Die Ex-Führungsriege des städtischen Krankenhaus und ein Ex-Bürgermeister müssen sich 2026 wegen Betrugs- und Untreueverdacht sowie Bestechung vor dem Landgericht verantworten.
Die Aufarbeitung des Stuttgarter Klinikum-Skandals erfährt Anfang kommenden Jahres einen weiteren Höhepunkt: Vom 25. Februar bis zum 21. Oktober will die 20. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts an 32 Verhandlungstagen über die Vorwürfe gegen die in den Jahren 2013 bis 2016 tätigen Spitzenkräfte des städtischen Klinikums und den damals zuständigen Krankenhausbürgermeister ein Urteil fällen.
Dem ehemaligen Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz (64), den ehemaligen Ärztlichen Direktoren Claude Krier (77) und Jürgen Graf (55) sowie Ex-Bürgermeister Werner Wölfe (72) wirft die Staatsanwaltschaft vor, bei der Anbahnung, Durchführung und Abwicklung insbesondere bei den Projekten Libyen NMS und Kuwait AI Razi durch die für ausländische Patienten zuständige „International Unit“ des Klinikums Stuttgart mitgewirkt zu haben.
Bei NMS wurden 372 Kriegsversehrte einer Bürgerkriegsmiliz aus Misrata im Klinikum und an anderen Standorten gegen Vorkasse medizinisch behandelt – sie und ihre zahlreichen Betreuer erhielten entgegen der Absprache aber auch Kost und Logis und reichlich Taschengeld. Dabei machten mehrere an diesem Deal Beteiligte ihren Schnitt, indem Sie Hunderttausende Euro für sich abzweigten. Die defizitäre städtische Tochterfirma profitierte dabei durch stark überhöhte Behandlungskostenabrechnungen, mit denen sie dem libyschen Kostenträger das Geld aus der Tasche zogen.
Schmiergeld in Millionenhöhe bezahlt
Beim Projekt Kuwait-AI Razi ging es um die Entsendung von Stuttgarter Klinikum-Ärzten an den Golf für die Dauer von drei Jahren mit einer Vertragssumme von rund 46 Millionen Euro. Dabei sollen die Angeklagten allerdings für sich behalten haben, dass die erforderliche Anzahl von Orthopäden gar nicht zur Verfügung stehen würde und man sich entgegen der vertraglichen Regelungen mit dem kuwaitischen Gesundheitsministerium mit externen Medizinern behelfen würde. Zudem soll das Geschäft mit großen Risiken behaftet gewesen sein. Noch schlimmer: Diversen Personen in Kuwait wurde Schmiergeld in Millionenhöhe versprochen und auch ausgezahlt.
Zwei Patientenbetreuer wurden deshalb bereits 2022 zu Haftstrafen von bis zu fünf Jahren verurteilt, der ehemalige Abteilungsleiter der zuständigen Abteilung „International Unit“ erhielt vier Jahre und neun Monate. Dessen Urteil ist noch nichts rechtskräftig, weil dagegen Revision eingelegt wurde. Weitere sechs ehemalige Mitarbeiter des Klinikums und Dienstleister wurden zu Geld- oder Bewährungsstrafen verurteilt.
Richter Wenzler ist nicht mehr dabei
Die Verhandlung wird auch deshalb mit Spannung erwartet, weil die zuständige Kammer mit Bettina Künzel eine neue Vorsitzende hat. Ihr Vorgänger Hans-Jürgen Wenzler, der jetzt einem Senat des Oberlandesgerichts vorsitzt, hatte in der Vergangenheit keinen Zweifel daran gelassen, dass er den heute 60-jährigen Ex-Abteilungsleiter, der einräumen musste, rund 60 000 Euro brutto in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben, für den „Haupttäter“ hält.
Entsprechend hart fiel das Urteil aus, das sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinausging – und das vor dem Hintergrund, dass der monetäre Schaden bei beiden Projekten je nach Betrachtungsweise zwischen einem zweistelligen Millionenbetrag und null Euro beträgt und sich bis heute kein Betroffener wegen Schadenersatzes gemeldet hätte. Zudem wurde das Klinikum von ihrer Haftpflichtversicherung großzügig entschädigt.
Entsprechend zuversichtlich zeigen sich der verurteilte Ex-Abteilungsleiter und seine Verteidiger, in der Revision eine Neuauflage des Prozesses oder zumindest eine Reduzierung des Strafmaßes erreichen zu können. Zum Vergleich: der Promi-Koch Alfons Schubeck richtete mit enormer krimineller Energie einen Schaden von 27 Millionen Euro an und erhielt dafür „nur“ vier Jahre und drei Monate Gefängnis.
Wer wusste was? Alle alles?
Die Kammer wird nun darüber zu befinden haben, inwieweit die Vorgesetzten des Ex-Abteilungsleiters in die Details der Geschäfte mit Libyen und Kuwait involviert gewesen sind. „Alle wussten alles“, betonte der Ex-Abteilungsleiter in seinen zahlreichen Verhören in Untersuchungshaft und vor Gericht. Niemand habe ihn in seinen Geschäften gebremst, im Gegenteil: Es sei stets darum gegangen, dem defizitären Klinikum Millioneneinnahmen zu sichern.
Zumindest Anhaltspunkte für einen solchen Verdacht hat die Staatsanwaltschaft in tausenden Mails und telefonischer Korrespondenz gefunden, die ihr nach Hausdurchsuchungen und der Beschlagnahmung von Kommunikationsmitteln in die Hände gefallen waren. Der damals allein verantwortliche Geschäftsführer Schmitz muss sich wegen Betrugs, Untreue und der Bestechung ausländischer Amtsträger (in Kuwait) verantworten. Das gilt auch für Jürgen Graf. Dessen Vorgänger Claude Krier ist wegen Betrugs und Untreue angeklagt.
Zu freundlich zum Ärztlichen Direktor?
Ex-Bürgermeister Wölfle, der als Verwaltungsbürgermeister auch für die Krankenhäuser zuständig war, aber ein distanziertes Verhältnis zur Geschäftsführung und den Chefärzten gepflegt hatte, werden die wenigsten Vorwürfe gemacht. Er ist wegen „Untreue durch Unterlassen“ angeklagt sowie für eine Pflichtverletzung, weil er Graf angeblich eine in Summe um 70 000 Euro höhere Vergütung genehmigte, als der damalige Ärztliche Direktor bereits mit Schmitz fest vereinbart hatte, um diesen für einen Neuanfang im Klinikum zwei Monate früher loszuwerden. Für alle Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.