Wer zieht als nächster Oberbürgermeister ins Dortmunder Rathaus ein (v.l.): Katrin Lögering (Grüne), Alexander Kalouti (CDU), Amtsinhaber Thomas Westphal (SPD) oder Heiner Garbe (AfD)? © Linde (Montage)
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Wie ist die politischen Stimmung in Dortmund kurz vor der Kommunalwahl am 14. September? Das zeigt eine umfassende repräsentative Meinungsumfrage unserer Redaktion. Doch wie sind die Ergebnisse zu bewerten? Darüber unterhielten wir uns mit Dierk Borstel.
Der Professor für praxisorientierte Politikwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund beschäftigt sich seit Jahren unter anderem mit Demokratieforschung und politischer Kultur.
Prof. Dierk Borstel von der FH Dortmund ordnet für uns die Ergebnisse der Umfrage zur Kommunalwahl ein.© Fachhochschule Dortmund
Herr Professor Borstel, welche Ergebnisse der Umfrage haben Sie am meisten überrascht?
Dass es einen so großen Verlust von Identifikation mit Dortmund gibt. Das hat mich überrascht, weil ich Dortmund immer als Stadt mit sehr hoher Identifikation erlebt habe. Er hängt eng mit dem Stimmungsabschwung und dem verbreiteten Gefühl, es ginge vieles stark bergab, zusammen.
Nur noch 69 Prozent aller Befragten gaben an, dass sie alles in allem gerne in Dortmund leben – 2020 waren es noch 84 Prozent. Muss man sich deswegen Sorgen um Dortmund machen?
Ja, das ist ernst zu nehmen. Je weniger Identifikation da ist, desto weniger bürgergesellschaftliches Engagement gibt es auch. Demokratie lebt davon, dass Menschen sich engagieren, auch ohne Geld. Man bringt sich ein für seine Nachbarn, für Sicherheit vor Ort, für Gemeinschaft, für Kultur, für Sport, und da ist Identifikation ein ganz wesentlicher Faktor, das wissen wir aus allen Studien.
Wenn mir aber alles um mich herum egal ist, identifiziere ich mich nicht mehr damit, dann bringe ich mich da auch nicht ein, sondern fange an zu meckern, zu schimpfen, vielleicht auch mich menschenfeindlich zu äußern und so weiter. Das heißt, an der Identifikation hängt sehr stark, wie wir in dieser Stadt zusammenleben wollen.
Auch bei Wahlen geht es viel um Identifikation, dort mit den Kandidaten. In dieser Hinsicht haben die Parteien aber noch viel zu tun. Knapp zwei Monate vor der OB-Wahl wusste gerade einmal jeder vierte Befragte, dass der Amtsinhaber Thomas Westphal erneut für die SPD antritt. Die Bekanntheitswerte von Westphals größten Herausforderern – Alexander Kalouti (CDU), Katrin Lögering (Grüne) und Heiner Garbe (AfD) – waren mit 4 bis 6 Prozent quasi nicht existent.
Natürlich ist da noch viel Luft nach oben. Aber auch das ist für eine Kommunalwahl, wenn der Wahlkampf noch nicht richtig begonnen hat, gar nicht so unüblich. Da hat der amtierende Oberbürgermeister natürlich immer einen riesigen Vorteil, weil dessen Namen dann doch mehr Leute schon mal gehört haben, egal, was sie mit ihm verbinden.
Sie meinen den berühmten Amtsbonus.
Genau. Wobei es eine der spannendsten Erkenntnisse der Umfrage ist, dass der Amtsbonus für Thomas Westphal nicht wahnsinnig groß ist, sondern eher weit unterdurchschnittlich.
Oberbürgermeister Thomas Westphal: Zwei Drittel der Dortmunderinnen und Dortmunder sind mit seiner Arbeit nicht zufrieden.© Stephan Schuetze (Archivbild)
Das haben Sie noch nett formuliert. Nur 36 Prozent der Dortmunderinnen und Dortmunder sind laut unserer Umfrage mit der Arbeit von OB Westphal zufrieden. Damit liegen seine Zufriedenheitswerte noch unter denen der Stadtverwaltung (46 Prozent) – was laut den Meinungsforschern von Forsa im deutschlandweiten Vergleich „ungewöhnlich“ ist. Wie erklären Sie sich Westphals schlechte Werte?
Ich glaube, dass da mehrere Faktoren zusammenkommen. Zum einen gab es einen auch über Parteigrenzen hinweg recht anerkannten Vorgänger [Ullrich Sierau, Anmerkung der Redaktion], dem es gelungen ist, das Oberbürgermeisteramt mit seiner Person zu verschmelzen. Westphal ist es bisher weniger gelungen, so eine „Ich stehe über der Parteipolitik“-Stellung einzunehmen, eine Vermittlerrolle.
