Alle Lehren des 20. Jahrhunderts fliegen gerade binnen kürzester Zeit in den Dreck. 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs bleibt kein Stein der globalen Nachkriegsarchitektur mehr auf dem anderen. Zeitenwende? Der Begriff klingt inzwischen so klein. Nun wollen Donald Trump und Wladimir Putin über das Schicksal der Ukraine verhandeln, ohne deren Interessen zu berücksichtigen. So ähnlich haben einst Adolf Hitler und Josef Stalin Osteuropa unter sich aufgeteilt, allerdings in einem geheimen Protokoll. Heute kündigen die Weltherrschaftsfantasten ihr Vorhaben stolz an.

Der eine will Amerika wieder groß machen, der andere wünscht sich das russische Zarenreich zurück. Dass sie Brüder im Geiste sind, ließ sich längst erahnen. Jetzt scheinen sie wirklich gemeinsame Sache zu machen, um die Weltordnung nach ihrem Gusto umzubauen. „Die Ukrainer werden ihr Land nicht dem Besatzer schenken“, erklärt Präsident Wolodymyr Selenskyj – vergeblich, sie werden nicht gefragt. Aber es geht nicht nur um sein Land. In der Trump-Ära – das Wort gefällt dem US-Präsidenten sicher – wird alles niedergerissen, was über Jahrzehnte zum Wohle aller Staaten gewachsen ist.

An die Stelle von Verlässlichkeit tritt Willkür. Die US-Strafzölle sind nur ein kleiner Vorgeschmack. Heute so, morgen anders. Glaube doch niemand, das Abkommen mit der EU werde Bestand haben. Wesentliche Punkte wurden gar nicht erörtert, als Ursula von der Leyen ins schottische Golfresort Trumps zitiert und ihr ein Deal diktiert wurde. Noch schlimmer ist es für die Kleinen. „Allein gegen das Raubtier Trump“, hieß es gerade bei der „Neuen Zürcher Zeitung“ aus der Schweiz. Die liberale Weltordnung sei unwiderruflich zu Ende gegangen. „In der Ära des Dschungels herrscht das Recht des Stärkeren.“

Das Verhalten dieses Stärkeren mag instinktgeleitet, impulsiv, narzisstisch erscheinen und folgt doch immer einem Ziel. Man sollte Trump nicht mit einem Raubtier und auch nicht mit Adolf Hitler vergleichen. Aber zur Wahrheit gehört, dass auch jener lange belächelt wurde, bevor er das Amt des Reichskanzlers übernahm, um in deutschem Namen Krieg und Vernichtung über Europa und die Welt zu bringen. Auch Trump wurde immer wieder nicht für voll genommen. Und zur Wahrheit gehört auch, dass der Pakt, den Hitler und Stalin schließen ließen, eben keinen Bestand hatte, sondern die Deutschen ihren Zivilisationsbruch dann erst mit aller Wucht verfolgten.

Zunächst soll der Trump-Putin-Pakt ausgerechnet in Alaska verhandelt werden. Vor bald 160 Jahren verkaufte Russland seine Kolonie für knapp fünf Dollar pro Quadratkilometer an die USA, ein echtes Schnäppchen. Diesmal wird Russland auf einen besseren Deal pochen. Mag sein, dass der fürchterliche Ukraine-Krieg nach inzwischen zweieinhalb Jahren endlich endet, wenn sich die USA und Russland für den Moment einig sind. Aber dauerhaften Frieden und Sicherheit wird es nicht geben, weder für die Ukraine noch für Europa.

Die Lehren des 20. Jahrhunderts scheinen vergessen zu sein. Nicht nur zertrümmert der amtierende amerikanische Präsident alle nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten internationalen Bündnisse – Verteidigung, Handel, Klima –, nicht nur schleift er zu Hause die demokratischen Regeln und Institutionen, sondern immer mehr Länder folgen seinem Beispiel. Nationalistisches, völkisches Empfinden – von Denken spricht man da lieber nicht – greift um sich, auch in Deutschland. Jetzt, wo die USA und Russland alles einreißen, könnte die Stunde der anderen, die Stunde Europas und der Vernunft sein. Denn die liberale Weltordnung überlebt nur, wenn sie verteidigt wird.

Doch danach sieht es nicht aus. Deutschland, das nach wie vor ein ökonomischer Riese ist, käme, gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien, eine zentrale Rolle zu. Doch eine Regierung, die sich schon bei der Wahl einer Verfassungsrichterin so brutal verhakt, wird kaum die liberale Weltordnung retten. Das Ende der verlässlichen Regeln kostet absehbar Wohlstand auf beiden Seiten des Atlantiks, und das führt – eine weitere Lehre aus der Geschichte – zu noch mehr politischer Instabilität. Der kommende Freitag markiert einen historischen Moment der Ohnmacht Europas.