Die Hoffnungen auf 5G waren groß. Schnelle Downloads, verlässliche Verbindungen, Kommunikation ohne Verzögerung – so lauteten die Ankündigungen. Die Realität sieht ernüchternd aus. Eine exklusive Analyse zeigt: Das viel beschworene Echtzeitnetz bleibt in Deutschland bislang Illusion.
Die Analyse entlarvt den Mythos vom 5G-Echtzeitnetz
Im Juni 2019 ersteigerten Telekom, Vodafone, Telefónica und Neueinsteiger 1&1 bei der Bundesnetzagentur für 6,6 Milliarden Euro die nötigen Frequenzen. Das Ziel: eine neue Mobilfunkära. Heute, sechs Jahre später, offenbaren Messungen des Branchendienstleisters Opensignal für das Handelsblatt deutliche Defizite. Zwar liefert 5G höhere Downloadraten als 4G, doch die Latenzzeiten bleiben weit über der Marke für echte Echtzeitkommunikation.
5G in Deutschland enttäuscht: Hohe Latenzen verhindern Echtzeitkommunikation. Industrie und autonomes Fahren bleiben auf der Strecke
Die Messungen zeigen: Keiner der großen Anbieter erreicht im Schnitt weniger als zehn Millisekunden Latenz – die Schwelle, ab der der internationale Standardisierungsgremienverband 3GPP von Echtzeit spricht. Telekom liegt bei etwa 23 Millisekunden, Vodafone und Telefónica bei rund 29 Millisekunden.
Hohe Erwartungen an 5G – begrenzte Wirkung
Gerade für die Industrie hat diese Verzögerung gravierende Folgen. Marcus Bollig, Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie, betont: „Die weiterhin hohen Latenzzeiten im Mobilfunknetz schränken insbesondere Anwendungen ein, die auf Echtzeitkommunikation angewiesen sind.“ Auch Frank Fitzek, Professor für Kommunikationsnetze an der TU Dresden, kritisiert, dass es in Deutschland bisher keinen vollwertigen Echtzeitmobilfunk gibt.
Die Datenbasis von Opensignal stützt diese Einschätzung. Gemessen wurden reale Nutzererfahrungen über unzählige Endgeräte hinweg. Zwischen März und Mai 2025 verdreifachten sich die durchschnittlichen Downloadraten – im Telekom-Netz von 53 auf 180 Megabit pro Sekunde. Doch die Latenz bleibt das Nadelöhr.
5G für autonomes Fahren entscheidend
Fitzek verweist auf ein Beispiel aus den USA: Waymo setzt in Kalifornien Robotaxis ein, die komplexe Verkehrssituationen meistern. Die Fahrzeuge sind mit Sensoren und leistungsfähigen Rechnern ausgestattet, um Daten auszuwerten und Fahrentscheidungen zu treffen. Im Notfall greifen Menschen aus der Ferne ein.
Für eine wirtschaftliche Skalierung sei dieses Modell jedoch ungeeignet. „Autonomes Fahren wird wirtschaftlich erst mit Echtzeitmobilfunk möglich. Die Robotaxis von Waymo mit viel Technik an Bord sind nicht skalierbar“, betont Fitzek. Erst wenn zentrale Systeme mehrere Fahrzeuge in Echtzeit steuern, könne die Technologie flächendeckend durchstarten.
Industrie fordert Fortschritte
Der VDA sieht zahlreiche Anwendungen blockiert: Lkw-Platooning, automatische Kollisionsvermeidung oder ferngesteuertes Parken benötigen nahezu verzögerungsfreie Datenübertragung. Selbst Kreuzungsassistenten, die den Verkehr koordinieren, stoßen aktuell an technische Grenzen.
Zwar können Firmen in Deutschland über sogenannte Campusnetze lokale 5G-Frequenzen nutzen, doch diese Lösung eignet sich nur für abgeschlossene Areale wie Fabriken. Für vernetzte Fahrzeuge, die landesweit unterwegs sind, bleibt das irrelevant. Auffällig ist, dass Netzbetreiber in ihrer Werbung weiterhin mit dem Begriff „Echtzeit“ arbeiten, obwohl die Praxis dem widerspricht.
Verteidigungsmodus der Netzbetreiber
Auf die Kritik reagierten Telekom, Vodafone und Telefónica zurückhaltend. Die Telekom verwies darauf, dass ältere Website-Texte noch aus der Anfangszeit von 5G stammen. Opensignal messe laut Unternehmen lediglich das Nutzerverhalten und nicht die maximal mögliche Netzleistung.
Tatsächlich geben die Messungen jedoch ein realistisches Bild davon, wie sich das Netz auf Endgeräten verhält. Anfragen des Handelsblatts nach eigenen Netzdaten blieben unbeantwortet. Alle drei Anbieter verweigerten Angaben zu Latenzwerten auf Kundenseite.
Blick nach China
Andere Länder zeigen, wie es gehen kann. China hat in über 300 Städten den erweiterten Standard 5G-Advanced etabliert. Die Küstenmetropole Shenzhen dient als Vorzeigeregion: 4G-Standorte wurden nicht nur aufgerüstet, sondern das Netz durch zusätzliche Funkstationen verdichtet.
Die Betreiber verlegten Rechenzentren näher an die Antennen, um Verzögerungen zu minimieren. Die durchschnittliche Latenz liegt hier zwischen vier und acht Millisekunden. Damit lassen sich Drohnenlieferungen, Robotersteuerungen und intelligente Verkehrslenkung in Echtzeit umsetzen.
China profitiert allerdings von zentraler Netzplanung und einheitlicher Technik – Faktoren, die in Deutschland so nicht realisierbar sind.
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