Dazu kam der eben angesprochene Stimmungsabschwung in der Stadt und die zunehmende Polarisierung mit einem möglichen populistischen Moment, den wir gerade erleben. Da kommt der Oberbürgermeister ein bisschen unter die Räder.
Was meinen Sie mit einem „populistischem Moment“?
Wir haben eine immer stärkere Polarisierung, die sich teilt zwischen rechts und links. Das heißt, auf der linken Seite [Anhänger von SPD, Grünen und Linken, Anmerkung der Redaktion] ist die Zufriedenheit mit dem Zustand der Stadt und auch bei fast allen gesellschaftlichen Themen deutlich höher als auf der konservativen und rechten Seite [CDU und AfD, Anmerkung der Redaktion]. Rechtsaußen ist die Unzufriedenheit extrem groß, aber auch bei den Konservativen ist sie ausgeprägt.
Wenn diese Polarisierung auf die weitverbreitete Meinung trifft, dass es in der Stadt bergab geht, die Probleme immer größer werden, Migration vor allem als Problem und nicht auch als Chance oder einfach als Normalität dieser Stadt gesehen wird und die Politiker als abwesend empfunden werden, dann profitieren populistische Parteien deutlich stärker davon als andere Parteien.
Sie spielen damit auf die AfD an. Sie kommt bei der „Sonntagsfrage“ in unserer Umfrage für die Kommunalwahl in Dortmund jedoch „nur“ auf 15 Prozent und liegt damit auf Rang vier hinter SPD, CDU und Grünen und weit unter den Werten von aktuellen Bundesumfragen, die die Partei bei rund 24 Prozent sehen.
Ja, das stimmt einerseits. Andererseits sind es trotzdem extrem hohe Werte für eine Partei, die Wert darauf legt, dass wir unsere Nachbarn, Kollegen und Freunde deportieren. Wir gewöhnen uns also auch an zweistellige Zahlen, die wir in Dortmund in der Form bisher nicht hatten.
Lassen Sie uns tiefer eintauchen in die Frage, wen die Dortmunder bei der OB- und bei der Ratswahl wählen wollen. Bei der „Sonntagsfrage“ für den Stadtrat kommen in unserer Umfrage aktuell SPD und CDU beide auf 24 Prozent. Dahinter liegen Grüne (17 Prozent), AfD (15 Prozent) und die Linke (10 Prozent). Wie bewerten Sie diese Ergebnisse?
Wir erleben in Dortmund eine Normalisierung an bundesweite Trends. Diese Trends bedeuten, dass SPD und CDU zusammen nicht mehr mehrheitsfähig sind. Dass CDU und SPD es zusammen nicht mal auf fünfzig Prozent schaffen, war über Jahrzehnte hinweg in Dortmund undenkbar – vor allem wenn man überlegt, was für eine Hochburg Dortmund einst für die SPD war.
Wir haben eine klare Ausdifferenzierung von kleineren und mittleren Parteien. Wir werden mehr Zusammenarbeit von Drei-Parteien-Koalitionen haben, mit allen Schwierigkeiten, die das bringt. Was wir auch sehen, ist eine Normalisierung von AfD-Ergebnissen auf zweistelligem Niveau. Das ist ernst zu nehmen und eine Entwicklung, die ich mit großer Sorge sehe.
Hat Dortmund seine Sonderstellung als „Herzkammer der Sozialdemokratie“ also verloren?
Die alte SPD-Dominanz ist Geschichte und wird so schnell auch nicht wiederkommen. Dortmund hat sich gesellschaftlich, ökonomisch, strukturell komplett verändert. Dortmund holt den Strukturwandel jetzt auch politisch nach. Das ist eine völlig andere Stadt als früher und das zeigt sich auch in den Wahl-Ergebnissen.
Es deutet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU um Platz eins an. Wie wird das aus Ihrer Sicht ausgehen?
Das halte ich für völlig offen. Schon deshalb, weil alle Parteien jetzt erst mal sehen werden, dass man die eigenen Anhänger mobilisiert. Wem das besser gelingt, weiß ich nicht. Einen Startvorteil wird die SPD haben, einfach aufgrund der doch etwas höheren Bekanntheit des Spitzenkandidaten Thomas Westphal.
Spannend finde ich auch das Rennen um Platz drei. Denn da haben wir zwischen Grünen, AfD, vielleicht sogar noch Linke einen Dreikampf. Ich glaube nicht, dass die drei ernsthaft um Platz zwei mitkämpfen werden.
