Starke Rhythmen, glockenhelle Flöten und abwechslungsreiche Melodien: Wo das Spielleute-Orchester vom Gröpelinger Turn- und Rasensportverein (Tura) auftaucht, da ist es nicht zu überhören. In diesem Jahr steht für die Blau-Weißen ein besonderes Ereignis an: Ihr 125. Geburtstag. Den möchte das Gröpelinger Musikensemble mit einem Jubiläumskonzert am 1. November im Nachbarschaftshaus Helene Kaisen groß feiern. Er ist schließlich etwas Besonderes, weiß Orchesterleiter Wolfgang Schmidt: „125 – das schaffen die wenigsten. Viele haben das Handtuch geschmissen.“ Denn während vor 30 Jahren bremenweit in rund 20 Spielmannszügen, Fanfarenzügen und Blaskapellen musiziert wurde, sind es heute noch vier Gruppen. Auch die Gröpelinger haben mit Mitgliederschwund und Nachwuchssorgen zu kämpfen. „Aber wir kämpfen“, sagt Schmidt.
Er trat 1965 als 14-Jähriger in den damaligen Tura-Spielmannszug ein, um eine Ausbildung an der kleinen Trommel zu absolvieren. „Damals gab es alljährlich ein großes Schützenfest mit vier bis fünf Musikkapellen, und die US-Army-Band hat einen Frühschoppen gegeben. Das fand ich interessant“, erklärt Schmidt sein Faible für die Musik. Anfangs seien noch viele Ältere aus der Zeit der Wiedergründung dabei gewesen, ab 1962 konnten dann auch Mädchen beim Spielmannszug mitmachen. Heute bilden die Musikerinnen mit 60 Prozent die Mehrheit des Ensembles. Als sich 1976 der bisherige Leiter verabschiedete, übernahm auf Wunsch des Orchesters der damalige Stellvertreter Schmidt den Tambourstab und fing an, das musikalische Programm zu modernisieren. „Ich habe das nicht gleich übertrieben, aber schon mal die ersten lateinamerikanischen Stücke eingeführt wie zum Beispiel Guantanamera – das konnten auch die Älteren noch mittragen.“
Repertoire und Instrumente wurden erweitert
Heute enthalten die dicken blauen Noten-Ordner der Spielleute mehr als 100 Kompositionen von Pop und Rock bis Klassik, die zum Teil eigens für sie von Profis arrangiert wurden. Das Repertoire reicht vom Beatles-Potpourri über „In the Mood“, über das durch Frank Sinatra berühmt gewordene „My Way“, das Phantom der Oper und den Fluch der Karibik bis zum Florentiner Marsch. Den „Flori“ hatte die Gruppe zum ersten Mal bei der Musikschau der Nationen gehört und daraufhin in ihr Programm aufgenommen.
Auch die Bandbreite der eingesetzten Instrumente – und damit der Klang des Orchesters – hat sich kontinuierlich erweitert. Ursprünglich waren ausschließlich Sopranflöten und kleinen Marschtrommeln üblich, heute gehört auch eine Marimba dazu. Eine Besonderheit sind die Melodicas – Blasinstrumente, die über eine Klaviatur gespielt werden. „Das haben wir in den 1970er-Jahren mal eingeführt, das gibt in der Tiefenlage eine ganz andere Tonfärbung“, erzählt Schmidt, der irgendwann auch noch das „Show Marching“ etablierte. Denn: „Wir wollten nicht nur einfach die Straße langlaufen, sondern auch mal Wellenbewegungen oder einen Zwischenstopp einbauen.“ Eine zwölfminütige Show mit 45 Leuten in der Stadthalle – „das war in unserer großen Zeit, dafür haben wir intensiv an 20 Wochenenden auf dem Sportplatz trainiert“, erzählt der Orchesterchef. Spiralen, gegenläufige Kreise oder durcheinanderlaufende Achten habe die Gruppe bis heute drauf, so Schmidt weiter. „Das ist für das Publikum interessant, die fragen sich dann immer: Wie kommen die da wieder raus?“
Gute Ausbildung zahlt sich aus
Wer hier mitmusizieren möchte, der erhält zunächst eine anspruchsvolle Ausbildung in Theorie und Praxis inklusive Abschlussprüfung durch den Orchesterchef höchstpersönlich. Schmidt, der hauptberuflich als Chemielaborant bei Kaffee Hag gearbeitet hat, ist überzeugt: „Das zahlt sich aus. So braucht man dann viel weniger Zeit, um Musikstücke einzustudieren.“ Rund 320 Interessierte hat er in fast 50 Jahren als ehrenamtlicher Orchesterchef ausgebildet. „Erst, wer es geschafft hat, trat in den Verein ein und zahlte dann den Mitgliedsbeitrag. Anders geht es hier in Gröpelingen nicht“, findet er.
