Von Fitnessarmbändern über smarte Ringe bis hin zu Messgeräten fürs Ohr: Wearables – also tragbare digitale Geräte zur Erfassung von Gesundheitsdaten – erleben einen wissenschaftlich begleiteten Aufschwung.
Längst geht es nicht mehr nur ums Zählen von Schritten. Studien zeigen, dass Wearables helfen können, Krankheiten früh zu erkennen, Therapien zu unterstützen – und dabei überraschend genau arbeiten. Ein Überblick.
Immer mehr Selbst-Vermesser
„Unter Wearables fällt zunächst alles, was man am Körper tragen kann. Im engeren Sinne gehört zu einem Wearable aber eine elektronische Komponente“, sagt Can Dincer, Professor für Sensors and Wearables for Healthcare an der Technischen Universität München.
Solche Wearables werden zunehmend beliebter: Laut Statistischem Bundesamt nutzt in Deutschland mehr als ein Fünftel der Bevölkerung ab zehn Jahren Smartwatches, Fitnessarmbänder und Co., wobei die Zahlen bereits fünf Jahre alt sind – inzwischen dürfte die Verbreitung der smarten Uhren, Ringe und Armbänder noch gestiegen sein.
Mit Smartwatches gegen Erinnerungslücken
Die Geräte können mittlerweile viel mehr als die bloßen Schrittzähler der Vergangenheit: Sie messen Herzschlag und Schlafqualität, tracken Sporteinheiten und Stresslevel, schätzen Trainingszustand und Kalorienverbrauch ein – und produzieren jede Menge Daten.
Schon jetzt profitiert die Wissenschaft laut Epidemiologin und Medizinerin I-Min Lee von der US-amerikanischen Harvard University davon. So seien Studien zum Zusammenhang zwischen Aktivitätslevel und Gesundheit in der Vergangenheit in der Regel auf Selbstauskünfte der Probanden angewiesen gewesen, die etwa durch Fragebögen erfasst wurden.
„Wenn Sie über Ihre körperliche Aktivität berichten, erinnern Sie sich vielleicht daran, dass Sie drei Tage in der Woche laufen gehen, aber Sie erinnern sich vielleicht weniger gut an das gelegentliche Spazierengehen oder das Gehen von A nach B“, beschreibt Lee, die ein Buch über epidemiologische Methoden in Studien über körperliche Aktivitäten geschrieben hat.
Die Tracker würden diese Erinnerungslücken schließen – und gleichzeitig schon jetzt andeuten, dass bereits wenig körperliche Aktivität vorteilhaft für die Gesundheit sei. Allerdings hätten Wearables derzeit noch Grenzen.
So seien die Geräte nicht sehr gut darin, Muskelstärkungsübungen zu erfassen. Eben jene seien aber wichtig – nicht nur, weil die Muskelkraft im Alter rapide nachlässt, sondern auch, weil der Zustand der Muskelkraft sich immer mehr als Hinweis auf chronische Krankheiten erweise.
Wo die schlauen Uhren (noch) versagen
Zudem erlauben Wearables aktuell noch keinen guten Blick auf den Kontext unserer Bewegungen: Finden diese als Teil unseres Berufs, der Freizeit oder in der alltäglichen Fortbewegung statt? Der Kontext spiele eine Rolle, so Lee, da jüngere Untersuchungen nahelegten, dass berufsbedingte Bewegung nicht den gleichen Gesundheitsnutzen habe wie andere Formen der Bewegung, etwa Sport – und das vor allem bei Männern.
Insgesamt betont die Epidemiologin aber das große Potenzial der Tracker für die Wissenschaft. Dieses könnte sich noch stärker entfalten, wenn die Geräte in der Lage wären, mehr als nur physikalische Größen zu messen, wie Dincer ausführt. „Für unsere Forschung sind insbesondere auch chemische und biologische Signale von Bedeutung.“
Sein Team arbeitet daran, „Biomarker wie Hormone oder Proteine, Medikamente wie beispielsweise Antibiotika sowie Krankheitserreger wie Viren oder Bakterien, die üblicherweise im Blut bestimmt werden, in anderen Bioflüssigkeiten nachzuweisen.“
Dazu zählen etwa Schweiß, Atemluft und Gewebsflüssigkeit. Die Herausforderung: „Moleküle in diesen Bioflüssigkeiten liegen viel stärker verdünnt vor als im Blut. Damit ist es viel schwieriger, hieraus bestimmte Parameter nachzuweisen.“
Vom Lifestyle-Gadget zum Frühwarnsystem
Ein Ziel der Forschung zu Wearables ist, auffällige Veränderungen im Gesundheitszustand früher zu erkennen. Schon 2019 legte etwa eine im Fachblatt „Annals of Neurology“ veröffentlichte Studie nahe, dass diese helfen können, Parkinson früh zu diagnostizieren.
Die Forschungsgruppe platzierte dafür ein entsprechendes Gerät am unteren Rücken von Teilnehmern der Studie. Dieser Sensor erfasste Gangmerkmale der Probanden – tatsächlich zeigten sich bestimmte dieser derart registrierten Merkmale als frühe Marker für Parkinson.
