Ein Schlafzimmer in einem ehemaligen Büroraum.

Stand: 10.08.2025 11:19 Uhr

Mehr als 700.000 Quadratmeter Bürofläche stehen in Hamburg leer, während Wohnraum für viele Stadtbewohner teuer und knapp ist. Eine Gruppe von Studierenden zeigt, dass hier ein Umdenken nötig und möglich ist.

von Luna Ragheb und Sharon Welzel

In einer Büroetage eines modernen Gebäudes am Alten Fischmarkt in Hamburgs Innenstadt stapeln sich die Schuhe am Eingang, daneben das Schild „Bitte Schuhe ausziehen.“ Dazu erklärt Leona Erdmann: „Wir wohnen ja schließlich auch hier. Deswegen hängt da ein Schild.“ Die 24-Jährige ist eine der drei Gründerinnen des Architektur-Kollektivs „vonwegenleer“. Zusammen haben sie 2024 ihre Abschlussarbeit über „Wohnzwischennutzung im Büroleerstand“ geschrieben. Gefördert durch ein öffentliches Programm, machten sie anschließend aus Theorie Praxis: Mit einer Professorin und Studierenden der Hamburger HafenCity Universität starteten sie das Pilotprojekt „Pop-Up Wohnen – Verborgene Wohnraumpotenziale“. Vier Wochen lang, bis Ende Juli, bewohnten sie eine Büroetage mitten im Hamburger Stadtkern, um herauszufinden, wie praktikabel das Modell ist.

Ein leeres Büro wird zum Reallabor

Eine Frau steht in der Küche eines umgebauten Büros.

Eine Tür wurde kurzerhand zum Regal – und erweist sich als sehr praktisch.

Kollektiv-Mitglied Emma Stiehle erzählt, wie sie gemeinsam das neue Zuhause gestalteten: „Das Format war ein Reallabor. Alles, was man hier sieht, wurde innerhalb von ungefähr fünf Wochen entworfen und innerhalb von drei Wochen danach umgesetzt.“ Das seien lange Nächte und sehr, sehr viel Arbeit gewesen, fügt sie hinzu. Auf rund 150 Quadratmetern Bürofläche entstand eine temporäre WG: Die Teeküche wurde zum Badezimmer mit Dusche, Fensterbänke zu Schreibtischen. Dazu gehört auch eine gute Portion Pragmatismus: An der Bürotür, umfunktioniert zum Küchen-Wandboard, hängt ein Zwiebelnetz am Griff.

Neue Wohnformen für viele Menschen denkbar

Ein Esszimmer in einem ehemaligen Büroraum als Teil einer temporären Wohnung.

Die Gemeinschaftsfläche ist Küche, Esszimmer, Wohnzimmer und Arbeitszimmer in einem.

Unterstützt wurde die Gruppe von einer Sanitär- und Heizungsfirma. Emma Stiehle zeigt auf die Rohre: „Um die Küche hier zu installieren, haben wir Leitungen verlegt und eine Hebeanlage eingebaut, damit wir Zu- und Abwasser haben. Wir haben sogar eine Spülmaschine, was für die meisten Studierenden, die hier wohnen, total der Luxus ist.“
Eine Studie von 2024 zeigt: Viele Menschen könnten sich ein leeres, umgebautes Büro als neues Zuhause vorstellen. Für etwa 160.000 Haushalte würde ein solches gemeinschaftliches Wohnen infrage kommen.

Wohnen in Großstädten: Zu eng, zu teuer

Prof. Dr. Thomas Krüger ist leitender Stadtplaner an der Hafen City Universität Hamburg

Prof. Dr. Thomas Krüger ist leitender Stadtplaner an der HafenCity Universität Hamburg.

