Zur Person

Thomas Albert (72)

wurde in Bremen geboren und begann mit sechs Jahren, Geige zu spielen. Er spezialisierte sich im Studium auf Barockgeige und gründete mehrere Orchester. Er war Professor für Alte Musik an der Hochschule für Künste Bremen und gründete 1989 das Musikfest, dessen Intendant er ist.

Herr Albert, am 16. August startet die 36. Ausgabe des Musikfests Bremen, das Sie erfunden haben. Wie schaffen Sie es, jedes Jahr mit neuem Schwung an die Veranstaltung heranzugehen?

Thomas Albert: Ich habe mich, was das angeht, seit 1989 nicht wesentlich verändert. Das ist eine Herzensverbindung zum Thema Musik, damit auch zu den vielen Künstlern und zu Bremen als Stadt, die ganz viel Musik repräsentiert und noch mehr verkraftet. Das begeistert mich einfach, und ich hoffe natürlich immer, dass der Funke überspringt.

Trotzdem hätten Sie es nicht mehr nötig, sich jedes Jahr diesen Stress anzutun.

Das Musikfest hat Prozesse ausgelöst. Das ist eine Schubkraft wie bei einer Projektentwicklung. Das heißt: Man geht mit einer Idee rein und kommt mit einem Projekt raus, und das gibt mir immer auch ganz persönlich so viel Kraft. So entstehen bei mir immer wieder Perspektiven für frische Themen.

Für welche beispielsweise?

In den 1990er-Jahren beispielsweise für die Renovierung der Glocke. In Bremen haben wir andere Flächen entwickelt, wie das BLG-Forum, und dadurch die Überseestadt belebt oder den Impuls für das Tabakquartier gegeben, wenn wir kurz bei den Bauprojekten bleiben wollen. Und natürlich war die Ausweitung des Musikfests auf den Nordwesten eine ganz große Perspektive.

Die Konzerte außerhalb Bremens nehmen inzwischen einen ziemlich großen Raum im Programm ein. Warum?

Die Hälfte der Konzerte findet in der Region statt, die andere in Bremen. Es hat sich eine Wechselwirkung er­geben, und daran sieht man die Dy­namik dieser wunderbaren Kultursparte Musik. Es entsteht ein Funkenflug, oder man könnte auch sagen: Wir haben andere angesteckt. So ist es beispielsweise zur Ansiedlung der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen 1992/93 gekommen. Das wäre ohne das Musikfest nicht möglich gewesen. Jeder neue Partner für das Festival löst aufs Neue etwas aus. Wir sind jetzt unter den ersten Mitgliedern der Netzwerkinitiative „Powerhouse Nord“, weil man gesehen hat, dass unsere Netzwerke Bremen – Nordwesten und Nordwesten – Bremen einen hohen Stellenwert haben, weil sie mit Vertrauen unterfüttert sind.

Warum ist das so wichtig?

Das ist der entscheidende Punkt über diese vielen Jahre, weil Freundschaften entstanden sind in viele Richtungen – Wirtschaft, Landkreise, Politik allgemein. Und dann hat die Bundespolitik irgendwann verstanden, dass es diesen Austausch zwischen Stadt und Land geben muss, weil das ein gemeinsamer Kraftraum ist. Ohne diese finanzielle Unterstützung, die daraus erfolgt ist, wäre zum Beispiel das Arp-Schnitger-Festival gar nicht möglich. Daraus entwickelt sich Mut, den wir dringend brauchen.

Strahlt dieser Mut umgekehrt wieder auf Sie persönlich ab?

Das ist Lebensfreude pur für mich, dieses positive Denken, und auch der Gedankenaustausch mit den Künstlerinnen und Künstlern, zu denen wir einen direkten Kontakt pflegen. Das ist ein kollegiales, gemeinsames, großes Ganzes, auch weil ich den Musikern auf Augenhöhe begegnen kann. Ich bin gebeten worden, weiterzumachen, und jetzt leite ich das Festival noch bis einschließlich 2027, so ist die Verabredung.