Wechseln wir zur OB-Wahl. Da liegt laut unserer Umfrage aktuell Amtsinhaber Thomas Westphal (SPD) mit 27 Prozent vorne, jedoch nur mit 8 Prozentpunkten vor seinem CDU-Herausforderer Alexander Kalouti (19 Prozent), und auch Katrin Lögering (Grüne, 15 Prozent) und Heiner Garbe (AfD, 15 Prozent) sind nicht weit weg.
Die Frage ist, wer geht gegen Westphal in die Stichwahl? Kalouti, Lögering und Garbe haben reale Chancen, in die Stichwahl zu kommen. Garbe könnte dabei sogar vom möglichen populistischen Moment profitieren. Dass es so offen ist, wer gegen Westphal antreten wird, hat mich etwas überrascht.
Wen hätten Sie den klar auf Position zwei gesehen und warum?
Mit Blick auf den Bund und die Landesergebnisse hätte ich schon vermutet, dass die CDU hier klarer Favorit gewesen wäre. Dazu hätte es aber einen bekannteren Kandidaten aus der Mitte der Stadt gebraucht.
Für Borstel zu unbekannt in Dortmund: der OB-Kandidat der CDU, Alexander Kalouti© Stephan Schuetze
Welche Rolle spielt im OB-Wahlkampf die Kandidatur des parteilosen Martin Cremer, der in unserer Umfrage auf überraschend starke 11 Prozent kommt?
Cremer zeigt, dass man kommunalpolitisch auch als Quereinsteiger eine Chance haben kann, wenn man sich interessant positioniert. Und es scheint Cremer gelungen zu sein, dass er wahrgenommen wird. Er ist ein Kandidat im bürgerlichen Lager und damit ein Konkurrent der CDU. Doch es würde mich sehr überraschen, wenn er sich durchsetzt und in die Stichwahl einzieht.
Cremer ist die erste Hürde, über die Kalouti muss, wenn er in die Stichwahl will. Und wenn man Cremers 11 Prozent zu Kalouti packt, wäre das nicht uninteressant.
Sie glauben, dass Cremers Wähler ohne ihn zu 100 Prozent CDU wählen würden?
Ich nehme an, dass bei Cremer viele CDU-Stimmen sind. Da werden auch FDP-Stimmen dabei sein, die hier keine Rolle mehr spielen. Vielleicht auch ein paar Stimmen, die AfD aus Protest wählen könnten. Es fällt mir aber schwer zu glauben, dass Cremer im linken Lager großartig Stimmen einsammelt.
Parteiloser OB-Kandidat Martin Cremer: Laut Borstel zeigt er, „dass man kommunalpolitisch auch als Quereinsteiger eine Chance haben kann, wenn man sich interessant positioniert“.© RN
Muss sich Westphal in Anbetracht seiner niedrigen Zustimmungswerte und der niedrigen Werte für seine Partei ernsthaft Sorgen machen, abgewählt zu werden?
Er dürfte von allen Kandidaten und Kandidatinnen weiterhin die besten Chancen haben. Die Frage wird sein, wer tritt gegen ihn in der Stichwahl an? Wenn Garbe gegen ihn antritt, wird er gewinnen.
Wenn Lögering gegen ihn antritt, wird die Frage sein, was macht das konservative, bürgerliche und auch das rechtspopulistische und rechtsextreme Wählerpotenzial? Für wen entscheiden die sich? Wahrscheinlich gehen die nicht zur Wahl oder wählen eher SPD denn grün. Von daher wäre Westphal auch in dieser Konstellation klarer Favorit.
Und wie steht es um die Chancen von Kalouti?
Die Frage wird sein: Wie grenzt er sich von Westphal ab? In der Stichwahl hat der Amtsinhaber aufgrund höherer Bekanntheit immer bessere Chancen. Das heißt, Kalouti bräuchte entweder ein Wählerpotenzial, was eine Mehrheit bringt. In den Zahlen der Umfrage kann ich jedoch keine Mitte/Rechts-Mehrheit in dieser Stadt entdecken, selbst wenn ein Teil der Mitte sich für die CDU und gegen die SPD entschiede.
Oder es bräuchte ein Agendathema, wo man sich von Westphal klar abgrenzt und das so relevant ist, dass die Menschen sagen, von diesem Thema hängt meine Wahlentscheidung ab. Das kann ich auch nicht erkennen. Deswegen, glaube ich, wird es auch für ihn in der Stichwahl schwierig.