Weil die Einwanderungszahlen nach dem Brexit explodierten, verschärft die britische Regierung die Visaregeln. Das trifft auch die ausländischen Studenten und untergräbt das Geschäftsmodell vieler Hochschulen.

Britische Universitäten wie das University College of London haben in den vergangenen Jahren Tausende von ausländischen Studenten rekrutiert. Britische Universitäten wie das University College of London haben in den vergangenen Jahren Tausende von ausländischen Studenten rekrutiert.

Toby Melville / Reuters

An schönen Sommertagen wirkt die Universität Greenwich wie ein Palast aus einem Bilderbuch. Majestätisch steht das barocke Gebäude mit seinen weissen Säulen und Türmen am südlichen Themseufer, auf den Rasenflächen lesen Studenten Bücher oder schwatzen in kleinen Gruppen. Das Anwesen wurde im 17. Jahrhundert ursprünglich unter dem Namen Old Royal Naval College als Heim für pensionierte Marinesoldaten gebaut. Die Painted Hall, als «Sixtinische Kapelle Grossbritanniens» bekannt, beherbergt bis heute Deckengemälde, die die Geschichte des Vereinigten Königreichs als Seefahrernation feiern.

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Nur Ausländer in der Klasse

Im Kontrast zum Erscheinungsbild stehen die eher mittelprächtigen Positionen, welche die Universität Greenwich in den britischen Hochschul-Ranglisten belegt. Und die beiden Wirtschaftsstudenten Shaun und Roshan erzählen, auch das Studentenleben sei weniger glanzvoll, als sie es sich vorgestellt hätten. «Versteh mich nicht falsch, London ist eine tolle Stadt», sagt der 23-jährige Shaun, der aus einer wohlhabenden Familie im südindischen Kerala stammt. «Aber alles ist sehr teuer, und unsere Lebensqualität ist nicht besonders gut.»

Die beiden Masterstudenten, die für diesen Artikel nur ihre Vornamen nennen wollen, sitzen am Rand des Campus in einem Café. Shaun beklagt sich über die schlechte Gesundheitsversorgung des Nationalen Gesundheitsdiensts (NHS), für dessen Leistungen er als Einwanderer im Voraus eine hohe Pauschalzahlung leisten musste. Oder über einen betrügerischen Vermieter, der ihm zuerst ein Zimmer in einer Bruchbude untergejubelt und ihn danach um die Kaution gebracht habe.

Restlos glücklich ist auch der 27-jährige Nepalese Roshan nicht. Er arbeitete in seiner Heimat Nepal in guter Stellung für eine Beratungsfirma im Erziehungswesen. «Diese Erfahrung ist hier völlig wertlos», sagt er. «Es ist enorm schwierig, im Rahmen unseres Studiums ein Praktikum zu finden.»

Die Hoffnung, mit britischen Studenten in Kontakt zu kommen, hat sich nicht erfüllt. «Es gibt ein paar Amerikaner und Südafrikaner, die in einer Parallelklasse studieren», sagt Shaun. «Aber alle unsere Klassenkameraden kommen aus Südasien oder Nigeria.» Anstatt die Durchmischung zu fördern, führe die Universität Studenten aus fernen Regionen und Kulturen gezielt in einer Klasse zusammen, pflichtet ihm Roshan bei.

Auf Ausländer angewiesen

Es ist kein Zufall, dass die beiden Wirtschaftsstudenten ausschliesslich mit anderen Ausländern studieren. Das Geschäftsmodell vieler englischer Universitäten beruht darauf, massenhaft internationale Studenten durch ihre Programme zu schleusen, um mit deren hohen Gebühren die Studienplätze der Einheimischen zu subventionieren. Shaun und Roshan bezahlen umgerechnet fast 20 000 Franken pro Jahr für ihr Studium. Britischen Studenten kann die Universität Greenwich nur halb so viel verrechnen.

Die meisten britischen Universitäten sind halböffentliche oder private Institutionen. Sie finanzieren sich über Fördermittel für die Forschung oder über Spenden. Doch den Löwenanteil machen die Studiengebühren aus, deren Höhe für britische Studenten limitiert ist. Der gesetzliche Deckel liegt derzeit bei umgerechnet rund 10 000 Franken pro Jahr. «Das deckt die realen Kosten schon lange nicht mehr», sagt Matt Lilley, der Rektor der Hult International Business School.