Ist die Metropolregion für Sie die Grenze, oder könnte das Musikfest noch größer, noch weiträumiger werden? Oder wäre es dann nicht mehr das Musikfest Bremen?

Wir haben zwei- oder dreimal Konzerte in Hamburg veranstaltet, aber das hat klare inhaltliche Bezüge gehabt; da war Arp Schnitger die Klammer. Auch in Groningen war das der Fall und von dort heißt es: gerne wieder.

Gehen wir mal von der Geografie weg und schauen uns die Struktur des Musikfests an. Da gibt es zwei große Events mit der Großen Nachtmusik zum Auftakt und dem Schlussakkord, dem Open-Air-Konzert auf dem Marktplatz. Dazwischen finden sich ganz konventionelle Konzerte. Haben Sie mal überlegt, das aufzubrechen, andere Formate anzubieten und das Festival so ein bisschen zu überarbeiten?

Darüber denken wir jedes Jahr nach. Wir hatten das mit Spielstätten vor oder mit Themen. Aber wenn sich das rechnen muss, dann hat man schnell ein Riesenproblem. Ich könnte da jetzt ins Detail gehen, aber …

… machen Sie doch mal.

Man könnte beispielsweise überlegen, die Wallanlagen zu bespielen, darauf denken wir seit 20 Jahren herum, und eigentlich jedes Jahr aufs Neue. Und jedes Mal sprengt es kostenmäßig den Rahmen; beispielsweise bei einem Projekt mit dem katalanischen Theaterkollektiv La Fura dels Baus auf der Weser, das wir gerne gemacht hätten. Für solche Einzelprojekte könnten wir drei oder vier andere wunderschöne Konzerte veranstalten. Ich finde grundsätzlich, das Publikum sollte nicht nur über Eventisierung gewonnen werden, sondern darüber, dass man sich bei uns auf Inhalte konzentrieren, sich hineinhören, sich Zeit nehmen kann für etwas. Ich denke, das Angebot dieser drei Wochen ist ausgewogen. Das heißt nicht, dass wir nicht zwei oder drei Projekte in der Schublade hätten, die dort gären. Aber um die umzusetzen, braucht es eben Partner, die das finanzieren wollen.

Apropos Finanzen. Die Stadt bezuschusst das Musikfest mit 550.000 Euro, diese Summe ist seit Jahren nicht erhöht worden. Wie enttäuscht sind Sie darüber?

Das kommentiere ich nicht, das fällt in die Kategorie Traum und Wirklichkeit. Gleichwohl sage ich weiterhin voller Überzeugung: Kultur zu finanzieren ist wie eine Aktie, wie ein Fonds, eine Investition in den Standort und vor allem in die Menschen, Stichwort kulturelle Bildung oder Umwegrentabilität. Immerhin gibt es jetzt eine Entscheidung, was die Glocke angeht.

Diese Entwicklung haben Sie von Beginn an sehr engagiert begleitet …

Ich bin Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt sehr dankbar dafür, dass sie diesen Prozess von Beginn an konstruktiv begleitet hat. Und auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte hat ein klares Bekenntnis zum Um- und Ausbau abgegeben, Überschrift: Chance erkannt und zugegriffen! Die Glocke-Neukonzeption sehe ich als Schlüsselmoment, um die historische Innenstadt Bremens in ein helleres Licht zu rücken – um endlich eine Kulturmeile vom Theater bis zum Rathaus zu verwirklichen. Wir haben den schönsten Marktplatz Nordeuropas mit einem Roland und einem stattlichen Dom. Im Moment machen wir viel zu wenig aus diesem historischen Zentrum, das in anderen Städten ein Hauptanziehungspunkt für Touristen ist.

Abgesehen vom großen Ganzen: Wie kann die Glocke als Konzerthaus davon profitieren?

Diese Sogwirkung, die sich durch die Innenstadtentwicklung ergibt, wird auch für höhere Besucherzahlen in der Glocke sorgen. Vor allem, wenn der dritte Saal verwirklicht ist.

Sind Sie sicher, dass es einen dritten Saal geben wird?

Ja.