Nicht der einzige mögliche Einsatz von Wearables in der Medizin:
- Eine britische Forschungsgruppe arbeitet an entsprechend designten Geräten zur Schlafüberwachung von Demenz-Patienten. Diese sollen etwa die Atmung verfolgen und zudem Alarm schlagen, wenn ein Wundliegen droht.
- Das gleiche Team forscht auch an Gürteln für Schwangere, die die Bewegungen des Fötus überwachen.
- Eine internationale Machbarkeitsstudie zeigte kürzlich, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes sich eher dann an Bewegungsprogramme hielten, wenn sie eine Smartwatch nutzten. „Wir haben festgestellt, dass die Nutzung biometrischer Daten aus tragbaren Technologien sehr vielversprechend ist, um Menschen mit neu diagnostizierter Typ-2-Diabetes zu ermutigen, ein zu Hause durchgeführtes, personalisiertes Bewegungsprogramm mit allen damit verbundenen gesundheitlichen Vorteilen beizubehalten“, kommentierte Mitautorin Katie Hesketh von der University of Birmingham die Ergebnisse.
- Ein weiterer Versuch der University of Bristol zeigte, dass Menschen zuverlässiger ihren täglichen Alkoholkonsum aufzeichneten, wenn sie von einer Smartwatch mehrmals am Tag danach gefragt wurden und ihre Angaben direkt über die Uhr machen konnten.
- Und schließlich stellten Wissenschaftler beim diesjährigen Kongress der US-Kardiologen eine Methode vor, bei der durch Wearables erfasste Reaktionen des Herzens auf Bewegung bei der Bewertung der Herz-Kreislauf-Gesundheit helfen. Als Kennzahl wurde dafür die Herzfrequenz pro Schritt erfasst – mit Hilfe der Daten, welche die Probanden mit einem ganz normalen Fitnesstracker generiert hatten.
Zudem haben Forschende der Universität Bielefeld mit „Garmin“-Uhren Puls und Stresslevel der Fußballfans von Arminia Bielefeld und VfB Stuttgart beim DFB-Pokalfinale Ende Mai vermessen, um buchstäblich deren „Fußballfieber“ zu erfassen. Erstes Ergebnis: Die Forschenden fanden klare Parallelen zwischen Spielverlauf und Körperreaktionen.
Exakte Daten – direkt am Körper
Eine Herausforderung bei dieser Art des Trackings ist die Platzierung des Sensors: Am Arm können Bewegungsartefakte die Aufzeichnung der Daten verfälschen. Erst kürzlich stellte ein Team am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) einen Apparat vor, der am Ohr getragen wird und besonders genaue Daten liefern soll. Das Wearable sitze stabil in der Nähe großer Blutgefäße und könne so etwa Herzfrequenz, Atemmuster und Temperaturverläufe besonders zuverlässig erfassen – im Alltag und während des Schlafs.
Wearables verändern die Wahrnehmung von Gesundheit
„Wearables können uns auf jeden Fall dabei helfen, dass wir selbst besser auf unsere Gesundheit und unseren Lebensstil achten und bestimmte Vitalwerte und biochemische Parameter über längere Perioden überwachen“, sagt Dincer. Doch er warnt: „Andererseits können sie auch dazu führen, dass wir uns wegen kleinsten Veränderungen in den Werten unnötig Sorgen machen. Daher muss dieser Prozess unbedingt sehr gut reguliert werden.“
Wearables können uns auf jeden Fall dabei helfen, dass wir selbst besser auf unsere Gesundheit und unseren Lebensstil achten.
Can Dincer, Professor für Sensors and Wearables for Healthcare an der Technischen Universität München
Dincer skizziert drei mögliche künftige Anwendungsszenarien für Wearables im Gesundheitssystem: „Die erste Variante ist, dass wir mit Beschwerden zum Arzt gehen, dieser einen Verdacht hat und uns bittet, beispielsweise ein Wearable über mehrere Tage zu tragen, um bestimmte Parameter kontinuierlich zu überwachen.“
Zweitens könnten Wearables morgens direkt Auskunft über den Gesundheitszustand geben: „Im Idealfall kann so ein Gadget viele vitale und biochemische Gesundheitsparameter messen und uns direkt nach dem Aufstehen sagen, ob alle Werte im normalen Bereich liegen.“
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Und drittens könnten Wearables zur personalisierten Medikation beitragen: „Bei einer vorhandenen Krankheit können sie uns dabei unterstützen, Medikamente in der richtigen Menge einzunehmen, da sich diese mit der Zeit, dem Gewicht und dem Alter verändert.“
Ein erfolgreiches Beispiel dafür ist die kontinuierliche Blutzuckermessung (CGM), bei der Sensoren und Insulinpumpen bereits heute in Echtzeit zusammenarbeiten. „Diese Kombination lässt sich mit Sicherheit zukünftig auch auf andere Krankheiten übertragen“, so Dincer. (dpa)