Die EU-Erweiterung und die Wirtschaft stehen von Montag bis Mittwoch im Zentrum einer Reise von Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) nach Montenegro und Serbien. Nachdem Stocker bereits im Mai am Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in Tirana teilgenommen hatte, ist dies die erste bilaterale Auslandsreise des Kanzlers in die Westbalkan-Region. In Montenegro und Serbien sollen Abkommen über eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet werden. Und: Stocker trifft Fußballer Marco Arnautovic, der kürzlich zu „Roter Stern Belgrad“ gewechselt ist. Davor hatte es wochenlange Spekulationen um einen Sensations-Wechsel zu Rapd gegeben.
In Montenegro wird Stocker am Dienstag Staatspräsident Jakov Milatović sowie Premier Milojko Spajić treffen. In Belgrad stehen am Mittwoch unter anderem Treffen mit Präsident Aleksandar Vučić und dem serbischen Premier Đuro Macut auf dem Programm. Außerdem sind in Belgrad – nicht zuletzt im Hinblick auf die EXPO 2027 – Gespräche mit Wirtschaftsvertretern geplant. Der Bundeskanzler will sich dazu auch mit der serbischen Vizepremierministerin und Wirtschaftsministerin Adrijana Mesarović austauschen.
Handel mit Serbien auf Rekordniveau
Österreich ist der drittgrößte Investor in Serbien. Außerdem ist Serbien der größte Handelspartner Österreichs am Westbalkan. Das Handelsvolumen erreichte nach Angaben des Bundeskanzleramts 2024 mit 1,96 Milliarden Euro ein Rekordniveau, die Exporte stiegen 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 3,1 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro. In Montenegro wiederum ist Österreich gemäß der montenegrinischen Zentralbank der achtgrößte Investor im Land.
Montenegro Frontrunner bei EU-Erweiterung
Montenegro ist das am weitesten fortgeschrittene Kandidatenland, mit dem die Europäische Union derzeit über einen Beitritt verhandelt. Montenegro will die Verhandlungen bereits im kommenden Jahr abschließen. EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos hält einen EU-Beitritt des Balkanstaates mit rund 600.000 Einwohnern vor 2030 für möglich. Anders als Serbien bekennt sich Montenegro ganz klar zur EU-Außenpolitik, so trägt das Land auch die EU-Sanktionen gegen Russland mit.
Serbien setze die EU-Sanktionen gegen Russland nicht um, weil dies „die serbische Wirtschaft in einem gewaltigen Ausmaß“ treffen würde und man als Nicht-EU-Mitglied auch nicht über das Sicherheitsnetz der Unionsmitgliedschaft verfüge, sagte der serbische Europaminister Nemanja Starović zuletzt. Präsident Vučić pflegt außerdem betont freundschaftliche Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Serbien wäre aber bereit, die EU-Sanktionen zur Gänze mitzutragen, „wenn die EU-Mitgliedschaft in Sichtweite ist“, also bereits wenige Monate vor dem Beitrittsdatum, so Starović.
Serbien muss Beziehungen mit Kosovo normalisieren
Bis zu einem EU-Beitritt muss Serbien, das seit 2012 über den offiziellen Kandidatenstatus verfügt und seit 2014 mit der EU verhandelt, seine Beziehungen mit dem Kosovo normalisieren. Die ehemalige südserbische Provinz hatte 2008 nach dem Kosovo-Krieg Belgrads gegen den mehrheitlich von Albanern bewohnten Kosovo und Jahren unter UNO-Verwaltung ihre Unabhängigkeit verkündet. Von Belgrad wurde das bisher nicht anerkannt. Allerdings erkennen auch fünf EU-Staaten bis heute nicht die Unabhängigkeit des Kosovo an.
Serbien sei im Konflikt mit seiner früheren Provinz Kosovo zu „sehr harten Kompromissen“ bereit. Belgrad wolle seine Beziehungen zu Prishtina „zur Gänze normalisieren“, betonte der serbische Europaminister Nemanja Starović zuletzt im APA-Interview.
Österreich unterstütze Serbien auf dem Weg in die EU seit Anbeginn, heißt es im Bundeskanzleramt. Nun gelte es, notwendige Reformen voranzutreiben, um im Beitrittsprozess konkrete nächste Schritte setzen zu können. Dies umfasse auch Fortschritte im Belgrad-Pristina-Dialog, dieser sei alternativlos für beide Staaten und ganz entscheidend für die Stabilität der gesamten Region. Klar sei auch, dass es auf dem Weg in die EU keine Abstriche geben dürfe, beispielsweise in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Versammlungsfreiheit oder dem Schutz der Menschen- und Minderheitenrechte.
EU fürchtet russischen Einfluss am Westbalkan
Österreich und andere EU-Staaten wollen nicht zuletzt im Lichte des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die Westbalkan-Region politisch nicht aus den Augen verlieren und an die EU binden. Sie befürchten ansonsten eine Destabilisierung der Region und wollen den Westbalkan nicht anderen Akteuren wie Russland, China und arabischen Staaten überlassen. Zu diesem Zweck hat Österreich die Plattform „Friends of the Western Balkans“ initiiert – eine informelle Gruppe mit Griechenland, Kroatien, Slowenien, Slowakei und Tschechien, die sich für rasche und konkrete Fortschritte auf dem Weg zum Vollbeitritt der sechs Staaten des Westbalkans einsetzt.
In der EU zählt Österreich zu den stärksten Unterstützern einer EU-Perspektive für die Staaten des Westbalkans. Die Region gehöre nicht nur geografisch, sondern auch historisch, kulturell und vor allem menschlich zu Österreich, heißt es im Bundeskanzleramt. Über eine halbe Million Menschen, die in Österreich leben, haben demnach ihre Wurzeln in der Region.
Stocker trifft auch Arnautovic
Einen der bekanntesten Österreicher mit serbischen Wurzeln will der Kanzler in Belgrad treffen. In einem Gespräch zwischen Stocker und ÖFB-Rekordteamspieler Marko Arnautovic, der im Juli zum serbischen Spitzenclub Roter Stern Belgrad wechselte, solle es um die verbindende Kraft des Sports gehen. „Marko Arnautović steht für die starken menschlichen Bande zwischen Österreich und Serbien. Unser Land hat Marko Arnautović viel zu verdanken“, betonte Stocker im Vorfeld.
Die serbische Diaspora in Österreich beläuft sich auf rund 300.000 Menschen, darunter sind laut Bundeskanzleramt etwa 122.000 serbische Staatsbürger. Wien gilt demnach aufgrund der großen serbischen Community gar als drittgrößte „serbische“ Stadt weltweit.