Lilley sitzt in einem modernen Sitzungszimmer im Hauptgebäude der Wirtschaftsuniversität im Zentrum Londons. Die Glaswände geben den Blick frei auf einen grossen Aufenthaltsraum, in dem Studenten Kaffee trinken oder an ihren Laptops arbeiten. Die Hult International Business School zieht nur wenige Briten an. Sie verfügt über Standorte in London, in den USA und in Dubai und rühmt sich ihrer Diversität. «Wir haben Studenten aus mehr als hundert Ländern, und keine Nationalität repräsentiert mehr als zehn Prozent», sagt der Rektor.

Nicht nur international ausgerichtete Hochschulen wie Hult oder Spitzenuniversitäten wie Oxford und Cambridge ziehen ausländische Studenten an. «Auch regionale Universitäten können heute nur noch dank den Gebühren von Ausländern überleben», sagt Lilley. In ganz Grossbritannien kommt jeder vierte Student aus Übersee, wobei der Ausländeranteil in Masterstudiengängen noch weit höher ist. Seit dem Brexit hat die Zahl der Europäer abgenommen. Dafür holten die Universitäten in den vergangenen Jahren massenhaft Studenten aus anderen Weltregionen ins Land – vor allem aus Asien und Afrika.

Strengere Visaregeln

Damit soll nun Schluss sein. Denn das Geschäft mit den ausländischen Studenten gilt in Grossbritannien immer mehr als politisches Problem. Obwohl die Brexiteers den Wählern den Rückgang der Zuwanderung versprochen hatten, explodierten nach dem EU-Austritt die Migrationszahlen. Neben Arbeitsmigranten sowie Flüchtlingen aus Hongkong und der Ukraine trugen auch die Studenten zum Anstieg bei. Im akademischen Spitzenjahr 2022/23 kamen 485 000 ausländische Bachelor- und Masterstudenten ins Land, und sie brachten etwa 135 000 Familienangehörige wie Ehepartner oder Kinder mit.

Nachdem bereits die Konservativen in ihren letzten Monaten an der Macht erste Gegenmassnahmen ergriffen haben, will nun auch die seit einem Jahr amtierende Labour-Regierung von Premierminister Keir Starmer die Migrationszahlen drastisch senken. Bereits in Kraft sind erste Verschärfungen der Visavorschriften: So dürfen Masterstudenten aus dem Ausland keine Ehepartner und Angehörigen mehr mitbringen.

Weitere Massnahmen sind angekündigt: Bis anhin können Ausländer nach ihrem Studienabschluss zwei Jahre in Grossbritannien leben und arbeiten – was ihnen Zeit gibt, einen festen Arbeitgeber zu finden, der ihnen ein langfristiges Visum sponsert. Nun werden die Fristen gekürzt und die Anforderungen für die Firmen erhöht. Selbst Studienabgänger, die einen Arbeitgeber finden, der ihnen zu einem Visum verhilft, werden künftig wohl zehn statt wie heute fünf Jahre warten müssen, bis sie eine permanente Aufenthaltsbewilligung erhalten.

Die Verschärfungen sind ein politischer Balanceakt: Die Labour-Regierung hofft, dass weiterhin genügend ausländische Studenten ins Land kommen, um die britischen Universitäten zu finanzieren. Doch sollen sich die Studenten lieber nicht langfristig im Land niederlassen, damit die Nettomigration in den Statistiken sinkt.

Sinkende Attraktivität

Ob dieses Kalkül aufgeht, ist fraglich. Der Wirtschaftsstudent Roshan von der Universität Greenwich glaubt, dass weniger ausländische Studenten nach Grossbritannien kommen, wenn die Visarestriktionen zu greifen beginnen. «Wir geben hier viel Geld aus, studieren hier und arbeiten hart für einen Abschluss», sagt der Nepalese. «Da wollen wir auch die Chancen haben, in Grossbritannien etwas zu verdienen und einen Arbeitgeber zu finden.»

«Mein Ziel ist ganz klar: Ich will eine langfristige Arbeit finden und in Grossbritannien bleiben», ergänzt sein indischer Kollege Shaun. «Und ich würde sagen, das ist das Ziel der meisten Studenten in unserer Klasse.» Wäre dieser Weg von Anfang an verbaut gewesen, wäre er zum Studium wohl wie viele seiner Freunde statt nach Grossbritannien nach Australien gegangen, sagt er. «Dort sind die Studiengebühren zwar etwas höher, aber die Lebensqualität und die Visabedingungen sind besser. Man findet leichter einen Job.»

