Interview mit Handelsexperte Marc Muendler –
«Der Zollstreit stärkt die USA»
Der Wirtschaftsprofessor Marc Muendler über die Folgen des Handelskriegs für die Schweiz, die USA und den Rest der Welt.
Publiziert heute um 18:50 Uhr
«Die Preise für viele Güter auf den Märkten ausserhalb der Vereinigten Staaten werden fallen», prognostiziert Marc Muendler.
Bild: Erik Jepsen, UC San Diego
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Marc Muendler sass im Flugzeug über dem Atlantik, als die Nachricht kam, dass die USA die Schweiz mit 39% Strafzoll belegen. Sie hat den Wirtschaftsprofessor und Handelsexperten «überrascht».
Die Schweiz übernehme viele Aufgaben für die Vereinigten Staaten, unter anderem Verhandlungen mit dem Iran, «deswegen hatte ich gedacht, dass die Schweiz gewisse Vorteile geniessen würde», sagt Muendler im Interview von Brasilien aus, wo er gerade Forschung betreibt, bevor das Semester in Kalifornien an der UC San Diego wieder losgeht.
Herr Muendler, weshalb hat die Schweiz einen so viel höheren US-Strafzoll bekommen als andere Staaten?
Das hat weniger mit der Schweiz selbst zu tun, als mit der mangelnden Kapazität der US-Regierung, in wenigen Monaten neuartige Handelsabkommen abzuschliessen. In so kurzer Zeit hat die US-Regierung grössere Staaten bevorzugt behandelt, und kleine Länder wie die Schweiz tragen den Schaden davon.
Was kann die Schweiz nun tun?
Die Schweiz muss, wie andere kleinere Staaten auch, lernen, in einer Welt zu navigieren, in der das regelbasierte Wirtschaftssystem, dank dem sie so viel Wohlstand erreicht hat, nicht mehr einwandfrei funktioniert. Dazu muss sie neue Allianzen schmieden, und ihr vorsichtiges, aber doch selbstsicheres Auftreten auf der Weltbühne weiter vorantreiben. Sie muss weiter das Gespräch mit den USA suchen, um darzulegen, dass sie immer ein verlässlicher Partner gewesen ist, in diplomatischen und strategischen Fragen. Nur weil die Schweiz in der ersten Deal-Runde nicht dabei gewesen ist, heisst das nicht, dass es nicht in einer zweiten Platz für sie hat.
Marc A. Muendler lehrt seit mehr als zwanzig Jahren an der University of California San Diego. Als Professor für Wirtschaftswissenschaften gehören neben globalem Handel auch internationale Finanzströme und Entwicklungsökonomie zu seinen Spezialgebieten. Er gibt zudem regelmässig an europäischen Universitäten Vorlesungen, zurzeit an der Universität St. Gallen. Zudem ist er in verschiedenen Forschungsgremien tätig, unter anderem beim überparteilichen und gemeinnützigen Wirtschaftsforschungsinstitut National Bureau of Economic Research (NBER) mit Sitz in Cambridge, Massachusetts, sowie in mehreren Funktionen beim ifo Institut in München.
Kann die Schweiz ihr Gold über London und ihre Medikamente über die EU verschiffen, um den Zöllen auszuweichen?
Die US-Zollbehörden bauen gerade neue Expertise auf. In den ostasiatischen Handelsabkommen gibt es Mindestanforderungen der lokalen Wertschöpfung. So wird auf Waren aus Vietnam ein Zoll von 20% erhoben, aber auf Waren, die mehrheitlich in Drittstaaten hergestellt worden sind und nur von Vietnam aus verschifft werden, ein Zoll von 40%. Deshalb lernen Beamte nun, wie sie Handelsströme untersuchen und durchleuchten können. Sich da als Exporteur auf Tricks zu verlassen ist wahrscheinlich keine gute Idee.
«Die Schweiz muss lernen in einer Welt zu navigieren, in der das regelbasierte Wirtschaftssystem nicht mehr einwandfrei funktioniert.»
Was will die US-Regierung erreichen?
Die Regierung wird von Trump dominiert, und es scheint zu wenig interner Diskurs stattzufinden. Allerdings gibt es verschiedene Ziele hinter der aktuellen Handelspolitik. Eines davon ist geostrategisch: Schlüsselindustrien in den USA sollen gestärkt werden – Schiffbau, Stahl- und Pharmaindustrie. Die Produktion dieser Industriezweige will man im eigenen Land haben, damit sie im Konfliktfall verfügbar sind.
Was sind die weiteren Motive?
