AboTieferes Alzheimer-Risiko –
Gürtelrose- und RSV-Impfungen nützen dem Gehirn
Es wird immer deutlicher, dass gewisse Impfungen vor Demenzen wie Alzheimer schützen. Ob es an einem Impfverstärker oder dem Schutz vor Viren liegt, wird untersucht.
Publiziert heute um 19:01 Uhr
Eine Impfung gegen Gürtelrose hat wahrscheinlich noch weitere Vorteile, ausser vor der schmerzlichen Nervenkrankheit zu schützen.
Foto: Getty Images/Cavan Images RF
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.BotTalkIn Kürze:
- Ein Forscherteam der Universität Oxford entdeckt die schützende Wirkung von Impfverstärkern gegen Demenz.
- Die Studie zeigt ein signifikant geringeres Demenzrisiko bei Geimpften.
- Der Impfverstärker AS01 könnte krankhafte Ablagerungen im Gehirn reduzieren.
- Gürtelrose-Impfungen senken gemäss Daten aus Wales das Demenzrisiko um 20 Prozent.
Impfungen gegen Gürtelrose können offenbar Demenzerkrankungen wie Alzheimer vorbeugen. Dass gewisse Impfungen, die vor Viruserkrankungen schützen, auch dem Gehirn nützen, wurde in den letzten Jahren immer klarer.
Jetzt kommt ein neuer überraschender Aspekt hinzu: Nicht nur der Schutz vor Viruserkrankungen sei entscheidend, fand kürzlich ein Forscherteam von der Universität Oxford. Sondern es könnte auch direkt eine Substanz im Impfstoff dafür verantwortlich sein, das Gehirn zu schützen. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Adjuvans, eine Substanz, welche die Impfung verstärkt, so das Ergebnis der Wissenschaftler. Das Team hat die Ergebnisse im Fachjournal «NJP Vaccines» veröffentlicht.
Die britischen Forscher um Maxime Taquet haben Daten von mehr als 436’000 Erwachsenen aus den USA ausgewertet. Etwa die Hälfte der Personen hatte eine Impfung gegen Gürtelrose (Varizella-Zoster-Virus (VZV) oder gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) erhalten. Die andere Hälfte hatte eine Grippeimpfung bekommen.
Die Impfstoffe gegen Gürtelrose und gegen RSV enthielten jeweils als Adjuvans den Impfverstärker AS01. Dieser beinhaltet hauptsächlich Bestandteile aus der Oberfläche von Bakterien und aus dem Seifenrindenbaum. Der eingesetzte Grippeimpfstoff wirkte hingegen ohne Impfverstärker.
Überraschende Bestätigung
Das Ergebnis: Im Vergleich zu den gegen Grippe Geimpften hatten diejenigen, die gegen Gürtelrose geimpft worden waren, ein um 18 Prozent niedrigeres Risiko für eine Demenz. Bei denjenigen, die den RSV-Impfstoff erhalten hatten, waren es 29 Prozent. Die Gruppe der Personen, die beide Impfstoffe bekommen hatten, war zu 37 Prozent besser geschützt. Allerdings seien die Daten bei den doppelt Geimpften nicht signifikant, räumt das Forscherteam ein. Die statistischen Berechnungen zeigten demnach nicht, dass mehrere Impfungen gegen verschiedene Viren besser vor einer Demenz schützen könnten als nur eine Impfung.
Konstantin Sparrer vom Universitätsklinikum Ulm findet die Studie «interessant», und zudem bestätige sie «auf überraschende Weise vorherige Ergebnisse anderer Untersuchungen», fügt der Virologe an. Die Rolle von Impfverstärkern sei, das angeborene Immunsystem zu stimulieren. «Deshalb ist es nicht überraschend, dass ein Adjuvans auch noch andere Effekte haben kann, ausser dem Vakzin zu helfen, den Körper auf ein bestimmtes Virus aufmerksam zu machen», sagt Sparrer.
Dennoch sei diese Studie zunächst ein Hinweis darauf, dass man sich diese Impfverstärker einmal genauer anschauen sollte. Ob sie tatsächlich eine schützende Wirkung für das Gehirn haben könnten, müssten weitere Untersuchungen zeigen.
Vermutung, wie Impfverstärker AS01 wirkt
In der Studie wurden die Daten drei Monate nach der Impfung ausgewertet, in der der Impfstoff samt Adjuvans seine Wirkung entfalten konnte. Anschliessend analysierten die Forscher über einen Zeitraum von 18 Monaten, wer von den Personen an einer Demenz erkrankte. «Das ist ein relativ kurzer Zeitraum gerade bei der Beobachtung von neurodegenerativen Erkrankungen», sagt Sparrer. Schliesslich sterben bei Demenzerkrankungen über Jahre oder Jahrzehnte Nervenzellen des Gehirns ab, bevor sich Symptome zeigen.
Unklar ist zudem der Mechanismus, wie der Impfverstärker AS01 das Gehirn schützen könnte. Das Team um Maxime Taquet spekuliert, dass AS01 weisse Blutkörperchen anregen und eine Kettenreaktion in Gang setzen könnte. Von Mäusestudien ist bekannt, dass derartige Prozesse krankhafte Ablagerungen in den Gehirnen von Alzheimerkranken (sogenanntes Beta-Amyloid) verringerten. Ob diese Mechanismen auch bei Menschen ablaufen, die mit einem Impfstoff samt Adjuvans immunisiert wurden, ist unklar.