Auch der Hult-Rektor Lilley glaubt, dass die verschärften Visaregeln die Attraktivität Grossbritanniens für Studenten verringern werden. «Die internationale Rekrutierung wird immer anspruchsvoller.» Nach der Corona-Pandemie brach bereits die Nachfrage aus China ein. Die jungen Chinesen studierten vermehrt in der Heimat und kämen nur noch nach Grossbritannien, wenn sie einen Studienplatz an einer Topuniversität erhielten, sagt Lilley. Aufgrund der Visaverschärfungen nehme nun auch die Nachfrage in den grossen Märkten Indien und Nigeria ab.

Im letzten akademischen Jahr verzeichnete Grossbritannien erstmals seit zehn Jahren einen Rückgang der Zahl ausländischer Studenten. Zwar hoffen britische Universitäten, dass sie vom rauen Klima in den USA profitieren werden, wo die Regierung Trump die Rekrutierung internationaler Studenten ebenfalls erschwert. Doch ob das reichen wird, um den Negativtrend in Grossbritannien zu brechen, ist fraglich.

Lilley hält die britischen Visaverschärfungen für eine politische Überreaktion. «Wollten wir mit dem Brexit nicht Global Britain schaffen und kluge Köpfe aus der ganzen Welt anziehen?», fragt er rhetorisch. Die sinkende Zahl ausländischer Studenten werde die Krise der Universitäten verschärfen, ergänzt er. «Plötzlich wird das Loch sichtbar, das ohne die ausländischen Studenten in den Budgets der Hochschulen klafft.»

«Ernsthaftes Konkursrisiko»

Laut der Aufsichtsbehörde Office for Students schrieben im abgelaufenen akademischen Jahr drei von vier Universitäten in England rote Zahlen. «Eine steigende Zahl von Institutionen steht vor einem ernsthaften Konkursrisiko», stellte die Behörde in einem Bericht fest. Die Vorsitzende des Bildungsausschusses im Unterhaus, Helen Hayes, erklärte jüngst im Parlament, der Mix aus Inflation, gesetzlich gedeckelten Gebühren und dem Rückgang internationaler Studenten treffe die Universitäten wie ein «perfekter Sturm». Doch wie die Universitäten in diesem schwierigen Umfeld zu Geld kommen sollen, liess die Labour-Politikerin offen.

Zwar hat das Parlament jüngst erstmals seit zehn Jahren eine Erhöhung der Studiengebühren für einheimische Studenten beschlossen – um 3 Prozent auf umgerechnet 10 600 Franken pro Jahr. Gleich wieder aufgefressen werden die Mehreinnahmen allerdings von den höheren Lohnabgaben für Arbeitgeber, welche die Labour-Regierung im Herbst 2024 einführte. Erhöhte die Labour-Regierung die Studiengebühren für Einheimische noch stärker, zöge sie die Wut von Studenten und Jungwählern auf sich. Und für eine direkte Finanzierung mit Steuergeldern wie auf dem europäischen Kontinent fehlen angesichts der leeren Staatskasse schlicht die Mittel.

Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wäre es für Grossbritannien durchaus verkraftbar, wenn einige der 165 Universitäten ihren Betrieb einstellen würden. Doch der Rektor Lilley betont, dass sich viele der besonders gefährdeten Universitäten in peripheren Gebieten befänden. Gerade für strukturschwache Gegenden, welche die Regierung eigentlich fördern wolle, sei die lokale Hochschule ein wichtiger Motor für Innovation und Entwicklung. Zudem wären Konkurse schlecht für den Ruf des britischen Forschungsplatzes insgesamt.

Viele Hochschulen haben Sparprogramme eingeleitet. Sie entlassen Personal, streichen ganze Kurse oder veräussern Immobilien. «Manche Universitäten sind mehrere hundert Jahre alt», sagt Lilley. «Nun zwingt sie der finanzielle Druck, auf Massenproduktion zu setzen und zu funktionieren wie eine Fabrik.»

Unter Druck steht auch die Universität Greenwich: Vor einigen Wochen präsentierte die Londoner Hochschule Pläne zur Entlassung von mehr als 300 Dozenten, was etwa einem Viertel des gesamten akademischen Personals entspricht. Betroffen sind die sozial- und geisteswissenschaftlichen Fakultäten, aber auch Fachrichtungen wie Architektur und Betriebswirtschaft. Die Gewerkschaften schimpften die altehrwürdige Universität am südlichen Themseufer einen «Schurken-Arbeitgeber».