Der Wiederaufbau von Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie, die ins Ausland abgewandert sind. Ob das gelingt, ist eine andere Frage. Ein weiteres Ziel ist, Einnahmen zu generieren. Steuern auf das Rauchen sind da eine hilfreiche Parallele: Wenn man Tabak zu sehr besteuert, hören die Leute auf, Zigaretten zu kaufen. Wenn die Vereinigten Staaten in den Importen eine Abhängigkeit sehen, die gemindert werden muss, dann kann sie die durch Zölle besteuern, aber wenn die -Abhängigkeit weniger wird, sind auch die Zolleinnahmen geringer.
Ein Argument ist die Reduktion des US-Handelsdefizits. Ist es ein Problem?
Eine der drei apollonischen Weisheiten, die am Tempel von Delphi zu finden waren, lautet: Meden agan, alles mit Mass. Das gilt auch für die Leistungsbilanz. Ein moderates Ungleichgewicht ist Teil des Systems. Ein Problem stellen exzessive Ungleichgewichte dar. Ein erheblicher Handelsüberschuss, wie ihn die Schweiz, Deutschland und Japan haben, bedeutet, dass die meisten Inländer lieber ihre Ersparnisse im Ausland anlegen. Wenn Kapital langfristig ins Ausland fliesst, schadet das der heimischen Industrie. Dasselbe gilt für die Gegenseite: Ein hohes Handelsdefizit bedeutet, dass die Ersparnisse im betreffenden Land zu gering sind und die Wirtschaft für ihre Investitionen auf ausländisches Kapital angewiesen ist.
Sind Zölle der richtige Weg, einen ausgeglicheneren Handel zu erreichen?
Nein. Die Leistungsbilanz ist ein Resultat der ihr zugrundeliegenden wirtschaftlichen Verhältnisse, oder eben Missverhältnisse. Makroökonomische Schwierigkeiten lassen sich nicht durch Handelspolitik ändern. Die Vereinigten Staaten leiden aber nicht nur an zu niedrigen heimischen Ersparnissen, sondern sind Opfer des eigenen Erfolgs. Sie haben den attraktivsten Finanzmarkt der Welt, selbst während dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 sind Gelder in US-Wertpapiere geflossen, vor allem aus China, Japan und Singapur.
Weshalb ausgerechnet von dort?
Das Entwicklungsmodell, das Japan betrieben hat, dem Singapur gefolgt ist und das nun auch in China vorherrscht, basiert grob auf zwei Pfeilern: die eigene Währung schwach halten und die Exportwirtschaft fördern. Die Kapitalströme, die dabei freigesetzt werden, gehen in den grössten Absatzmarkt der Welt, die Vereinigten Staaten. Daran sind die USA unschuldig. Aber sie profitieren auch davon, denn wenn es zu einem geostrategischen Konflikt kommt, dann hat der Gläubiger Anreize, das Schuldnerland zu schonen.
«Makroökonomische Schwierigkeiten lassen sich nicht durch Handelspolitik ändern.»
An der UC San Diego leiten Sie das «Globalization and Prosperity Lab», das untersucht, wie ökonomische Veränderungen den globalen Wohlstand verändern. Wie beeinflussen die Zölle Ihre Prognosen?
Aktuell ist nicht klar, was die bestehenden Abkommen genau bedeuten. In den Mitteilungen des Weissen Hauses stehen andere Zahlen, als in denen der Partnerländer. Beim US-EU-Deal zum Beispiel sollen gewisse Güter in beide Handelsrichtungen zollfrei fliessen, aber eine Liste, welche Güter das genau sind, ist nirgends verfügbar. Dazu kommen die kumulativen Zolleffekte, da neben länderspezifischen Tarifen auch noch Autoteile, Stahl, Aluminium und Kupfer besteuert werden. Es fehlen die Parameter, die wir für die Modelle benötigen. Wir haben uns entschieden, unsere Simulationen erst in sechs bis acht Wochen wieder durchzuführen, wenn die Umsetzung der Zölle klar ist.
Könnte es zu Ausnahmen kommen?
Im sino-amerikanischen Zollkrieg von Trumps erster Amtszeit sind ein Fünftel bis ein Sechstel der chinesischen Güter von Zöllen befreit gewesen, weil US-Unternehmen belegen konnten, dass ihre Produktion auf diese Waren angewiesen ist. Auch dieses Mal wird es wieder zu Ausnahmen kommen – wir kennen diese einfach noch nicht. Zudem können Lagerbestände von der Verzollung ausgenommen werden, basierend auf Regeln aus den Dreissigerjahren. Die Ausgestaltung der «Deals» wird nun den US-Behörden überlassen, was auch dafür spricht, dass die Abkommen vor allem den Vereinigten Staaten Vorteile bringen wird.
