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Conseil d’Etat (Staatsrat): Netzsperren sind möglich. Bei außergewöhnlichen Umständen. Unter bestimmten Bedingungen. Was das TikTok-Urteil bedeutet.

Kürzlich entschied der französische Conseil d’Etat (Staatsrat):

„Bei außergewöhnlichen Umständen kann die Regierung den Zugang zu einem sozialen Netzwerk vorübergehend unterbrechen, allerdings unter bestimmten Bedingungen.“

Das Urteil ruft gespaltene Reaktionen hervor.

Unruhen in Neukaledonien

Hintergrund dieses Urteils war eine Entscheidung des damaligen Premierministers Gabriel Attal im Mai 2024. Während eines Aufstandes in der französischen Inselgruppe Neukaledonien, die im Pazifik liegt, hatten vier Menschen ihr Leben verloren.

Am 15. Mai 2024 verhängte Attal den Ausnahmezustand und schaltete zum ersten Mal in der Geschichte Frankreichs den Zugang zum sozialen Netzwerk TikTok ab. Zwei Wochen später hob die Regierung diese wieder auf.

Zwei Verbände und drei Einzelpersonen haben diese Entscheidung vor dem Staatsrat angefochten.

Illegal

Das höchste Verwaltungsgericht Frankreichs erklärte nun in seiner Entscheidung, dass die Unruhen in Neukaledonien außergewöhnliche Umstände darstellten. Im weiteren führen sie an:

Da der Premierminister festgestellt hat, dass die Nutzung des sozialen Netzwerks TikTok aufgrund der Algorithmen, die dieses Netzwerk verwendet, eine Rolle bei der schnellen Ausbreitung dieser Unruhen spielte, war er in Ermangelung anderer sofort verfügbarer technischer Mittel berechtigt, eine Maßnahme zur vorübergehenden Unterbrechung des Zugangs zu diesem Netzwerk zu erlassen.

Eine solche Maßnahme konnte jedoch nur unter der Bedingung rechtmäßig ergriffen werden, dass ihre Dauer von Anfang an so festgelegt wurde, dass sie für die Suche und Umsetzung – gegebenenfalls in Verbindung mit dem Anbieter des Dienstes – von anderen alternativen Maßnahmen als der reinen Unterbrechung, wie insbesondere die Sperrung bestimmter Funktionen, erforderlich war.

Der Premierminister beschloss jedoch eine vollständige Unterbrechung des Dienstes auf unbestimmte Zeit, die allein mit dem Fortbestehen der Störungen der öffentlichen Ordnung zusammenhing, ohne die Aufrechterhaltung davon abhängig zu machen, dass keine alternativen Maßnahmen umgesetzt werden konnten. Daher urteilt der Staatsrat, dass die Sperrung von TikTok im Mai 2024 rechtswidrig war, da sie einen unverhältnismäßigen Eingriff in die von den Klägern geltend gemachten Rechte und Freiheiten darstellte.

Conseil d’Etat

Voraussetzung für Abschaltung

Während die Kläger zwar über das Urteil, die Abschaltung sei illegal gewesen, jubeln konnten, bereiten ihnen weitere Ausführungen des Staatsrat keine Freude.

Denn das Gericht präzisierte drei Bedingungen, unter denen der Premierminister durchaus die Sperrung eines sozialen Netzwerk vorübergehend verhängen kann:

Sie muss unerlässlich sein, um auf Ereignisse von besonderer Schwere zu reagieren, es darf keine technischen Mittel geben, die es ermöglichen, sofort alternative Maßnahmen zu ergreifen, die weniger in die Rechte und Freiheiten eingreifen, und die Unterbrechung muss für einen begrenzten Zeitraum erfolgen, der für die Suche und Umsetzung dieser alternativen Maßnahmen notwendig ist.

Pyrrhussieg

Entsprechend verhalten waren die Reaktionen der Kläger. Der Rechtsanwalt Vincent Brengarth, der drei klagende Privatpersonen vertritt, erklärte:

„Das ist ein Pyrrhussieg, denn obwohl er für die Freiheiten in schlechten Zeiten wertvoll ist, bestätigt er vor allem das Prinzip, dass ein soziales Netzwerk unter außergewöhnlichen Umständen gesperrt werden kann.“

Der Rechtsanwalt Patrice Spinosi, der die Klage der Liga für Menschenrechte bei der Klage berät, warnte:

„Die Argumentation des Staatsrats ist für die Zukunft bedrohlich. Eine populistische Regierung könnte sich von dieser Entscheidung inspirieren lassen und sie dazu missbrauchen, Maßnahmen zu ergreifen, die die Freiheiten aller Bürger einschränken, indem sie sich lediglich auf ‚außergewöhnliche Umstände‘ beruft.“

VPN

So diskussionswürdig das Urteil ist, so wichtig erscheint auch ein Kommentar der Webseite Clubic, die über technologische Nachrichten berichtet. Mélina Loupia gibt zu bedenken:

Anstatt die Nutzung von TikTok zu verringern, hatte die Blockade zu einem explosionsartigen Anstieg der Anmeldungen bei VPN-Diensten zur Umgehung der Zensur geführt.

Den veröffentlichten Zahlen zufolge verzeichnete Proton VPN im Vergleich zu Anfang Mai 2024 einen Anstieg der neukaledonischen Nutzer um 2.500 Prozent, während NordVPN einen Anstieg um 500 Prozent verzeichnete.