„Solange ich tanze, wird Martha immer bei mir sein.“ Sagt der Choreograf und Tänzer Alan Brooks beim Treffen im Museum Brandhorst. Wie zum Beweis legt er die Autobiografie „Blood Memory“ von Martha Graham, der legendären Begründerin des zeitgenössischen Tanzes, auf den kleinen Tisch des Cafés. Es sei ein Buch, das er von seiner damaligen Tanzlehrerin zum 18. Geburtstag geschenkt bekommen habe. „Und es liegt auch heute noch bei mir im Nachttisch“, sagt er und schmunzelt.
Seit damals spendet ihm das Buch Trost und macht ihm Mut. „Gerade als ich meine Ausbildung in der Rambert School in London begann, quälte mich die Frage, ob ich nicht schon zu alt bin, um diesen Weg einzuschlagen“, sagt Brooks. Denn er entdeckte erst mit 16, 17 Jahren seine Begeisterung für Tanz durch eine AG in der Schule. „Davor war mein Berufswunsch noch Rechtsanwalt“, sagt er und lacht. Von der Autobiografie war er so begeistert, dass er sich viele Zitate auf Zetteln herausschrieb und in seinem WG-Zimmer an die Wände heftete.
Hat er ein Beispiel parat? „Da war ihr Satz, der sinngemäß übersetzt heißt: ‚Als Tänzer stehst du nur im Wettbewerb mit der Person, von der du weißt, dass du sie werden kannst‘“, sagt Brooks.
Martha Graham war diejenige, die aus dem Tanz die weißen Spitzenröcke und die Spitzenschuhe verbannte. Stattdessen wurde barfuß und in schwarzen Trikots getanzt, erklärt Brooks. Mit viel Emotion: „Martha war sicherlich eine außerordentliche Drama-Queen“, sagt er und schmunzelt. In der Rambert School, einer der weltweit führenden Tanzschulen Großbritanniens, wurden die Graham-Technik, aber auch die Cunningham-Technik gelehrt, erzählt Brooks. Womit der Bogen geschlagen wäre zum Museum Brandhorst. Denn in der aktuellen Ausstellung „5 Freunde“ ist einer der Protagonisten Merce Cunningham. Und der war ein Schüler von Martha Graham.
Brooks blättert in dem Buch mit den fantastischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, auf zweien sind Martha Graham – sie stand noch mit 80 auf der Bühne! – und der junge Cunningham gemeinsam auf der Bühne zu sehen.
In ihrem Ballett „Punch and the Judy“ traten am 10. August 1941 die Choreografin und Tänzerin Martha Graham (Bildmitte, auf dem Stuhl) und Merce Cunningham (ganz rechts, hinten) zusammen auf. (Foto: Stephan Rumpf)
Mit Anfang 20 trat Cunningham in Grahams Kompanie ein, suchte sich nach sechs Jahren als Solist aber einen anderen Weg des Ausdrucks. „Wie es immer wichtig ist im Schüler-Lehrer-Verhältnis, irgendwann muss man den Meister verlassen, ihn als Reibungsfläche nehmen und seinen eigenen Weg suchen“. Was im Fall von Cunningham bedeutete, dass er das Gefühl aus seinen Choreografien verbannte, in seinen Choreografien nach der Abstraktion suchte.
Wie man sich das vorzustellen hat, veranschaulichte Brooks in einer „Tanz-Führung“ in der genannten Ausstellung, die noch bis 17. August im Museum Brandhorst zu sehen ist. Nachdem er die Teilnehmenden mit Cunninghams „Zufall“-Technik vertraut gemacht hatte – in der Ausstellung ist der Tänzer und Choreograf in Videoeinspielungen zu erleben, dazu gibt es Kostüme seiner Aufführungen zu sehen – ging es hoch in den Rosensaal mit den berühmten Blumen-Bildern von Cy Twombly, ebenfalls einer der fünf titelgebenden Künstler-Freunde.
So wie Cunningham einst mit einem Würfel arbeitete, um die Bewegungsabläufe seiner Tänzer und Tänzerinnen mit Zufallsoperationen zu choreografieren, ging auch Brooks nach dem Zufallsprinzip vor: Die Augenzahl auf dem Würfel wurde mit bestimmten Arm, Kopf- und Bein-Bewegungen verbunden, sodass im Laufe von mehreren Würfen jeder zu einer Figur fand.
Wo sieht er sich als ehemaliger Solist des Gärtnerplatztheaters, Tanzpädagoge und Choreograf? Brooks überlegt. „Ein Teil ist Gefühl und Drama wie bei Martha, ein Teil ist Abstraktion wie bei Merce. Und als dritter, wilder Teil kommt Brooks dazu“.
Gelegenheiten, diese Mischung kennenzulernen, gibt es viele. Denn Brooks unterrichtet nicht nur an der August Everding Akademie angehende Profis, sondern seit vielen Jahren Schüler und Schülerinnen in Bayern. Im Auftrag des bayerischen Kultusministeriums ist er landauf, landab unterwegs, um an Gymnasien, aber vor allem an Mittel- und Förderschulen Tanzprojekte umzusetzen. So choreografierte er jüngst ein Jugendtanzstück zu „Peer Gynt“ für die Opernfestspiele Heidenheim. Dabei geht es ihm nie darum, Ballett-erfahrene Schülerinnen gegen Tanzanfänger auszuspielen. Sondern jedem und jeder Mut zu machen, sein Potenzial zu entdecken und auf die Bühne zu bringen. Martha Graham hätte vermutlich ihre Freude daran.
In der SZ-Serie „Ein Stück Hoffnung“ empfehlen Künstler aus München und Bayern Werke, die sie optimistisch stimmen.