Stadtplaner Thomas Krüger von der HafenCity Universität begrüßt Projekte wie „Pop-Up Wohnen“. Zwar ist der Wohnungsmarkt in Hamburg laut einer Studie von 2024 weniger angespannt als in anderen Großstädten – doch der Stadtplaner sieht trotzdem Bedarf für mehr Wohnraum: „Etwa ein Drittel der Menschen in der Stadt leben in sehr dichten Wohnverhältnissen – also viele Menschen in kleinen Wohnungen. Zudem zahlen sie deutlich mehr Miete, als man gewöhnlich für zumutbar hält – nämlich etwa ein Drittel des Nettoeinkommens.“ Das erhöhe sich zum Teil auf bis zu 50 Prozent und mehr, erklärt Krüger.

Klimafreundlich: Potenzial des Leerstands nutzen

Die Mitglieder des Kollektivs "vonwegenleer"

Leona Erdmann, Juli Sottdorf und Emma Stiehle (v.l.n.r.) vom Kollektiv „vonwegenleer“.

Er beobachtet, wie sich in den letzten Jahren, verstärkt durch Corona, die Stadtlandschaft verändert hat: Immer mehr Läden schließen, Büros stehen leer. Diese Flächen in Wohnraum umzuwandeln, sieht Krüger als Potenzial – und hält das auch für klimapolitisch sinnvoll: „Das neue Haus, das Sie auf die grüne Wiese setzen, das ist alles gebundenes, nagelneu verbrauchtes CO2. Wenn Sie ein Bürohaus, das da seit 50 Jahren steht, weiterhin nutzen und eben nicht abreißen, sparen Sie unglaublich viel CO2-Einsatz.“ Und das könne man, so Krüger, auch so umbauen und nutzen, dass es nicht unbedingt „eine Energieschleuder“ wird. Den Faktor Nachhaltigkeit hat „Pop-Up Wohnen“ mitgedacht: Die Möbel sind so gestaltet und gebaut, dass sie sich schnell auf- und abbauen lassen. Sie können flexibel an verschiedenen Orten wiederverwendet werden.

Neue Standards: Weg vom „Mercedes“

Eine Küche in einem ehemaligen Büroraum der zu einer temporären Wohnungen wurde.

Kisten, wie man sie aus Lagerräumen kennt, sind Teil der Küchenmodule.

Krüger plädiert auch dafür, beim Umbau von Leerstand nicht immer den höchsten Ausstattungsstandard anzulegen. „Wir bauen [Wohnraum] in Deutschland oft wie einen Mercedes – technisch perfekt, energetisch optimiert, bestens ausgestattet. Das macht Wohnen aber auch teuer“, sagt er. Für Pilotprojekte wie „Pop-Up Wohnen“ könne es sinnvoll sein, zunächst pragmatischer vorzugehen und Standards schrittweise anzupassen. So ließen sich Ideen schneller umsetzen und später gezielt erweitern – „vielleicht mit einer Badewanne oder einem großen Gefrierschrank, wenn sich das Konzept bewährt“.

Politisch gewollt und gefördert

Das Pilotprojekt „Pop-Up Wohnen – Verborgene Wohnraumpotenziale“ entstand im Rahmen des Bundesprogramms „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“. In Hamburg ist es Teil eines städtischen Förderaufrufs. Ziel war es, in einem realen Umfeld zu testen, wie sich leerstehende Büroflächen kurzfristig in Wohnraum verwandeln lassen – und welche Chancen und Hürden dabei in der Praxis auftreten.

Dringlichkeit und städtebaulicher Kontext

Während in Hamburg immer mehr Büroflächen leerstehen, stockt der Wohnungsneubau deutlich: Wurden 2022 noch rund 5.200 Wohnungen fertiggestellt, waren es 2023 nur knapp 770. Gleichzeitig liegen die Büromieten in der Innenstadt mit durchschnittlich etwa 26,60 Euro pro Quadratmeter mehr als doppelt so hoch wie die Wohnraummieten, die bei rund 11,90 Euro pro Quadratmeter liegen. Für Stadtplaner ist das ein offensichtliches Missverhältnis – viel Platz, der ungenutzt bleibt, trifft auf Menschen, die dringend Wohnraum suchen. Projekte wie „Pop-Up Wohnen“ zeigen, dass Zwischennutzungen eine Brücke schlagen können: Sie lassen sich schnell umsetzen, sind rückbaubar und ermöglichen Eigentümerinnen und Eigentümern, Leerstand vorübergehend sinnvoll zu füllen, ohne gleich eine dauerhafte Nutzungsänderung beantragen zu müssen.