Auch wenn detaillierte Prognosen noch nicht möglich sind, was sind die Folgen der Zölle für den Rest der Welt?
Die alte Ordnung der Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Staaten gilt nicht mehr. Die Handelsströme werden umgelenkt. Wenn ein grosses Land wie die USA seine Pforten schliesst, müssen die Produkte woanders verkauft werden. Überangebot trifft auf mässige Nachfrage: Die Preise für viele Güter auf den Märkten ausserhalb der Vereinigten Staaten werden fallen.
Wenn Donald Trump die Zölle wieder abschafft, hätten wir dann wieder die Handelsströme von 2024?
Die US-Regierung hat mit den Zöllen ein Wahlversprechen eingelöst, das sie nicht wieder rückgängig machen wird. Aber ökonomisch gesehen ist es ein interessantes Gedankenspiel: Wenn Unternehmen es für glaubwürdig halten, dass die Handelshemmnisse langfristig gelten, dann investieren sie entsprechend in Fabriken im eigenen Land oder im nahen Ausland und stellen ihre Lieferketten um. Manche dieser Investitionen bleiben, auch wenn sich alles wieder normalisiert.
Hat dieses Reshoring bereits begonnen?
Ein Indiz für neue Lieferverbindungen ist die Inflation. Die US-Preise sollten eigentlich allmählich steigen, aber sie tun es nur langsam. Grund sind langfristige vertragliche Vereinbarungen zwischen Zulieferern und Abnehmern, die noch nicht angepasst werden konnten und grosse Lagerbestände, die im Vorfeld aufgebaut worden sind. Es kommt zu Verzögerungen. Aber die Zölle sind gekommen, um zu bleiben.
Es ist also kein Bluff von Trump, damit er Zugeständnisse bekommt und dann alles wieder relativiert?
Vor drei Monaten hätte ich noch gedacht, dass die anderen Staaten den Vereinigten Staaten die Stirn bieten werden und es zu Gegenmassnahmen kommt, die auch dazu führen könnten, dass die US-Zollpläne wieder angepasst werden. Aber die Taktik des Drucks hat sich für die USA ausgezahlt: Japan, die EU, das Vereinigte Königreich und andere Staaten haben erhebliche Zugeständnisse gemacht, ohne Gegenmassnahmen zu verfolgen. Die USA gehen gestärkt aus dem Zollstreit hervor.
Könnten negative wirtschaftliche Auswirkungen die US-Regierung nicht zum Umdenken zwingen?
Die US-Regierung ist erst nervös geworden, als der Markt für ihre Staatsanleihen ins Wanken gekommen ist. Dieser Markt hat sich wieder beruhigt und die aktuelle Dollarabwertung ist einer der wenigen bleibenden Nebeneffekte, den die Regierung wohl gerne in Kauf nimmt. Viele negative Auswirkungen der Reformen der Republikaner werden in den USA erst nach den Zwischenwahlen im Herbst 2026 zu spüren sein, während die Steuervergünstigungen gleich greifen. Deshalb ist die Regierung vorerst sicher im Amt.
«Der Neustart, den die Vereinigten Staaten nun vornehmen, könnte in Zukunft auf Verständnis stossen.»
Und im Ausland?
Im Ausland hat das Bild des auf das Gemeinwohl bedachten Hegemons nun erhebliche Kratzer bekommen. Die USA haben viel ihrer sogenannten Soft Power verspielt, aber das Vertrauen ist noch nicht komplett weg.
Wie werden wir in fünf Jahren das Jahr 2025 beurteilen?
Eine Interpretation könnte sein, dass sich die USA von Fesseln gelöst haben, die eine knappe Mehrheit der Wählerschaft nicht mehr mittragen wollte. Seit der Finanzkrise von 2008/09 nimmt in vielen Ländern das Lager derjenigen zu, die der Meinung sind, dass das aktuelle politische und wirtschaftliche Gefüge dem Mittelstand nicht hilft. In den Vereinigten Staaten hat dieser Wunsch nach einem radikalen Neuanfang Trump zweimal zum Wahlsieg verholfen. Das Ausbleiben von Gegenmassnahmen weist darauf hin, dass dieser Neustart, wie ihn die Vereinigten Staaten nun vornehmen, in Zukunft durchaus auf mehr Verständnis stossen könnte, als es aktuell der Fall ist.
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EinloggenMara Bernath ist Redaktorin im Märkteressort und schreibt schwerpunktmässig über Rohstoffe, Geopolitik und Handelsfragen. Mehr Infos@MaraBernath
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