei Buckelzikaden-Arten, die in Mitteleuropa vorkommen. Sie ist 9 mm gross. Aufgenommen wurde das Foto in der Schweiz.
Foto: Thomas Marent
Die Büffelzikade (Stictocephala bisonia) wurde vor gut hundert Jahren aus Nordamerika nach Europa eingeschleppt. Sie wird 10 mm gross. Auch dieses Bild ist in der Schweiz entstanden.
Foto: Thomas Marent
Der französische Forscher Benjamin Prud’homme von der Universität Aix-Marseille vermutet, dass den Vorfahren der heutigen Buckelzikaden ein drittes Paar Flügel wuchs, das nicht fürs Fliegen gebraucht wurde. Stattdessen haben sich daraus über die Zeit all die bizarren Formen entwickelt.
Unter Fachleuten kursiert der Scherz, dass die Auswüchse der ausserirdisch anmutenden Insekten Antennen seien, mit denen sie mit ihrem Heimatplaneten kommunizierten. Tatsächlich rätseln Biologinnen und Biologen bis heute, was der Zweck der Körperanhängsel sei. Vieles ist noch unerforscht bei diesen Baumhüpfern. Auch weil sie nur selten als Schädlinge auftreten, hat sich kaum jemand mit ihnen befasst.
Untypisch für Insekten: Das Weibchen harrt beim Nachwuchs aus und verteidigt ihn gegen Feinde. Diese Buckelzikade trägt den Namen Alchisme grossa, wird etwa 12 mm gross. Aufnahmeort: Kolumbien.
Foto: Thomas Marent
Manche Fachleute vermuten, dieses Schlitzohr in Schwarz-Weiss der Art Notocera sp. tarne sich als Vogelkot. Diese Buckelzikade ist 5 mm gross. Aufnahmeort: Kolumbien.
Foto: Thomas Marent
Mehrere dornartige Fortsätze sind typisch für diese zierliche Vertreterin der Art Cyphonia trifida. Sie wird etwa 4 mm klein. Aufnahmeort: Ecuador.
Foto: Thomas Marent
Die weitverbreitete Art Aetalion reticulatum zeigt sich hier mit frisch geschlüpften Jungtieren. Sie wird etwa 10 mm gross. Aufnahmeort: Ecuador.
Foto: Thomas Marent
Bekannt ist das erstaunliche Sozialleben der Buckelzikaden. Anders als bei Insekten üblich, lässt das Weibchen nach der Eiablage seine Eier nicht im Stich, sondern bewacht sie und kümmert sich später um die ausgeschlüpften Jungen, die sogenannten Nymphen, bis sie erwachsen sind. Wenn sich ein räuberischer Käfer nähert, schlägt die nächste Nymphe Alarm, indem sie ihren Körper hin und her schwingt und so Vibrationen erzeugt. Die Geschwister nehmen die Schwingungen auf und verstärken das Signal. Die Mutter springt auf und stellt sich dem Angreifer entgegen, indem sie wütend mit ihren Flügeln summt oder mit ihren kräftigen, keulenförmigen Hinterbeinen zuschlägt.
Ameisen lieben die süssen Tropfen der Buckelzikaden
Manchmal erhalten Buckelzikaden auch Hilfe von Ameisen. Diese sind scharf auf das, was die Nymphen hinten rauslassen: Ähnlich wie Blattläuse saugen die Baumhüpfer Pflanzensaft und scheiden überschüssigen Zucker wieder aus. Ameisen lieben die süssen Tropfen und beschützen dafür die Siruplieferanten. Manchmal bauen sie gar eine Art Dach über ihre «Milchkühe» und schützen sie so vor Fressfeinden und Regen.
Die braune Färbung verrät bei der Art Alchisme bos das Männchen – die Damen tragen nämlich Grün. Sie wird etwa 10 mm gross. Aufnahmeort: Kolumbien.
Foto: Thomas Marent
Die Spezies Cyphonia clavata tarnt sich mit ihren Auswüchsen als Ameise – im Bild zwei Tiere bei der Paarung. Sie wird etwa 4 mm gross. Aufnahmeort: Kolumbien.
Foto: Thomas Marent
Dieser imposante Geselle der Art Enchenopa albidorsa gehört mit 15 mm bereits zu den Riesen unter den Buckelzikaden. Aufnahmeort: Kolumbien.
Foto: Thomas Marent
Auch der Fotograf Thomas Marent machte Bekanntschaft mit den Ameisen, die ihm bei seinen Touren durch Peru, Ecuador, Kolumbien und Costa Rica die Arbeit erschwerten. Doch was nimmt man nicht alles in Kauf für ein gutes Bild? Rund 60 Arten von Baumhüpfern hat er schliesslich fotografiert – von weltweit über 3000 bekannten Arten. Die meisten sind in den Tropen zu Hause, drei aber auch in Mitteleuropa. «Von diesen ist die Büffelzikade wohl die bekannteste», sagt Marent. «Sie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts aus Nordamerika eingeschleppt und kommt heute auch in der Schweiz vor.»
Mit dem hohen, seitlich flachen Buckel macht die Art Membracis sp. dem Familiennamen alle Ehre. Diese Art wird etwa 10 mm gross. Aufnahmeort: Kolumbien.
Foto: Thomas Marent
Ameisen lieben die zuckerhaltigen Tropfen, welche die Buckelzikaden abgeben. Im Bild aus Ecuador: Die Anchistrotus sp., die etwa 10 mm gross wird.
Foto: Thomas Marent
Den Fotografen faszinieren die unglaublichen Farben und Formen der skurrilen Insekten. «Pinguine oder Eisbären fotografieren kann jeder», sagt Marent, «sofern er genügend Geld für eine teure Fotoausrüstung und Polarreisen hat.» Den Mikrokosmos aber, diese Welt im Kleinen, im Bild einzufangen, ist viel schwieriger. Thomas Marent ist zu Recht stolz auf seine aussergewöhnlichen Bilder, die ihm nur dank unerschütterlichem Willen, grosser Geduld und viel Können gelungen sind.
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