Sind die dafür benötigten 20 Millionen Euro von Sponsoren schon zusammengekommen?

Nein. Aber wir sind auf einem verdammt guten Weg dorthin. Mehr darf ich dazu im Moment nicht sagen.

Wie wichtig wäre ein dritter Saal für das Musikfest?

Wir haben damals für das Musikfest das BLG-Forum in der Überseestadt etabliert für jazz-orientierte Konzerte. Den Platz dafür hätten wir dann in der Glocke. Aber auch übers Musikfest hinaus ist das notwendig. Derzeit hat Bremen keinen Saal zwischen der Oberen Rathaushalle, in dem 450 Besucher Platz haben, dem Sendesaal mit 250 Plätzen und dem großen Saal der Glocke mit 1400 Plätzen. Ich rede dabei von einem Saal, nicht einfach von einem Innenraum. Der dritte Saal würde 600 bis 800 Menschen Platz bieten, das ist eine Größe, die auch ökonomisch gut zu vermarkten wäre. Das ist eine sehr große Perspektive für den Veranstaltermarkt, und die Machbarkeitsstudie hat genau das ergeben. Abgesehen davon bin ich überzeugt, dass diese Verschlossenheit, die die Glocke derzeit ausstrahlt, dadurch verschwindet. Das wird genauso funktionieren wie die Ideen Musikfest oder Kammerphilharmonie funktioniert haben.

Sie sind gut vernetzt in der deutschen Festivalszene. Gibt es derzeit, angesichts von Kürzungen in den Kulturetats landauf, landab oder der Diskussion um immer höhere Künstlergagen, Stirnrunzeln, ob die Festivallandschaft in dieser Vielfalt erhalten werden kann?

Ich würde das anders bewerten. Es ist doch ein Glücksfall, dass wir so viele positiv zu vermeldende künstlerische Ereignisse überall haben. Wenn es an dem einen oder anderen Ort mal ein Fragezeichen hinsichtlich der Finanzierung gibt, muss man vielleicht auch mal fragen, ob bestimmte Dinge auch ihre Zeit gehabt und sich jetzt überholt haben. Diese Dinge haben dann ihre Funktion erfüllt und etwas Tolles ausgelöst.

Das klingt ja sehr abgeklärt.

Wir kämpfen alle ums Geld. Wir sind das Festival par excellence für die unabhängigen Orchester weltweit, und bei jedem einzelnen Gastspiel geht es darum, ob wir es hinbekommen oder nicht. Hat man einen Platz am Markt oder nicht? Wenn man das außer Acht lässt, packt man frustriert zusammen. Das ist hier zum Glück noch nie passiert; im Gegenteil, ich nutze meine Kontakte manchmal, um Kollegen von Ensembles ein bisschen zu helfen, damit sie vielleicht doch noch den Zuschuss für das eine oder andere Projekt bekommen. Da halten meine Kollegen und ich zusammen wie Pech und Schwefel.

Die Menschen schauen angesichts höherer Preise in allen Bereichen stärker darauf, was sie für Kultur ausgeben. Welche Rolle spielt diese Entwicklung für Sie?

Ich sehe da eine Umverteilung. Das Geld ist da, aber die Menschen geben es anders aus, also für drei oder vier große Events pro Jahr anstatt für mehrere kleine. Für den Gegenwert eines Helene-Fischer-Konzerts könnte man zwei oder drei Konzerte bei uns besuchen, wir achten stark darauf, dass bei den Tickets bei 100 Euro das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Selbst Menschen, die nicht viel Geld haben, können beim Musikfest für kleines Geld ein Ticket kaufen. Kinder und Jugendliche können für sechs Euro ein Konzert an­hören. Wir schaffen es, mit städtischer und vor allem privater Unterstützung dieses Preisniveau hinzubekommen, weil von Anfang an klar mit der Politik abgestimmt war: Der Zugang muss für alle möglich sein. Und er ist möglich. Aber es muss auch klar sein, dass Kultur eine bestimmte Wertigkeit hat.

Das Gespräch führte Iris Hetscher.

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