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Anne Rabe: „Wir erleben einen ernsthaften Angriff auf unsere Demokratie.“ © Jan Woitas/dpa
Moral, Demokratie, Empathie: Anne Rabe spricht über den wachsenden Einfluss rechter Ideologien – und mögliche Gegenstrategien.
Berlin (KNA) Rechtsextremismus, Gewalt gegen Frauen, Queerfeindlichkeit: Die Autorin Anne Rabe liefert in ihrem neuen Buch eine alarmierende Bestandsaufnahme der Lage in Deutschland. „Das M-Wort – Gegen die Verachtung der Moral“ erscheint am 16. August und offenbart eine strukturelle Verschiebung von demokratischen hin zu autoritären Weltanschauungen. Woher sie kommt, was dagegen getan werden kann und warum trotzdem Grund zu Optimismus besteht, sagt Rabe am Freitag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Frau Rabe, Sie schreiben über das Erstarken des Rechtsextremismus in Deutschland, teils auch von persönlichen Erfahrungen. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, das Buch zu schreiben?
Das war schon schwierig. Es ist generell schwierig, sich dieser Realität zu stellen. Ich glaube, dass das auch viele Menschen kennen, die immer mal wieder sagen: Ich muss die Nachrichten ausschalten und mich etwas zurückziehen – was auch nachvollziehbar ist. Gleichzeitig ist die Auseinandersetzung mit der Realität und dem Rechtsextremismus auch wichtig und etwas, wodurch man bei seinen eigenen Ansichten und Werten ist.
Passivität sehen Sie kritisch und als Motor für autoritäre Strömungen. Sehen Sie uns alle in der Pflicht, mehr zu tun?
Diese Passivität zu erzeugen, ist ja auch eine Strategie. Ständige Nachrichten von rechts sollen ablenken und Hysterie erzeugen. Aber: Wenn sich viele Menschen dauerhaft zurückziehen, ist das etwas, was wir uns nicht leisten können. Jeder muss schauen, welchen Beitrag er oder sie für die Demokratie leisten kann. Das kann vielfältig sein, wie ein Fußballtraining für Kinder anzubieten, sich in der Nachbarschaftshilfe zu engagieren oder in einer Nichtregierungsorganisation.
Sie beschreiben auch, wie der Zivilgesellschaft immer wieder Steine in den Weg gelegt werden – etwa bei der Finanzierung eines soziokulturellen Zentrums im sächsischen Weißwasser.
In diesem Fall gibt es inzwischen gute Nachrichten: Eine Spendenkampagne hat das Zentrum dort gerettet. Aber das ist grundsätzlich etwas, was wir an ganz vielen Orten sehen und was auch auf den Westen zukommen wird. Die Finanzlage ist angespannt, dazu kommen auch Dinge wie Verdächtigungen von vermeintlich linken Vereinen und Institutionen durch die CDU. Ich halte es für einen großen Fehler, demokratisches Engagement immer als links zu markieren.
Was ist aus Ihrer Sicht zu tun?
Generell muss der Kampf gegen nicht-demokratische Kräfte ernst genommen werden – besonders gegen Rechtsextreme. Aber auch nicht-demokratische Lokalpolitik von CDU und teils SPD ist ein Problem. Und da ist mein Eindruck, dass man das gerade in Berlin und anderen großen Städten noch nicht richtig verstanden hat. Wir erleben einen ernsthaften Angriff auf unsere Demokratie. Wir müssen demokratische Kräfte vor Ort unterstützen, auch die Finanzierungen sichern.
Unter Moral verstehen Sie „die universelle Würde aller Menschen“. Kommt dieses Verständnis in Deutschland abhanden?
Das ist eine gezielte Strategie rechtsextremer und autoritärer Kräfte – eine unterschiedliche Wertigkeit von Menschen einzuführen. Das haben wir historisch immer wieder gesehen, und das sehen wir auch aktuell. Elon Musk etwa hat gesagt: „Empathie ist die größte Schwäche des Westens.“ Dabei ist Empathie eine ganz wichtige Voraussetzung für die Anerkennung der universellen Gleichheit aller Menschen. Wir haben uns zu leicht darauf eingelassen, diese Strategie gedanklich mitzugehen. Das ist die große Kritik, die ich an der politischen Diskussion in Deutschland habe.
Artikel der KNA
Dieser Beitrag stammt von der Katholischen Nachrichten-Agentur KNA).
Viele Familien in Deutschland sind gespalten, weil die Tante oder der Vater die AfD wählen. Auch Sie schreiben, dass Sie eine Freundschaft beendet haben. Wie teuer ist Moral?
Es gibt leider nicht für alles eine Lösung. Meine Anekdote endet ja auch in einem persönlichen Scheitern, da diese Freundschaft nicht zu halten ist. Vielleicht ist das ein Phänomen dieser Zeit, was man betrauern muss. Allerdings darf und muss man auch mal sagen: Okay, ich kann nicht alle Beziehungen fortführen, wenn es um Grundsätzliches geht. Wenn in Diskussionen die Menschlichkeit abhanden kommt, muss man sich da auch trennen.
Ein kollektiver Moralverlust, den Sie auch in Ihrem Buch beschreiben, ist der Fall um Gisèle Pelicot. Sie wurde in Frankreich von ihrem Mann unzählige Male sediert und von ihm und zahlreichen anderen Männern vergewaltigt.
Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu, gerade auch in Deutschland. Der Fall Pelicot ist für mich deshalb so bedeutend, weil die Alltäglichkeit der Gewalt sichtbar wird. Gegen diese Normalisierung muss dringend etwas getan werden. Wir müssen verstehen, dass es für die Demokratie essenziell ist, dass Frauen nicht unterdrückt werden und nicht zurück in die Häuslichkeit gehen müssen.
Im Kapitel über den Fall Pelicot wenden Sie sich explizit an die männlichen Leser und bitten diese, die folgenden Seiten nicht zu überspringen. Warum?
Weil dieser Fall zeigt, dass es für so viele Männer normal ist, in eine Chatgruppe zu gehen und zu schauen, wo sie eine Frau sedieren und vergewaltigen können. Genau diese Frage, warum das so ist, kommt mir bis heute zu kurz. Wir Frauen entwickeln gegenseitig Strategien, um Gewalt zu vermeiden und geben diese untereinander weiter. Dazu muss es ein Gegenstück auf männlicher Seite geben. Ich höre selten von Männern, dass sie sich darüber unterhalten, welche Männlichkeit sie von ihrem Vater gelehrt bekommen haben. Ich glaube, in der Tradierung von männlicher Gewalt liegt ein ganz wichtiger Kern, denn auch der Antifeminismus ist eine Strategie in der rechtsextremen Bewegung.
Sie schreiben, dass Sie in den Buchhandlungen immer mehr Texte finden, die auf die Gefahr von rechts hinweisen. Was bringt die beste Moral, wenn sie nicht gehört wird? Und warum bleiben Sie trotzdem optimistisch?
Ich selbst mache weiter und habe auch das Buch geschrieben, auch weil mir kein guter Grund einfällt, es nicht zu tun. Wir haben etwas zu verteidigen. Und meine eigene Erfahrung ist, dass viele Menschen in solchen Analysen und Texten auch etwas Trost finden. Einerseits spricht man zwar immer auch zu den schon Überzeugten. Aber andererseits ist es wichtig, neue Verbündete zu finden. Und da bin ich optimistisch. Wir können diese Demokratie noch retten. (von Daniel Zander)