Forderung nach Reformen

Genau diese Anträge sind oft der Knackpunkt bei solchen Projekten: Für eine Nutzungsänderung muss ein Bauantrag eingereicht werden. Bei „Pop-Up Wohnen“ wurde dieser Antrag im vereinfachten Genehmigungsverfahren gestellt. Für das Gebäude am Alten Fischmarkt war das Wohnen im Bebauungsplan sogar vorgegeben – dadurch gab es weniger Probleme mit der Genehmigung, weiß ein Mitglied von „vonwegenleer“. Der Zusammenhang mit der Förderung habe die Sache zusätzlich beschleunigt. Leider laufe es nicht immer so ab, moniert Emma Stiehle: „Wenn man sieben Monate auf eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung wartet, lohnen sich Zwischennutzungsprojekte oft gar nicht mehr.“ Sie hält eine Reform dieser Prozesse für dringend notwendig.

Pionierprojekt mit Ambitionen

Eine Hängematte und ein Feldbett in einem zum Wohnraum umgebauten Büro.

Die Kombination aus Hängematte und schwebendem Feldbett – eine von vielen originellen Ideen des Kollektivs.

Wo jedoch nach den vier Wochen am Alten Fischmarkt neue Wohnfläche entsteht, steht noch offen – genauso wie die Masterpläne der drei vom Architektur-Kollektiv „vonwegenleer“. Ihre Idee wollen sie aber weitertragen. Emme Stiehle sieht das Ganze als Pionierprojekt: „Da ist natürlich das große Ziel, der Öffentlichkeit zu zeigen, wie gut es funktioniert. Wie man vielleicht auch andere Bürogebäude zum Wohnen zwischennutzen kann. Für die komplette Umnutzung von Büros gibt es in Hamburg auch schon ein gelungenes Beispiel im Stadtteil Bergedorf – andererseits wurde ein Vorstoß zu dem Thema gerade im Hamburger Stadtentwicklungsausschuss abgelehnt.

Blick über Hamburg hinaus

Auch in anderen Städten werden leerstehende Gebäude erfolgreich in Wohnraum verwandelt: In Rotterdam ermöglicht das modulare System „The Hub“, ungenutzte Büros innerhalb weniger Tage in voll ausgestattete Apartments umzubauen – und bei Bedarf rückgängig zu machen. In Toulouse wurde 2019 ein leerstehender Gebäudeflügel innerhalb eines Monats zu einer Notunterkunft für 220 Menschen umgestaltet. Und in Saint-Denis bei Paris belebt seit 2009 das Projekt „6B“ ein ehemaliges Bürogebäude als Mischung aus Wohnraum, Ateliers und Veranstaltungsflächen. Solche Beispiele zeigen, wie flexibel sich Leerstand nutzen lässt – und wie Städte weltweit davon profitieren können.

Ein Schutzhelm hängt an einer Säule auf einer Baustelle.

Die CDU wollte die Umwandlung von Bürogebäuden zu Wohnraum praktisch erproben lassen. Der Vorstoß wurde im Stadtentwicklungsausschuss abgelehnt.

Aufnahme des Kibek-Quartiers in Elmshorn

Die Umwandlung von leer stehende Gewerbeflächen, Büro- oder Verwaltungsgebäuden könnte auch im Norden die Wohnungsnot lindern.

Eine Visualisierung des Bürogebäudes in Bergedorf, das zu einem Wohnhaus wird.

Die Wohnungsnot ist groß – nicht nur in Hamburg. Eine neue Strategie: leer stehende Bürogebäude zu Wohnraum umfunktionieren.

Ein Bauarbeiter nimmt auf einer Baustelle einen Balken entgegen. (Symbolfoto)

Das Bezirksamt Altona will Wohnungen auf Gewerbeflächen bauen. Der Hamburger Wirtschaftsbehörde gehen die Pläne zu weit.

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