Aktuell sind bei den Spielleuten 30 Musikerinnen und Musiker im Alter von 18 bis 73 aus ganz Bremen aktiv. Zum Beispiel Sandra „Sandy“ Czerwinski an der Altflöte, die den Spielleuten seit 40 Jahren die Treue hält – im Moment als „Lonesome Rider“, wie sie lachend erzählt: „Alle anderen Altflöten haben gewechselt oder aufgehört.“ Czerwinski blieb und infizierte auch ihre Schwester und ihre Tochter mit dem Spielleute-Virus. Ihr Vater Norbert „Nobbi“ Lüdtke hat rund 25 Jahre lang bei Umzügen seine 18 Kilo schweren Trommeln geschleppt. Er war Schlagzeuger in einer Band, als auch er Mitte der 1990er-Jahre dazukam. „Ich dachte mir, da kann man ja vielleicht noch was lernen. Als ich die Aufnahmeprüfung machen musste, war ich fast 40 – und habe alles mit Note Eins bestanden!“ Trommler Marcel Jonas stellt bei den Spielleuten bereits die vierte Generation seiner Familie. „Mein Opa hat damit angefangen“, erzählt sein Vater Torsten, und Marcel kann das gemeinsame Hobby nur allen wärmstens weiterempfehlen. „Man kommt viel rum und sieht viel, auch hinter den Kulissen von größeren Veranstaltungen. Musik ist ein Lebensgefühl und es ist schön, anderen damit eine Freude zu machen.“
Begrüßungsständchen für die Babys
Und Freude haben ganz offensichtlich auch die Musikerinnen und Musiker, die sich gegenseitig Spitznamen geben, schon etliche gemeinsame Ausflüge unternommen haben und wie eine große harmonische Familie wirken. „Es ist ganz wichtig, dass man eine gute Stimmung hat. Und in den musikalischen Alltag darf nie Langeweile einkehren“, unterstreicht Schmidt alias „Goofie 1“. Und das mit der Familie treffe übrigens wirklich zu. „Im Laufe der Jahre haben sich viele bei uns kennen- und auch lieben gelernt – und dann gab es eben auch Nachwuchs.“ Den Anfang machten Schmidt und seine Frau Edith, die sich bei den Spielleuten kennenlernten und einander 1980 das Ja-Wort gaben. Seitdem folgten 44 weitere Hochzeiten und vor zwei Monaten das mittlerweile 57. Spielleute-Baby. Schmidt: „Wir haben oft vor Kirchen gestanden und den Hochzeitsmarsch gespielt. Und die Babys kriegen von uns immer ein Begrüßungsständchen.“
Zur Sache
Die Geschichte der Spielleute
Die Wurzeln des Spielleute-Orchesters reichen zurück bis ins Jahr 1900, als sich im Gröpelinger Turnverein – dem Vorläufer von Tura – ein fünfköpfiges Trommler- und Pfeiferkorps unter der Leitung eines beim Militär ausgebildeten Hornisten gründete. Die Gruppe wuchs zahlenmäßig immer mehr an und überstand trotz Einschränkungen die Zeit des Hitler-Regimes, bis sie schließlich 1941 bei einem Bombenangriff sämtliche Instrumente verlor.
1950 dann der Neuanfang – der Spielmannszug, der seit 1956 in der Schule am Halmerweg probt, wurde in den Turn- und Rasensportverein (Tura) integriert. Dort entwickelte er sich zum Spielleute-Orchester, einer bekannten Concert-, Marching- und Show-Band. Sieben Mal war das Gröpelinger Orchester ab 1988 bei der Musikschau der Nationen in der Bremer Stadthalle mit dabei und ist zu seinen Hochzeiten auch bei der Bundesgartenschau in Kassel, beim ZDF-Sonntagskonzert und bei der BBC im englischen Birmingham aufgetreten.
Bei mehr als 40 Jahresabschlusskonzerten im Nachbarschaftshaus Helene Kaisen (Na‘) begeisterte das Ensemble bis 2019 das Publikum und marschierte regelmäßig bei Schützenumzügen und Lampionumzügen mit. 30 bis 35 Auftritte jährlich absolvieren die Spielleute zu Spitzenzeiten, aktuell sind es etwa zehn und – aus Altersgründen – Platzkonzerte statt Umzüge. Eine Ausnahme war das diesjährige Schützenfest in Wilstedt – die Veranstalter hatten für den Festumzug einen Kremserwagen organisiert.