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Justus ergattert Diego, für Ronja gibt es Donald: Zufällig passieren die Geschwister mit ihren Eltern das Antiquariat an der Großen Marktstraßein Offenbach – und dürfen sich über Bücher aus dem alten Bestand freuen. © Julius Fastnacht
Zum Abschied des letzten Antiquariats in der Offenbacher Innenstadt ergattern die Menschen Vinyl und alte Bücher. Ein Nachfolger könnte demnächst in das Geschäft einziehen.
Offenbach – Auch Geschäfte müssen einmal gehen. Und wie der Mensch hinterlässt der Einzelhandel ein Erbe – der Nachlass des Antiquariats an der Großen Markstraße fällt jedenfalls großzügig aus. Justus hat gerade Passfotos machen lassen, steht mit seinen Eltern in der Morgensonne vor dem Schaufenster des Ladens. Er präsentiert einen tiefroten Schmöker, der Titel, gestanzt in glitzergrün: MEXICO WORLD CUP 86. „Ich liebe Fußball“, sagt der Junge, jetzt darf er sich einlesen in den Jahrhundertsommer des Diego Maradona.
Antiquariat war wohl das letzte seiner Art in Offenbachs Innenstadt
Zum Abschied des Ladens, der sich einreiht zwischen Frisörsalon und Nagelstudio, wird verschenkt, nicht getrauert. Dabei hat das Geschäft eine lange Leidenszeit hinter sich. Seit Februar war es nämlich dunkel geblieben in dem Geschäft. Die Bücher, wahlweise Sachliteratur über die italienische Mafia, Romane von David Foster Wallace, lagen wie kraftlos in den Regalen; von ihren Schallplattencovern blickten die Gesichter von Jimi Hendrix und Kraftwerk mit mattem Blick in Richtung Eingangstür.
Nachbarin Borka Marinkovic schließt gerade ihren Salon auf und sagt: der langjährige Betreiber, wohl über 80 Jahre, soll mittlerweile in einem Altenheim leben – er habe sich zuletzt nicht mehr um den Betrieb kümmern können. Wer den Mann einmal sonntagmittags zwischen seinen Bücherstapeln erlebt hat, Zitat: das Geschäft öffne immer dann, wenn er da sei, der weiß – verschenken, weitergeben, dürfte ihm gefallen haben.
Schade nur, dass vieles verloren geht: Die Mitarbeitenden einer Entrümpelungsfirma haben das Gros des Interieurs in mehrere Baucontainer gekippt, gleich ist Abfahrt. Verloren gegangen sind womöglich auch einige Schätze, gerade alte Buchausgaben ohne ISBN-Nummer können Wert besitzen, nicht nur ideell, sondern in Euroform.
Trotzdem: Zwei Tage lang konnten die Menschen stöbern, Gedrucktes abstauben, oder Vinyl, den Soundtrack von Dirty Dancing etwa. Oder eine Platte mit der Aufschrift: „Rondo Veneziano – Venezia 2000“, die gerade in einem Hackenporsche verschwindet. Auf der Plattenhülle gondeln roboterartige Wesen durch einen futuristischen Canale Grande (kurze Netzrecherche: in der Schweiz erreichte die Platte Platz Eins der Charts).
Das Sterben des Antiquariats an der Großen Marktstraße: Es spiegelt wohl das Schicksal vieler anderer Händler in ganz Deutschland. „Was die Ladengeschäfte angeht, ist die Zahl sehr rückläufig“, hatte der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Antiquariate im vergangenen Jahr der Deutschen Presseagentur mitgeteilt. Demnach geht die Zahl der Antiquariate vor allem in Städten mit hohen Mietpreisen drastisch zurück – einfach, weil sich das Geschäft nicht mehr lohnt. Auch der Nachwuchs fehlt: Wer träumt heute schon vom eigenen Antiquariat? Der Laden, der jetzt leer steht, dürfte das letzte Exemplar seiner Art in der Innenstadt gewesen sein.
Doch es gibt auch Neues aus der Offenbacher Wirtschaftsförderung. Die integrierte Agentur Mitte hilft, Besitzer von Innenstadt-Immobilien und Mieter zusammenzubringen. Auch für die Ladennachfolge des Antiquariats gebe es bereits einen Interessenten „aus dem Kosmos des Testraums“, heißt es. Also aus dem Geschäft zwei Läden weiter, in dem aktuell mal Modedesigner, mal Musik-Nerds ihre Verkaufskonzepte testen können.
Justus und seine Schwester Ronja beschäftigen aktuell andere Dinge. Zum Beispiel noch ein WM-Wälzer über das Turnier 1974 – es deutet sich bereits eine Karriere als Fußballhistoriker an. Ein Arbeiter bringt einen Stapel Comics, die er aus dem Laden gerettet hat. Für Ronja gibt es also das Lustige Taschenbuch und Abenteuer von Donald Duck – Klassiker funktionieren eben immer. (von Julius Fastnacht)