Es war eine deutliche Warnung, die der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, im Frühjahr unter anderem im BR24-Interview ausgesprochen hat: 2029 könnte Russland zu einem „großmaßstäblichen Krieg“ – also zu einem Angriff auf Nato-Territorium – in der Lage sein, sagte Breuer damals. Zwar hob er hervor, dass er „bewusst“ im Konjunktiv spreche, der ranghöchste deutsche Soldat ist aber längst nicht der einzige in der Nato, von dem solche Sätze zu hören sind.

Seit Breuers vielbeachteten Medienauftritten hat sich laut Verteidigungsministerium nichts an der Lageeinschätzung geändert. Das erklärt ein Sprecher auf Anfrage. Zu konkreten Planungen will das Ministerium aus Gründen der militärischen Sicherheit nichts sagen, teilt aber mit, die Nato betrachte „verschiedene Szenarien mit unterschiedlicher räumlicher und zeitlicher Dimension“.

Worauf basieren die Annahmen?

Basis für den genannten möglichen Angriffs-Zeitraum ab 2029 sind laut Verteidigungsministerium Aufklärungsinformationen, nachrichtendienstliche und offene Quellen sowie Depotbestände, Produktionszahlen und Umstrukturierungen im russischen Militär. Der Bundesnachrichtendienst (BND) lässt sich zu seinen Erkenntnissen nicht in die Karten schauen. Zu solchen Themen nehme man grundsätzlich nicht öffentlich Stellung, lässt eine Sprecherin wissen.

Der Militäranalyst Markus Reisner unterstreicht im BR-Interview, dass auch die Rhetorik der russischen Führung entsprechende Schlüsse zulässt. Reisner ist Oberst des Österreichischen Bundesheeres und Institutsleiter an der Theresianischen Militärakademie, wo der österreichische Offiziersnachwuchs ausgebildet wird. Der Oberst analysiert den Ukraine-Krieg und die Entwicklungen in der russischen Armee laufend. Auch er warnt, Putin gehe es längst nicht nur um die Ukraine. Ihm und seine Führungsriege schwebe vor, den russischen Machtbereich auszudehnen – etwa aufs Baltikum.

Wann wird es gefährlich?

Während Jahreszahlen wie 2029 stets im Zusammenhang mit einer konkreten Gefährdung im Raum stehen, warnen Militärs und Fachleute auch vor der Gefahr eines früheren Angriffs. Etwa sagte Generalleutnant Jürgen-Joachim von Sandrart bei einer Podiumsdiskussion in Hamburg im März, das „Window of opportunity“ (zu deutsch: Zeitfenster für eine Gelegenheit) schließe sich für Russland „auf der Zeitachse“. Die Zeit bis 2029 sei die bedrohlichere.

Hintergrund der Aussage sind die Rüstungsanstrengungen der europäischen Nato-Staaten, die mehr Geld in ihre Verteidigungsfähigkeit stecken: „Wenn der Westen sein Momentum entwickelt – wenn sich all das, worüber entschieden wurde, materialisiert – dann weiß Russland, dass es unterlegen ist“, sagte von Sandrart. Inzwischen ist der General im Ruhestand. Zuletzt trug er als Nato-Kommandeur an der Nord-Ostflanke des Bündnisses Verantwortung.

Was passiert jetzt schon?

Markus Reisner appelliert allerdings, nicht nur in den Maßstäben eines großangelegten Landkrieges zu denken, sondern vor allem hybride Bedrohungen, Sabotage und Desinformationskampagnen im Blick zu behalten. Er verweist etwa auf Sabotageakte an mehreren Schiffen der Deutschen Marine und auf Kampagnen im Netz.

Reisner sieht Parallelen zum Vorgehen der einstigen Sowjetunion: „Man versucht die Bevölkerung durch kognitive Kriegsführung davon zu überzeugen, dass Russland gar nicht der Feind ist, damit die Staaten überhaupt nicht verteidigungsfähig werden“. Aus Perspektive der russischen Führung sei das zielführender als ein Angriff mit massivem militärischem Potenzial auf Zentraleuropa: „Da würden ja alle sofort erkennen, dass diese Absicht tatsächlich vorhanden ist und man würde sich vielleicht Schulter an Schulter dagegen wehren“.

Vielen sei diese Gefahr gar nicht bewusst, so Reisner. Sie machten sich zu „Handlangern“ dieser Methoden. Deutlich werde das etwa daran, dass es in Europa keine Einigkeit darüber gebe, dass Abschreckung nötig sei, damit ein Aggressor gar nicht erst auf die Idee komme anzugreifen.

Die Sendung Politik und Hintergrund setzt am 10.8. einen Schwerpunkt zu diesem Thema. Zu Wort kommt neben Oberst Markus Reisner auch Generalmajor Andreas Henne im Exklusivinterview. Henne führt die neue „Heimatschutzdivision“ der Bundeswehr. Politik und Hintergrund hören Sie um 08:05 Uhr im Radioprogramm von BR24 oder jederzeit bequem als Podcast in der ARD Audiothek. Dort finden Sie auch eine aktuelle BR24 Reportage zum deutschen militärischen Engagement in Litauen.