Interessantes neues Forschungsfeld
Dennoch ist Konstantin Sparrer wie auch andere Forschende von diesen und ähnlichen Ergebnissen fasziniert. «Derzeit ist ein neues, sehr interessantes Forschungsgebiet am Entstehen», sagt der Virologe. Immer mehr Forscherinnen und Forscher untersuchen den Einfluss von Viren und Impfungen auf die Gesundheit des Gehirns. Dass zahlreiche Viren Nervenzellen und damit auch das Gehirn schädigen können, ist seit langem bekannt. Jetzt gibt es immer mehr Beobachtungen, dass möglicherweise auch der umgekehrte Mechanismus Erfolg hat, dass also ein Schutz vor diesen Viren hilft, Gehirnerkrankungen zu vermeiden.
Als bahnbrechend gilt eine Studie, die im April dieses Jahres in der Fachzeitschrift «Nature» erschienen ist. Darin ging es nicht um einen Impfverstärker, sondern um die Impfung selbst. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Pascal Geldsetzer von der Stanford-Universität in Kalifornien konnte ein «natürliches Experiment» auswerten.
Die US-Forschenden hatten Gesundheitsdaten aus Wales für ihre Berechnungen verwendet. Das Besondere war, dass im Zeitraum der Datenerhebung, nämlich am 1. September 2013, eine Impfung gegen Gürtelrose eingeführt wurde. Impfberechtigt waren Personen, die nach dem 1. September 1933 geboren waren, also alle unter 80 Jahren. Das Team wertete nun elektronische Patientendaten aus von Personen, denen die Gürtelrose-Impfung zur Verfügung stand. Diese Gruppe verglichen die Forscher mit der «natürlichen Kontrollgruppe», nämlich denjenigen, die nicht geimpft wurden, weil sie kurz vor dem Stichtag geboren wurden.
Beide Gruppen wurden danach ausgewertet, ob innerhalb von sieben Jahren eine Gürtelrose auftrat, und zudem, ob innerhalb der Zeit eine Demenzerkrankung erfasst wurde. Das Team bestätigte die Ergebnisse der Zulassungsstudie für den Impfstoff, dass die Impfung Gürtelrosenerkrankungen deutlich senken konnte. (Insgesamt bekamen gut 14’500 von den knapp 296’000 erfassten Personen einmalig oder mehrfach eine Gürtelrose.)
Risiko für Demenz um 20 Prozent geringer
Das Entscheidende waren nun die Demenzerkrankungen: Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der nächsten sieben Jahre eine Demenzdiagnose zu bekommen, war bei jenen Personen, die gegen Gürtelrose geimpft worden waren, um 20 Prozent geringer als bei solchen ohne diese Impfung. (Die 20 Prozent relative Reduktion entsprechen 3,5 Prozentpunkten.)
«Dieser Zusammenhang, der zuvor bereits in einigen Studien vermutet wurde, konnte bisher noch nie so deutlich gezeigt werden», sagt Sparrer. «Aussergewöhnlich ist an der Studie, dass sowohl die geimpfte als auch die ungeimpfte Gruppe mit grosser Wahrscheinlichkeit ganz ähnliche Lebensbedingungen hatten und auch vom Alter her extrem nahe beieinanderlagen», sagt Sparrer. «Deshalb ist diese Studie so aussagekräftig.»
Interessant sei zudem an den Daten aus Wales, dass Frauen mehr von der Gürtelrose-Impfung profitierten als Männer. Sparrer erklärt das damit, dass im Durchschnitt das Immunsystem von Frauen stärker reagiert – auf Infekte oder auch Impfungen.
Der Impfstoff gegen Gürtelrose mit dem Impfverstärker AS01 wird auch in der Schweiz eingesetzt.
Foto: Getty Images/Science Photo Library RF
Dass noch weiterer Forschungsbedarf besteht, zeigt ein genauer Blick auf die Impfstoffe. So profitierten in der Studie von Maxime Taquet und seinem Team aus Oxford die Probanden, die den Impfstoff Shingrix erhalten hatten – mit einem Impfverstärker, dem Adjuvans AS01. Dieser Impfstoff ist in der Schweiz seit 2022 erhältlich und für Personen ab 65 Jahren empfohlen und für Menschen mit Vorerkrankungen ab 18 Jahren.
In der Studie von Pascal Geldsetzer und seinen Mitarbeitenden hatten die Menschen in Wales, die vor Demenzen geschützt waren, jedoch überwiegend einen anderen Impfstoff erhalten, einen Gürtelrose-Lebendimpfstoff – ohne Impfverstärker.
Warum Impfstoffe auch das Gehirn schützen können, ist also noch unklar. «Generell spielen chronische Entzündungen aber eine grosse Rolle», sagt Sparrer. Es könne sein, dass chronische Entzündungen es für Viren einfacher machen, in den Körper einzudringen. Oder chronische Entzündung könnten auch generell das Immunsystem schwächen, sodass es bei Betroffenen zu einer Negativspirale kommt, bis letztlich die Nervenzellen sterben. Möglich wäre auch, dass die Viren eine chronische Entzündung auslösen. «Das sehen wir gerade bei Long-Covid-Erkrankungen. Ähnliche Spätfolgen sind aber auch von anderen Virusinfektionen bekannt», sagt Sparrer.
Auch wenn die genauen Mechanismen noch unbekannt sind, rät der Virologe: «Sich gegen Gürtelrose zu impfen, ist sicherlich ein Vorteil. Schon allein, weil es gegen Gürtelrose schützt, eine sehr schmerzhafte Erkrankung.»
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EinloggenAnke Fossgreen leitet seit 2022 das Wissenressort. Sie ist seit dem Jahr 2000 als Wissenschaftsredaktorin bei Tamedia tätig. Die Biologin hat während ihrer Doktorarbeit über die Alzheimerkrankheit geforscht. Sie interessiert sich für Themen rund um die Biologie, Gesundheit, Ernährung, Medizin und Bewegung.Mehr Infos
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