Die Stuttgarter Choreografin Katja Erdmann-Rajski interessiert sich in ihrer Tanzreihe „Out of Order“ für Charaktere, die sich außerhalb gesellschaftlicher Normen bewegen. Zum Abschluss der Trilogie beschäftigt sie sich mit dem Protagonisten aus Alan Parkers Film „Birdy“. Premiere ist am 5. September; jetzt haben die Proben begonnen.
Frau Erdmann-Rajski, wie sind Sie und Alan Parkers Antikriegsfilm zusammengekommen?
„Birdy“ ist ein Film, den ich in meiner Jugend gesehen habe und der mich nie losgelassen hat. Es gibt daraus ein berühmtes Foto, das die Hauptfigur auf einem Bett in der Psychiatrie sitzend zeigt. Nach dieser hockenden, vogelartigen Haltung habe ich sogar eine Übung in meinem Körpertraining benannt. Diese fast akrobatische Position schränkt einen so ein, dass man sich nur noch minimal bewegen kann.
Sie schließen mit der Filmfigur Ihre Trilogie „Out of Order“ ab. Wie kam es zu der Idee?
Nach der frechen Pippi und dem Autisten Christopher ist Birdy eine weitere Figur, die extrem anders denkt und fühlt. In seinem Fall kommen ein Kriegstrauma und eine obsessive Leidenschaft für Vögel zusammen. Ein Umzug und ein Baum vor dem neuen Balkon mit vielen Vögeln, die ich beobachten kann, haben mich an Birdy erinnert. Ich wusste sofort, dass er ein perfekter Protagonist für diese Reihe ist. Wie er sich schweigend in seine Vogelwelt zurückzieht, ist enorm berührend.
Der Film erzählt in Rückblenden aus Birdys Jugend. Wie lösen Sie das auf der Bühne?
Wir trennen die Gegenwart der Psychiatrie und die Vergangenheit über das Licht, mit dem wir zwei Räume gestalten. Da ist das Klinikbett und der Raum, in dem Birdy Besuch von seinem Freund Al bekommt, dann sind da außerhalb der Zelle Szenen aus Kindheit und Jugend. Auch Ton-Schnipsel aus dem Film machen die verschiedenen Zeiten deutlich. Das waren tolle Sprecher. Man merkt schon an der Dynamik ihrer Stimmen, in welchem Zeit-Raum sie sich befinden.
Hilft auch die Musik bei der Einordnung?
Ja, auch sie versinnbildlicht die verschiedenen Zeitebenen. Gershwins „Rhapsody in Blue“ oder John Adams‘ „Shaker Loop“ stehen für die Sehnsucht der Jugend nach Erfüllung ihrer Träume und für die typische Bewegungssprache von Birdy. Eher Brüchiges wie John Cages Komposition „Bird Cage“ markiert die Stimmung in der Psychiatrie.
Katja Erdmann-Rajski Foto: Hagen Betzwieser
Ihr Stück heißt „Birdie“. Wo kommt das „e“ her?
Ich übertrage die Rollen des Protagonisten und seines Freunds Al auf Frauen. Seltsamerweise hatte ich schon bei der ersten Idee Tänzerinnen vor Augen. Sonia Lautenbacher tanzt die verletzliche Birdie, Kristina Olearnikova ist ein kraftstrotzendes, sportliches Pendant. Sie sind höchst unterschiedliche Freunde. Sie eint die Faszination für den anderen und für das Anderssein.
Ihr Stück setzt fliegen und tanzen synonym. Doch Birdy ist auf gewisse Weise paralysiert. Was macht das mit dem Tanz?
Im Untertitel heißt mein Stück nach einem Zitat aus dem Film „Singen ist wie Fliegen“. Der jugendliche Birdy nennt das Beispiel von Kanarienvögeln, die wegen ihres Gesangs eingesperrt werden und sich singend ans Fliegen in Freiheit erinnern. Als Traumatisierter ist er nicht nur in einer Zelle, sondern in sich selbst eingeschlossen; er hockt auf dem Bett, als ob es ein Nest wäre. Wir vergrößern die minimalistischen Bewegungen des Filmschauspielers und lassen Birdy vor allem in seiner Fantasie fliegen. Da ist sehr viel Bewegung drin.
Birdy entwickelt schon als Kind eine Leidenschaft für Vögel. Wie erklären Sie diese Obsession?
Er ist ein feinfühliger Junge, der unter der Enge der familiären Verhältnisse und einer boshaften Mutter leidet. Er will diesem Milieu entkommen und sieht in Vögeln und der Schönheit ihres Flugs eine Möglichkeit, sich zu befreien. Das zeigen wir auch im Tanz. Durch die Erlebnisse aus dem Vietnamkrieg schlägt diese Leidenschaft um ins Krankhafte. Er verstummt und rettet sich in die Vogelwelt. Das bedrückt mich sehr vor dem Wissen, wie viele Menschen heute von Krieg betroffen sind und da an Körper und Seele verwundet herauskommen.
„Birdy“ ist ein Antikriegsfilm. War das für Ihre Wahl wichtig?
Die Wahl fiel aus anderen Gründen auf „Birdy“. Aber sie passt zu unserer konfliktreichen Zeit; und das beschäftigt uns sehr bei den Proben. Bei allem Erschütternden liegt in Birdys Geschichte mit ihrem sehr positiven Schluss eine große Hoffnung. Die Kraft der Freundschaft ist ein wichtiges Thema bei dieser Befreiung von zwei Kriegsversehrten aus ihren Traumata.
Ist Ihr Stück ein Statement?
Ich bin aufgewachsen in einer Zeit, als die jungen Männer um mich herum zu Kriegsdienstverweigerern wurden; das hat mich schon sehr geprägt. Trotzdem ist mein Tanzstück kein politisches Statement.
Info
Termine
Premiere ist am 5. September, 20 Uhr, im Treffpunkt Rotebühlplatz. Weitere Vorstellungen am 6. September, 20 Uhr, und am 7. September, 16 Uhr.
Künstlerin
Katja Erdmann-Rajski, geboren in Aschaffenburg, befasst sich als Choreografin seit ihrer Ausbildung in Musikerziehung mit der Erweiterung der musikalischen Erfahrung durch den tanzenden Körper. 1999 promovierte sie über Gret Palucca, seit 2003 ist sie Professorin für Kulturpädagogik und Kulturelle Bildung an der EH Darmstadt.