Ihr Lieblingskunstwerk? Da möchte sich Simone Ewald nicht festlegen. Die Referentin für Kunst im öffentlichen Raum, seit zwei Jahren in der Kulturbehörde tätig, hat immerhin gut 600 Kunstwerke zu betreuen. Aber als die Sprache auf das Windobjekt von Hein Sinken kommt, das bis vor ein paar Jahren nahe der Wilhelm-Kaisen-Brücke über den Tiefer-Arkaden stand, gesteht sie: „Ich vermisse es genauso wie viele andere Bremer auch. Wenn man an der Ampel stand, konnte man immer ein bisschen meditieren und schauen, ob die drei Propeller zusammenschlagen. Was sie nie taten.“ Nach der Sanierung der Arkaden sollen sie wieder zurückkehren.

Auch Anna Barts Wandbild in der Achimer Straße, das Teile der dahinter liegenden Wohnzimmer zeigt, also das Private nach außen kehrt, findet Ewald pfiffig. Es kam 2024 im Rahmen des Projekts „Street Art City Bremen“ dazu. Gerade Wandbilder, im Fachjargon Murals, bilden oft markante Wegmarken, etwa die expressiven Gesichter von Markus Genesius auf dem Häuschen am Osterdeich, an dem die Werder-Fans vorbeiziehen.

Die beliebteste Skulptur bei den Bremern? Da ist sich Ewald sicher: Es ist der unbekannte Mann mit dem Einkaufswagen in der Wallanlage am Herdentor. „Der fällt vielen als Erstes ein, die Bremer lieben ihn.“ Der anonyme „Bremer Banksy“ installierte die Skulptur 2020 über Nacht – ein Kunstwerk, das der Stadt in den Schoß gefallen ist, das sie aber nun gern mitbetreut. Denn bei Kunst im öffentlichen Raum ist Bremen europaweit federführend. „Bei uns ist sie über die ganze Stadt verteilt, wir decken ein riesiges Gebiet ab, nahezu in allen Stadtteilen“, betont Ewald. Anders als etwa in Hannover, wo sich die Open-Air-Kunst zu 90 Prozent auf die Innenstadt konzentriere.

Wie alles begann: „1973 wurde in Bremen die Kunst am Bau abgeschafft“, erzählt die Referentin. „Die galt vielen Künstlern oft als piefig, denn in den Jurys saßen oft keine Fachexperten, die für künstlerische Qualität bürgten. Zudem gab es den Vorwurf, dass aufgrund intransparenter Verfahren immer dieselben zum Zuge kamen.“ Das neue Programm sollte Kunst zu den Menschen bringen, auch zu den weniger Begüterten. „In Bremen wurde das erste kommunale Programm für Kunst im öffentlichen Raum aus der Taufe gehoben, welches auf Dauer angelegt war“, unterstreicht Ewald. „Das war deutschlandweit wegweisend. Ich betrachte es als kulturelles Erbe der Stadt, das erhalten und ausgebaut werden sollte. Meine Kollegin in Wien hat mir mal gesagt: ‚Bremen ist unser Mutterschiff.‘“

Welche Kunst dazugehört: Simone Ewald hat ein Auge auf Skulpturen, Plastiken und Installationen, künstlerisch gestaltete Brunnen und Denkmäler, auch viele bemalte Mauern und Wände, etwa in Unterführungen – alles, was nach 1973 in städtischen Besitz kam. Nicht zu vergessen 600 Kunstwerke auf Zeit, die nicht dauerhaft installiert wurden. Ewald vermittelt bei Anfragen von Künstlern Kontakte zu Ämtern und Geldgebern, begleitet die oft schwierigen Aufbauprozesse, achtet auf den Erhalt. Eigene Aufträge vergibt das Referat nicht. Dafür wäre auch kein Geld da.

Was der Etat hergibt: Die meisten Kunstwerke wurden von 1973 bis zur Jahrtausendwende angeschafft, dabei halfen Gelder aus der Stiftung Wohnliche Stadt, 250.000 Euro jährlich. Doch diese Quelle versiegte 2015. Derzeit hat das Referat für die Pflege der Freiluftkunst nach 1973 jährlich 30.000 Euro zur Verfügung, nicht viel, wie Ewald zugibt: „Im Zweifel müssen wir Prioritäten setzen. Dann ist die schnelle Entfernung eines aufgesprühten Hakenkreuzes oder die Stabilisierung eines Sockels wichtiger als eine einzelne Sprayer-Signatur.“ 3000 Euro jährlich stehen für Begleitmaßnahmen zur Verfügung wie den Stadtrundgangsflyer „Kunst kucken in der City“.

Wo die Zerstörung droht: „Kunst im öffentlichen Raum funktioniert anders als in einem Museum oder in einer Galerie: Draußen fehlen die schützenden Wände“, betont Simone Ewald. „Die Kunstwerke sind rund um die Uhr zugänglich und Umwelteinflüssen aller Art ausgesetzt. Das ist ihr Markenzeichen, aber es besteht immer die Gefahr, dass jemand ausflippt und dagegentritt.“

Eine Zeit lang kippten Unbekannte Waschpulver in den Neptunbrunnen. Auch der Hahn von Bernhard Hoetgers Bremer Stadtmusikanten am Sieben-Faulen-Brunnen in der Böttcherstraße war ein Problemkind: „In den 50er-Jahren brachen ihn erstmals betrunkene Seeleute ab und verschenkten ihn als Reiseandenken. Später waren es wohl Junggesellenabschiede – einmal kam der Hahn in einem Postpaket aus der ‚Hahn-Sorry-Straße‘ zurück.“ Inzwischen wird der Hahn nicht mehr ersetzt.

Auch Autofahrer können zu Kunstkillern werden. Die Schweinegruppe in der Sögestraße wurde schon mehrfach umgefahren. Beim 2024 aufgestellten Mahnmal für die Zwangsarbeiter von Michaela Melián nahm offenbar ein Lkw-Fahrer eine Abkürzung, mit dem Steinsockel der „Arbeitenden Hände“, dem Werftarbeiterdenkmal von Bernd Altenstein in Gröpelingen, kollidierte ebenfalls ein Auto. „Ein paar abgebrochene Backsteine lassen sich relativ leicht ersetzen“, bemerkt Simone Ewald. „Aber die Schweine sind schon eine bedrohte Tierart. Das Kleine wurde so oft repariert, dass es beim nächsten Schaden wahrscheinlich neu gegossen werden müsste.“ Die Gussformen existieren zwar nicht mehr, aber von dem Ferkel gibt es immerhin einen 3-D-Scan.

Was gestohlen wird: Metalldiebe machen vor Kunst nicht Halt: Die Referentin erinnert an die vergoldeten Bronze-Sitzkissen der Granitbänke von Marianne Klein auf dem Marktplatz in Woltmershausen, die 2022 wegen Bauarbeiten eingelagert und in derselben Nacht aus dem Bauhof gestohlen wurden. Und an Siegfried Neuenhausens siebenteilige Skulpturengruppe mit trauernden Menschen auf dem Friedhof Osterholz, von der Diebe im Februar 2023 fünf Figuren brutal abrissen. Die Verluste sind in beiden Fällen unersetzbar.

„Die Werke werden eingeschmolzen; der Materialwert beträgt lediglich ein paar 100 Euro. Das steht in keinem Verhältnis zu dem, was da verloren geht“, bedauert Ewald. „Künstler verlieren ästhetische Wegmarken, der Stadtteil verliert an Gesicht. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Kunst uns allen gehört, es ist die Sammlung der Stadt.“

Wie man die Kunst schützt: „Wir achten darauf, Kunstwerke so stabil wie möglich zu installieren, sodass sich nichts abreißen, abbrechen oder zusammentreten lässt“, sagt Ewald. Man arbeite, wo möglich, mit speziellen Schutzschichten, um illegale Graffiti leichter entfernen zu können. Die Zeiten, in denen es zum Ehrenkodex der Sprayer gehörte, nur hässliche Wände und keine Kunstwerke zu besprühen, seien vorbei. „Das hat in den vergangenen Jahren eine neue Dimension erreicht.“ Auch achte man darauf, Kunst an möglichst belebten Orten zu platzieren und gut zu beleuchten.

Als positiv empfindet es Ewald, dass viele Kunstwerke zu Treffpunkten geworden, dass sie identitätsstiftend sind. „Wir merken es daran, dass sich die Menschen bei uns oder bei den Ortsämtern melden, wenn etwas kaputtgeht, beschmiert, abgebaut oder repariert wird. Das ist ein wichtiger Gradmesser dafür, wie beliebt die Kunstwerke in den Stadtteilen sind.“

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